BstU Zentrale Ausstellungsetage
© BstU/Popa

Als Teilnehmer des internationalen Austauschprogramms „Memory Work“ der Bundesstiftung Aufarbeitung konnte ich die wertvolle Möglichkeit ergreifen, einen Monat (20.06.-28.06. sowie 11.07.-26.07.2019) beim Fachbereich BF 3 (Ausstellungen und Schwerpunktstudien) der Behörde des BStU – unter der Zuwendungsempfängerschaft der Robert-Havemann-Gesellschaft – in Berlin zu verbringen. Dabei wurde ich von der Fachbereichsleiterin Frau Dr. Gabriele Camphausen fachlich betreut und bei all meinen Vorhaben tatkräftig unterstützt.

Die ungarische Stiftung „Gemeinsamer Nenner“, bei der ich mich ehrenamtlich engagiere, hat in den letzten zwei Jahren eine interaktive Wanderausstellung konzipiert und aufgebaut, als Beitrag zur gesellschaftlichen Vergangenheitsbewältigung in Ungarn. Die Ausstellungsgegenstände dienen zugleich als Hilfsmittel bei thematischen Aufarbeitungsworkshops, welche die Stiftung in interessierten Schulen durchführt. Das wichtigste Ziel meines Aufenthaltes bei der Behörde des BStU war, die Ausstellungsarbeit der Behörde unter die Lupe zu nehmen und dadurch die inhaltliche, methodologische und didaktische Wissensbasis der ungarischen Stiftung zu stärken. Ich habe es vorgängig so eingeschätzt, dass der BStU als Orientierungsmodell zur Auseinandersetzung mit den Mechanismen einer kommunistischen Diktatur erheblich beiträgt. Somit könnte diese Behörde eine ideale Sammelstelle all jener besten Praktiken und Know-hows sein, die sich in den letzten Jahrzehnten bezüglich der Aufarbeitung deutscher Diktaturgeschichte angehäuft haben. Meine diesbezüglichen Vermutungen haben sich völlig für begründet erwiesen. Zum Erreichen meiner vorhin genannten Ziele habe ich während des Projektzeitraums folgende Tätigkeiten ausgeführt:

Ausstellungsbesuche

Ich habe u.a. die „Stasi Zentrale. Campus für Demokratie“ in Berlin-Lichtenberg besucht und mir alle dortigen Ausstellungen angeschaut. Die Ausstellung „Einblick ins Geheime“ des BStU verschafft einen anschaulichen Eindruck über das Stasi-Archiv und verdeutlicht sowohl dessen symbolischen als auch aktuellen Charakter. Mich hat besonders die begehbare Akte eines Inspizierten fasziniert. Diese dient als personalisiertes Beispiel für das Fungieren des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Sie wird mit innovativ-interaktiven Elementen bereichert: Die Abbildung eines handschriftlichen Briefes kann manuell gedreht, ein zerrissenes Stasi-Dokument kann virtuell zusammengelegt werden.

Die Open-Air-Ausstellung „Revolution und Mauerfall“ der Robert-Havemann-Gesellschaft zeigt neben ihrer durchdachten Dramaturgie auch eine souveräne Ausstellungsarchitektur auf: Die wellenförmige Aufstellung der einzelnen Stände tragen nicht nur zum Abwechslungsreichtum, sondern auch zur besseren Barrierefreiheit der Ausstellung bei. Außerdem war ich von der inhaltlichen Vielfalt der Ausstellung ebenfalls beeindruckt, wozu auch die Erwähnung des posthumen Staatsbegräbnisses des ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten Imre Nagy im Jahr 1989 als Meilenstein des ungarischen Transformationsprozesses dazugehört.

An der Ausstellung „Staatssicherheit in der SED-Diktatur“ im Stasimuseum hat mir besonders gut gefallen, wie die enge Zusammenarbeit des MfS mit allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Institutionen der DDR an vielfältigen Beispielen verdeutlicht wird. Zu den Erkenntnissen aus dem Detailkonzept der Ausstellung.

Der Fachbereich BF 3 der Behörde des BStU hat eine Poster-Ausstellung mit Grundkenntnissen über die Staatssicherheit zusammengestellt („Stasi. Was war das?“). Die 13 DIN-A1-Themenposter haben alle den gleichen Aufbau: Unter dem Titel des Posters wird in einem oder zwei Lead-Absätzen das jeweilige historische Ereignis bzw. Themenschwerpunkt kurz und bündig zusammengefasst, danach wird das Thema mit passenden Fotos und Untertiteln veranschaulicht. Jedes Poster wird zusätzlich mit ein paar relevanten Begriffserklärungen bzw. wichtigen Daten bereichert. Diese logische Gestaltung der Poster ermöglicht ihre Benutzung auch als Einzeltafel, denn jedes stellt eine in sich geschlossene Einheit dar.

Besonders aufschlussreich habe ich die Methode der sog. semantischen Optimierung gefunden: Dies ist eine Überlegung zur Lesbarkeit der Ausstellungstexte, wobei u. a. auf das Buch „Texte in Museen und Ausstellungen – Ein Praxisleitfaden“ von Evelyn Dawid und Robert Schlesinger (Hrsg.) zurückgegriffen wird. Dabei geht es darum, in jede Zeile des Ausstellungstextes nur eine Sinneinheit aufzunehmen. Das reduziert die Zahl der Blickbewegungen beim Lesen und so lässt sich die Verinnerlichung der Lektüre enorm beschleunigen. Der Texter der jeweiligen Ausstellung ist demnach stets auf eine pointierte Formulierung des textlichen Inhalts angewiesen. Aus dem Buch konnte ich weitere Tipps zur formalen (kurze Zeilenlänge, überschaubare Zeilenanzahl), sprachlichen (Vermeidung der Passivform und der Füllwörter sowie der Tautologien) und inhaltlichen (klare Argumentation, Achtung vor Themenverfehlungen) Gestaltung der Ausstellungstexte entnehmen – und ich konnte gleich auf den Postern und anderen Materialien des BStU die entsprechende Befolgung dieser Ratschläge beobachten.

Zusammen mit Frau Camphausen haben wir die Ausstellung „Stasi in Berlin“ in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen besichtigt und mit dem Kurator, Herrn Andreas Engwert, ein interessantes Gespräch geführt. Mittelpunkt der Ausstellung ist eine 170 Quadratmeter große begehbare Luftaufnahme Berlins, an der sämtliche Orte der Stasi- Geschichte gekennzeichnet sind. Hinter manchen verbergen sich private Schicksale, die durch multimediale-interaktive Technik geschildert werden. Das Ganze macht einen atemberaubenden Eindruck, vor allem wegen seiner einzigartigen Gestaltung.

Die Besuchergruppen werden mithilfe von Tablets in den Händen durch die Ausstellung geführt, die aus drei Kapiteln besteht. Im Vorraum leiten von der Stasi gedrehte Filmausschnitte ins Thema bzw. in die Stimmung ein, und im nächsten Raum hat man die Möglichkeit, Berlin auf eine ungewöhnliche Art und Weise zu erkunden: Die Tablets dienen als Wegweiser zwischen den ehemaligen Konspirationswohnungen, Untersuchungsgefängnissen und anderen Stasi- Objekten in der Hauptstadt. Als dritte Einheit kann man einzelne Betroffenenschicksale kennenlernen, die sich jeweils an verschiedenen Orten von Berlin abspielen. Ein einmaliges Erlebnis – aber durchaus nicht für das eine Mal.

Ich habe mir – z. T. auf die Empfehlung von Frau Camphausen – noch weitere Ausstellungen in Berlin und Umgebung angeschaut, die inhaltlich bzw. methodisch zu meinem Interessenschwerpunkt passen – so u.a. den Gedenkort Rummelsburg, die Ausstellung „Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt“ im Ephraim-Palais, die Erinnerungsstätte.

Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde, das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst, das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand und die Gedenkstätte Stille Helden, die Gedenkstätte Plötzensee, das ehemalige KGB-Gefängnis (die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße) und die Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam. Von all denen konnte ich neues inhaltliches Wissen und interessante Tipps zur veranschaulichen Ausstellungsgestaltung mit nach Hause nehmen. In der Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam konnte ich sogar die Möglichkeit ergreifen, an einem Zeitzeugengespräch mit ehemaligen Inhaftierten teilzunehmen. In der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde wurde ich ebenfalls von einer ehemaligen Ausreiseantragstellerin durch die Ausstellung geführt.

Ich habe auch die in Kooperation mit der Bundesstiftung Aufarbeitung und dem Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer entstandene, vor dem Abgeordnetenhaus von Berlin aufgestellte Open-Air-Ausstellung „Von der friedlichen Revolution zur deutschen Einheit“ unter die Lupe genommen. Die vierseitigen Stelen fassen anhand von einigen Stichwörtern die Geschichte der Wende zusammen. Es hat mir besonders gut gefallen, dass auch solche Fotos ausgewählt worden sind, die ein wohl bekanntes Phänomen auf eine verblüffend ausdrucksvolle Weise, aber mit einem bislang vielleicht nicht allzu sehr bekannten Inhalt darstellen. Die Seite Nr. 3 („Unzufriedenheit“) kann ich aus dieser Hinsicht gerne hervorheben: Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme in der DDR werden durch die nach Westen ausgerichteten Antennen auf den Hausdächern aussagekräftig abgebildet.

Studieren von internen Detailkonzepten und anderen Vorbereitungsmaterialien

Im Detailkonzept der Ausstellung „Staatssicherheit in der SED-Diktatur“ im Stasimuseum wird die sog. Dreiklang-Struktur der Ausstellung geschildert, welche ich für die Planung unserer zukünftigen bzw. für die Weiterentwicklung unserer vorhandenen Ausstellung maßgebend finde. Alle Ausstellungsmodule stehen unter derselben zentralen Leitfrage (im konkreten Fall: „Warum gab es die Stasi?“). Aus dieser zentralen Leitfrage ergeben sich die Anschlussfragen, die dann an konkreten Beispielen dargelegt werden (im konkreten Fall: „Wer war die Stasi?“; „Wie und wo agierte sie?“). Diese Methodik dient dazu, dem Besucher erst mal einen allgemeinen Überblick zu geben, welcher an späteren Stellen erweitert bzw. vertieft werden kann – je nach den Vorstellungen des Besuchers, ob er einen Teilrundgang oder eine Gesamtbesichtigung durchführen möchte. Anhand der Anschlussfragen erläutert die Ausstellung u.a. die Prägungen der Stasi-Gründergeneration, das Selbstverständnis der Stasi und ihre Verwurzelung in der tschekistischen Ideologie. Wichtig und erwähnenswert finde ich die Absicht, dem Besucher die Menschen hinter dem Stasi-Apparat vorzustellen und dadurch die Schwelle vom Abstrakten zum Konkreten zu überwinden.

Die sog. Baukasten-Ausstellungen des BStU stellen ein modulares Ausstellungssystem dar, in welchem die einzelnen Module vielseitig miteinander kombinierbar sind. Das Basis- Modul, welches Grundkenntnisse zum MfS bündelt, kann durch verschiedene Vertiefungsbausteine erweitert werden: Diese behandeln verschiedene Themen, Biografien bzw. historisch-politische Ereignisse. Diese Auffassung der Ausstellungsgestaltung kann in der Praxis unserer Stiftung ebenfalls gut angewendet werden.

Ein bewährtes Instrument der Ausstellungskonzipierung bzw. –gestaltung beim BStU ist das sog. Drehbuch-Format. Dabei werden die Inhalte der einzelnen Ausstellungstafeln nach Kategorien, Ausstellungstexten und Quellen in tabellarischer Form geordnet. Diese Methode verschafft einen logischen Überblick über die ganze Ausstellung und ermöglicht die konsequente Bearbeitung des Werkes im Laufenden. Ebenfalls eine Herangehensweise, die ich als Erfahrung gerne mit nach Hause nehme.

Studieren von pädagogischen Begleitmaterialien (Themenmappen, Foliensätze, Fallbeispiele für den Unterricht)

Bezüglich der Bildungsarbeit des BStU konnte ich mit Herrn Dr. Axel Janowitz, dem Sachgebietsleiter Bildungsarbeit/Archivpädagogik ein aufschlussreiches Gespräch führen. Herr Dr. Janowitz hat mir die Schwerpunkte seiner Tätigkeit geschildert und mich dabei mit etlichen Materialien versorgt.

Der BStU stellt umfangreiche und aus pädagogischer Hinsicht äußerst nützliche Unterrichtsmaterialien (sog. Themenmappen) zu verschiedenen Teilen der Stasi-Geschichte zusammen. Diese werden z. T. in didaktische Einheiten wie Einstieg, Aufstieg und Ausstieg gegliedert, um zur effizienten Aufarbeitung des behandelten Themas beizutragen.

Die Mappen bestehen meistens aus Kopien von Stasi-Unterlagen, zu denen je nach Abschnitten Arbeitsaufträge angeboten werden. Dabei wird nicht nur auf die formale Logik der Schüler*innen gezielt, sondern es wird auch auf deren Einfühlungsvermögen (z. B. bei der Bewertung von Charaktereigenschaften) und kreatives Denken (z. B. bei der imaginären Weiterführung der Lebenswege von Betroffenen) großer Wert gelegt. Einfache und komplexere Fragen werden zur Gruppendiskussion vorgeschlagen, mit dem Ziel, durch die gemeinsame Bewertung von historischen Geschehnissen letztendlich die individuelle Aufarbeitung der Stasi-Jahrzehnte zu fördern.

Die Ausstellung „Staatssicherheit in der SED-Diktatur“ im Stasimuseum kann von den Schüler*innen anhand von verschiedenen Aufgabenblättern verinnerlicht werden. Diese Blätter sind thematisch zusammengestellt und veranlassen die Jugendlichen zu einer vertieften Projektarbeit und zu gründlichen Überlegungen.

Ich bin mir sicher, dass unsere ungarische Stiftung bei der Weiterentwicklung ihrer Bildungsarbeit aus diesen Materialien viel profitieren kann.

Danksagung

Während meines Aufenthalts beim Fachbereich BF 3 der Behörde des BStU war ich bestens aufgehoben. Ich habe mit Frau Dr. Camphausen interessante Gespräche über den Stand der Vergangenheitsaufarbeitung in Deutschland und Ungarn geführt und dabei viel dazugelernt. Ich hoffe, dass ich auch mit einigen nützlichen Informationen dienen konnte. Wir streben einen fortwährenden Austausch untereinander ausdrücklich an. Ich konnte außerdem an Fachbereichssitzungen teilnehmen und mir wurde ein gut ausgestatteter Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Ich habe sowohl in fachlicher als auch in organisatorischer Hinsicht großartige Unterstützung erhalten, wofür ich mich vor allem bei Frau Dr. Camphausen, der Behörde des BStU und der Robert-Havemann-Gesellschaft auch auf diesem Wege herzlich bedanke.

Mein besonderer Dank gilt der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, dass sie mir diese lehrreiche Zeit in Berlin durch ihre Förderung möglich gemacht hat. Ich werde dieses Austauschprogramm in guter Erinnerung behalten und anderen Interessierten weiterempfehlen.

Dieser Bericht stellt keine Meinungsäußerung der Bundesstiftung Aufarbeitung dar.

Interview

Interview mit Szilárd Mészáros