Biographische Angaben aus dem Handbuch der Deutschen Kommunisten:

(* 1906 – † 1990)
Geboren am 11. Juli 1906 in Dresden, erster (von zwei Söhnen) des Facharbeiters Richard Wehner und seiner Frau Antonie, geborene Diener. Da der Vater 1914 Soldat wurde, die Mutter mit Näharbeiten nur wenig verdiente, mußte Herbert Wehner bereits früh zum Unterhalt der Familie beitragen. Ein 1921 gewährtes Stipendium ermöglichte ihm eine dreijährige Ausbildung zum Verwaltungsdienst, anschließend kaufmännische Lehre. 1923 trat er in die SAJ ein, zunächst von Otto Rühle beeinflußt, wurde Wehner Anarchist, war in Dresden zeitweise in einer »Anarchistischen Tatgemeinschaft« jugendlicher Rebellen aktiv. Er schloß sich dann Erich Mühsam an, als dessen Privatsekretär er für kurze Zeit fungierte. 1925/26 gab Wehner die Zeitschrift »Revolutionäre Tat« heraus und publizierte in Mühsams Zeitung »Fanal«. Er überwarf sich aber dann mit Mühsam, trennte sich von den Anarchisten und wurde 1927 Mitglied der KPD. Wehner heiratete die junge Schauspielerin Lotte Loebinger (* 10. 10. 1905 – † 9. 2. 1999), die Ehe ging auseinander, wurde offiziell aber erst später geschieden.
Um die Jahreswende 1927/28 begann Wehners hauptamtliche Parteikarriere: Zunächst Bezirkssekretär der RHD für Ostsachsen, ein Jahr später RGO-Sekretär im Bezirk, seit dem Zusammenschluß dieses Bezirks zum Parteibezirk Sachsen Ende 1929 gehörte er als Orgleiter unter Rudolf Renner dem Sekretariat der neugeschaffenen KPD-BL an. Im Juni 1930 wurde Wehner in den Sächsischen Landtag gewählt, war stellvertretender Vorsitzender der KPD-Fraktion und Mitglied im Ältestenrat. Wegen der schwachen Verankerung der KPD in den sächsischen Betrieben wurde Anfang 1931 die BL unter Heinz Renner, vor allem aber Wehner kritisiert. Fritz Selbmann trat an Renners Stelle, Karl Ferlemann löste Wehner ab, der nach Berlin in das ZK im Karl-Liebknecht-Haus geholt wurde.
Hier war er zunächst Mitarbeiter der von August Creutzburg geleiteten Orgabteilung, erlebte die innerparteilichen Rivalitäten zwischen Neumann/Remmele und Ernst Thälmann, der ihn im Frühsommer 1932 zum Technischen Sekretär des Polbüros berief. In dieser Funktion war er maßgeblich an der Überführung des Apparats in die Illegalität beteiligt und bildete bis Frühjahr 1934 mit Wilhelm Kox und Siegfried Rädel die Inlandsleitung der KPD. Im Widerstand der Kommunisten gegen die NS-Diktatur spielte Wehner eine zentrale Rolle, er stieg zu einem der wichtigen Parteiführer in der KPD auf. Er war der Verhaftung wiederholt nur knapp entgangen, emigrierte im Juni 1934 mit seiner (seit 1929) neuen Lebensgefährtin Charlotte Treuber (* 24. 1. 1907 – † 21. 10. 1999), zunächst nach Saarbrücken. Dort Oberberater, koordinierte er unter dem Parteinamen Kurt Funk dann auch von Prag und Paris aus den Widerstand gegen das NS-Regime. Während der Auseinandersetzungen 1934/35 innerhalb des Politbüros unterstützte Wehner Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht. Zeitweilig war er Lehrer an der Internationalen Leninschule in Moskau und nahm im Sommer 1935 am VII. Weltkongreß und im Oktober an der »Brüsseler Konferenz« teil.
Wehner wurde hier in das ZK gewählt und zum Kandidaten des Politbüros berufen, war damals das jüngste Mitglied im obersten Führungsgremium der KPD. Er gehörte unter Ulbricht mit Anton Ackermann, Franz Dahlem und Paul Merker zur »operativen Leitung« des Politbüros zur Anleitung der illegalen Organisationen im Reich.
Nach Auseinandersetzungen mit Ulbricht in Paris reiste Wehner Ende 1936 zur Berichterstattung nach Moskau, Referent für deutsche Fragen im Sekretariat der Komintern. Auch er geriet in die »Säuberungen« und wurde in einem »Untersuchungsverfahren« mehrfach vom NKWD verhört. Noch im September 1937 beschloß die Moskauer Parteiführung, in der »Angelegenheit Funk« die Kaderabteilung zu beauftragen, »gegen Funk wegen Verletzung der Konspiration« eine Untersuchung vorzunehmen und ihn »zur Verantwortung zu ziehen«. In der damaligen Situation bedeutete dies, daß Wehner in der UdSSR mit seiner Verhaftung und Liquidierung durch das NKWD rechnen mußte. Selbst gefährdet, schrieb er nun – wie alle Emigranten – zahllose Berichte. Seine Dossiers für die IKK belasteten Mitgenossen, deren vorherige Berichte ihn ebenfalls belasteten. Ob alte Fraktionskämpfe, ob Revanche bei persönlichen Differenzen oder einfach als Schutz im Untersuchungsverfahren der Komintern für die Angaben ausschlaggebend waren, ist schwer auszumachen. Das Parteiverfahren in Moskau gegen ihn wurde schließlich 1939 eingestellt. Wehner hat in seinen 1946 geschriebenen (1982 dann von Gerhard Jahn herausgegeben) »Notizen« klargestellt, wie er in jenes zum Inquisitionsritual gehörende Netz von Anklagen, Gegenanklagen, Denunziationen und Selbstbezichtigungen geraten und dadurch zum Mittäter geworden war.
Im Auftrag der Komintern fuhr Wehner Ende Januar 1941 nach Schweden, um hier die Arbeit der AL Mitte zu reorganisieren. Von Stockholm aus sollte er gemeinsam mit Karl Mewis und Richard Stahlmann nach Deutschland reisen, um die Arbeit illegaler kommunistischer Gruppen im Reich zu koordinieren. Am 18. Februar 1942 in Stockholm festgenommen, wurde Wehner im April wegen »Gefährdung der schwedischen Freiheit und Neutralität« zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, im November in ein Jahr Zwangsarbeit verschärft. Über Wehners Verhaftung und Verhalten gegenüber den schwedischen Ermittlungsbehörden wurde das Politbüro in Moskau vor allem durch Mewis und Stahlmann verzerrt informiert. Danach wurde Wehner unter dem Vorwurf des Verrats am 6. Juni 1942 aus der KPD ausgeschlossen. Nach der Entlassung aus der Haft war Wehner zunächst in einer Viskosefabrik beschäftigt, anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Archiv. 1944 heiratete er Charlotte Burmester, geborene Clausen (†1979), die Witwe eines von den Nazis ermordeten Hamburger Kommunisten. Bei ihr und ihren beiden Kindern fand er private Geborgenheit. Er wurde von früheren Genossen gemieden, isoliert und erkannte, die kommunistische Bewegung, von der er sich während seiner Einzelhaft 1942/43 nach langen innerlichen Kämpfen zu lösen begann, hatte ihn fallengelassen. Der Briefwechsel mit Günter Reimann von 1946 (1998 veröffentlicht) und vor allem seine »Notizen« (in Schweden niedergeschrieben) zeigen Wehners endgültige Trennung vom »totalitären Kommunismus«. Er benannte Mechanismen der Kaderpolitik, zeigte, daß der Stalinismus die Idee des Sozialismus diskreditiert hatte. Aber deswegen wollte er die Tradition der Arbeiterbewegung keineswegs über Bord werfen, sondern wurde Sozialdemokrat.
Im September 1946 kehrte Wehner nach Deutschland zurück, trat einen Monat später der SPD bei und arbeitete als außenpolitischer Journalist bei der SPD-Zeitung »Hamburger Echo«. Von Kurt Schumacher unterstützt, kandidierte Wehner im August 1949 erfolgreich für den ersten Deutschen Bundestag, dem er ununterbrochen bis 1983 angehörte. Als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen von 1949 bis 1966 setzte er sich insbesondere für die Wiedervereinigung Deutschlands ein. Von 1952 bis 1982 war er Mitglied des SPD-Parteivorstandes und des SPD-Präsidiums sowie von 1958 bis 1973 Stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. In der Großen Koalition unter Kiesinger/Brandt wirkte er von 1966 bis 1969 als Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen und war von 1969 bis 1983 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag. Seine Strenge und sein Pflichtbewußtsein brachten ihm den Ruf eines »Zuchtmeisters« und »Kärrners« in der SPD ein. Nach dem Scheitern der sozial-liberalen Koalition im Herbst 1982 trat Wehner den Rückzug aus der aktiven Politik an. Um Greta Burmester (* 1924), seine Pflegetochter und langjährige vertraute Mitarbeiterin, sozial abzusichern, heiratete er sie 1983. Unter dem Titel »Zeugnis« wurden 1982 seine »Notizen« veröffentlicht. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 1984 die Ehrendoktorwürde der Universität Jerusalem. Die Freie und Hansestadt Hamburg nahm Wehner 1986 in die Reihe der Ehrenbürger auf. Herbert Wehner, zuletzt schwer an Alzheimer erkrankt, starb am 19.Januar 1990 in Bonn.
Seinem Andenken gilt z. B. das im September 1992 in Dresden gegründete »Herbert-Wehner-Bildungswerk«, und die 2004 geschaffene »Herbert und Greta-Wehner-Stiftung«, die in seinem Sinne zur Stärkung der Demokratie beitragen wollen.
Herbert Wehner bleibt auch nach seinem Tod eine der umstrittenen Persönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte. Schon zu Lebzeiten wurde der Sozialdemokrat von politischen Gegnern verunglimpft, »immer noch Kommunist« zu sein. Selbst nach seinem Tod sollte Wehner 1993/94 in einer Medien-Schlammschlacht im Wahlkampf instrumentalisiert werden, bis hin zu Verdächtigungen, er habe die »Sache der anderen Seite« vertreten. Die Schmähungen mißlangen, doch wird nun seine Rolle als führender Kommunist und seine Tätigkeit während der stalinistischen Säuberungen zu Verleumdungen benutzt. Daß die vor Hitler nach Moskau geflüchteten KPD-Führer – und damit bis 1940 auch Wehner – Schuld auf sich luden, bleibt eine tragische Erkenntnis, ist aber nicht neu. Wehner war zwar ein »Schräubchen« in diesem terroristischen Räderwerk, doch natürlich nicht dessen Antreiber oder gar Initiator, er war selbst bedroht. Vor allem aber hat er als einer der ganz wenigen kommunistischen Führer aus den Schrecken des Stalinismus und seinen Irrtümern Lehren gezogen und wurde Demokrat. Herbert Wehners Persönlichkeit ist historisch gesehen geprägt als die eines mutigen Kämpfers gegen die NS-Diktatur und danach als eines aktiven Erbauers der freiheitlichen Demokratie in Deutschland. Diese Probleme werden in der inzwischen breiten Literatur über Wehner thematisiert, hier sei nur verwiesen auf Hartmut Soell: Der junge Wehner, Stuttgart 1991; Reinhard Müller: Die Akte Wehner, Berlin 1993; Michael F. Scholz: Herbert Wehner in Schweden 1941-1946, Berlin 1997.

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