Gulag. Dieses Wort ist bis heute mit unmenschlichen Haftbedingungen und Tod verbunden. Insgesamt etwa 20 Millionen Menschen durchliefen dieses unmenschliche System bis zur Mitte der 1950er Jahre, welches zu diesem Zeitpunkt mehr als 200 Standorte, zumeist in den unwirtlichen Gegenden Sibiriens und des Hohen Nordens, umfasste. Anhand der Geschichte des Karagandinsker Besserungsarbeitslagers (Karlag) schildert Dr. Meinhard Stark die Entstehung und die Entwicklung des Gulag-Systems bis 1960. Dabei kommen Zeitzeugen aus unserem Gulag-Archiv zu Wort.
Der Gulag war eines der größten und am längsten bestehenden Haftlagersysteme der Menschheitsgeschichte. Mehr als 18 Millionen Frauen und Männer vegetierten zwischen Mitte der 1920er und Ende der 1950er Jahren in mehr als 470 Lagerkomplexen, mit Tausenden Haupt- und Zehntausenden Nebenlagern. Der Anteil der inhaftierten Frauen betrug drei bis vier Millionen.
Mit der Gründung des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten, NKWD, im Jahr 1934, entstand auch die dazugehörige „Hauptverwaltung Lager“, der alle Haftlager und Gefängnisse unterstellt wurden. Die russische Bezeichnung lautet „Glawnoe Uprawlenie Lagerei“. Deren Abkürzung GULag verwendete Alexander Solschenizyn als Titel für seine weltweit publizierte Beschreibung der sowjetischen Haftpraxis. Seit dem Erscheinen von „Archipel GULAG“ 1973 wird das Wort Gulag schlechthin als Bezeichnung für das gesamte sowjetische Lagersystem oder auch eines einzelnen Lagers gebraucht.
Anne Applebaum, Der GULAG, Berlin 2003.
Erinnerungsorte an den Massenterror 1937/38, Russische Föderation, hrsg. von Anna Kaminsky, bearbeitet von Ruth Gleinig und Ronny Heidenreich im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin 2007.
GULAG. Spuren und Zeugnisse 1929-1956, hrsg. von Volkhard Knigge und Irina Scherbakowa im Auftrag der Gesellschaft „Memorial“ Moskau und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Weimar 2012.
GULAG. Texte und Dokumente 1929-1956, hrsg. von Julia Landau und Irina Scherbakowa im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und der Gesellschaft „Memorial“ Moskau, Göttingen 2014.
Alexander Solschenizyn, Der Archipel GULAG, 1918-1956, Versuch einer künstlerischen Bewältigung, Bern, München 1974. (Und Folgebände)
Meinhard Stark, Frauen im GULag. Alltag und Überleben, 1936 bis 1956, München, Wien 2003.
Wladislaw Hedeler und Meinhard Stark, Das Grab in der Steppe. Leben im GULag. Die Geschichte eines sowjetischen „Besserungsarbeitslagers“ 1930-1959, Paderborn, München, Wien, Zürich 2008.
Wladislaw Hedeler (Hg., unter Mitarbeit von Meinhard Stark), Karlag, Das Karagandinsker „Besserungsarbeitslager“ 1930–1959, Dokumente zur Geschichte des Lagers, seiner Häftlinge und Bewacher, Paderborn München/Wien/Zürich 2008.
Meinhard Stark, Gulag-Kinder. Die vergessenen Opfer, Berlin 2013.
Meinhard Stark, Diese Zeilen sind mein ganzes Leben… Briefe aus dem Gulag. Mit unveröffentlichten Lagerbriefen von Jewgenia Ginsburg, Berlin 2019.
Das System der Besserungsarbeitslager in der Sowjetunion 1923-1960. Ein Handbuch, hrsg. von M. B. Smirnow, Berlin 2003
Margarete Buber-Neumann, Als Gefangene bei Stalin und Hitler, Eine Welt im Dunkel, München 1949.
Jewgenia Ginsburg, Marschroute eines Lebens, München, Zürich, 1989.
Jewgenia Ginsburg, Gratwanderung, München, Zürich 1991.
Peter Jakir, Kindheit in Gefangenschaft, Frankfurt am Main 1974.
Andreas Petersen, Deine Schnauze wird dir in Sibirien zufrieren. Ein Jahrhundertdiktat, Erwin Jöris, Wiesbaden 2012.
Jefrosinija A. Kersnowskaja, „Ach Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen“, Eine Bildchronik aus dem Gulag, Kiel 1991.
Lew Kopelew, Aufbewahren für alle Zeit!, Hamburg 1976.
Susanne Leonhard, Gestohlenes Leben, Schicksal einer politischen Emigrantin in der Sowjetunion, Frankfurt am Main 1956.
Elinor Lipper, Elf Jahre in sowjetischen Gefängnissen und Lagern, Zürich, Konstanz 1950.
Warlam Schalamow, Durch den Schnee. Erzählungen aus Kolyma 1, Berlin 2007. Linkes Ufer. Erzählungen aus Kolyma 2, Berlin 2009. Künstler der Schaufel. Erzählungen aus Kolyma 3, Berlin 2010 sowie Die Auferweckung der Lärche. Erzählungen aus Kolyma 4, Berlin 2011.
Horst Schüler, Workuta, Erinnerungen ohne Angst, München 1993.
Siehe weitere Erinnerungen in: Siegfried Jenkner, Erinnerungen politischer Häftlinge an den GULAG, Eine kommentierte Bibliographie, Dresden 2003.
Abram Berg kam 1912 im überwiegend von Russlanddeutschen bewohnten Dorf Blumenort im Gebiet Nikolaew in der Ukraine zur Welt. Sein Vater, ein Arzt, kam während des Bürgerkrieges ums Leben. Seit 1920 betrieb die Mutter mit ihren heranwachsenden Kindern Landwirtschaft. Abram Berg absolvierte eine höhere Schule und anschließend eine Ausbildung zum Facharbeiter für Tierproduktion. Seit 1932 arbeitete er als Zootechniker in verschiedenen landwirtschaftlichen Einrichtungen und Orten. Angehörige der Geheimpolizei, NKWD, verhafteten den 24-Jährigen im Januar 1936 und überführten ihn in die Stadt Dnjepropetrowsk. In einem Gruppenprozess wurden er und andere Personen wegen folgender, angeblich begangener Straftaten angeklagt: „Vorbereitung eines bewaffneten Aufstandes”, § 58/2 des Strafgesetzbuches der RSFSR, „Konterrevolutionäre Agitation”, § 58/10 sowie „Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation”, § 58/11. Im Mai 1936 verurteilte ihn das Gebietsgericht von Dnjepropetrowsk zu vier Jahre Haft und dem anschließenden Verlust seiner staatsbürgerlichen Rechte für zwei Jahre.
Seit Herbst 1936 leistete er diese Strafe im Karagandinsker Besserungsarbeitslager ab. Entsprechend seiner Qualifikation wurde Abram Berg als Zootechniker eingesetzt und gelangte als Funktionshäftling in eine privilegierte Stellung. Dadurch war er nicht den unmenschlichen Härten des Lageralltags ausgesetzt. Am 23. Januar 1940 wurde Abram Berg fristgerecht entlassen. Er entschloss sich, im Karlag zu bleiben und in seiner Funktion als leitender Zootechniker, nunmehr als Freier, weiter zu arbeiten. Seit 1944 musste er als Verbannter leben und sich monatlich auf einer Kommandantur des NKWD melden. Zudem durfte er seinen Wohnort nicht verlassen. Zwischenzeitlich war Abram Berg mit seiner Freu und seinen Söhnen mit behördlicher Genehmigung nach Karaganda umgezogen. Dort erlebte er auch die Aufhebung der Verbannung im Jahr 1956. Abram Berg war weiter als, teils leitender Zootechniker in verschieden Betrieben der Tierhaltung tätig und wurde Mitglied des wissenschaftlichen Allunionsverbandes für Viehzucht der UdSSR. Bezüglich seiner Verurteilung wurde er Mitte der 1960er Jahre von der Generalstaatsanwaltschaft der UdSSR vollständig rehabilitiert.
1991 gestatten die kasachischen Behörden die Ausreise der Familie Berg in die Bundesrepublik Deutschland. Abram Berg verstarb 1993 in Köln.
Lebensstationen von Abram Berg
Margarete Buber-Neumann wurde 1901 als Margarete Thüring in Potsdam geboren. Ihr Vater war Brauereidirektor, ihre Mutter Hausfrau. Nach dem Besuch einer höheren Schule machte sie eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Über die Wandervogelbewegung kam sie mit sozialistischen Ideen in Kontakt und trat 1921 dem Kommunistischen Jugendverband, fünf Jahre später auch der Kommunistischen Partei Deutschlands bei. Von 1922 bis 1929 war sie mit Rafael Buber verheiratet; aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. Margarete Buber arbeitete seit 1928 für die „Internationale Pressekorrespondenz“ der Kommunistischen Internationale. Dort lernte sie Heinz Neumann kennen, der Mitglied des Politbüros der KPD und Reichstagsabgeordneter war. Bald wurde die junge Frau seine Lebensgefährtin. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebten beide in der Schweiz, seit 1935 in der UdSSR. Heinz Neumann wurde 1937 während des Großen Terrors verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Im Rahmen der Verfolgung von Ehefrauen Verurteilter nahm das NKWD auch Margarete Buber-Neumann in Haft und verurteilte sie als „sozial-gefährliches Element“ zu fünf Jahren Gewahrsam. Im Winter 1938 traf sie im Karagandinsker Besserungsarbeitslager ein. Hier verrichtete sie überwiegend Zwangsarbeit in der Landwirtschaft. Nach Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes 1939 wurde Margarete Buber-Neumann ein Jahr später an Nazi-Deutschland ausgeliefert und als ehemaliges Mitglied der KPD ohne Verurteilung in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Dort erlebte sie verschiedenste Anfeindung einstiger Genossinnen, die bis zur Befreiung des Lagers im April 1945 anhielten. Anschließend wechselte Margarete Buber-Neumann in die westlichen Besatzungszonen und wurde publizistisch tätig. Bereits 1949 veröffentlichte sie ihre Hafterfahrungen unter dem Titel „Als Gefangene bei Stalin und Hitler. Eine Welt im Dunkel“. Weitere Bücher und Aufsätze folgten, in denen sie biographische Erfahrungen verarbeitete und sich gegen jedwede Form politischer Diktatur wandte. Die SED-Führung ließ die aufrechte Publizistin auch in der Bundesrepublik von Emissären der DDR-Staatssicherheit observieren und diskreditieren. Die Bundesrepublik Deutschland verlieh Margarete Buber-Neumann 1980 für ihr publizistisches Lebenswerk das Große Bundesverdienstkreuz. Sie starb 1989 in Frankfurt am Main.
Lebensstationen von Margarete Buber-Neumann
Der Russlanddeutsche ist 1920 in Bessabotowka, einem Dorf nahe Donezk in der Ukraine geboren. Er besuchte eine höhere Schule auf der Krim und begann in Saratow ein Studium der Germanistik. 1938 verpflichtete ihn das NKWD als Zuträger bzw. informeller Mitarbeiter für die Geheimpolizei zu arbeiten, um seine Kommilitonen auszuspionieren. Wenig später enttarnte sich Artur Hörmann und offenbarte anderen gegenüber seine geheime Tätigkeit. Daraufhin verhaftete ihn im Mai 1939 das NKWD und verurteilte ihn wegen des „Verrates von Staatsgeheimnissen“ und „Antisowjetischer Agitation“ zu drei Jahren Haft. Zunächst wurde er in ein Besserungsarbeitslager bei Archangelsk, im Norden der UdSSR, deportiert. Lange Zeit leistete Artur Hörmann schwere Zwangsarbeit beim Gleis- und Eisenbahnbau. Da er leidlich Geige spielen konnte, wurde er in eine Kulturbrigade versetzt, die musikalische Auftritte im Lager absolvierte. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die UdSSR wurde er wie alle anderen Russlanddeutschen isoliert und einer strengeren Haftordnung sowie schwerer Zwangsarbeit ausgesetzt. 1944 verlegte man Artur Hörmann in das Karagandinsker Besserungsarbeitslager. In den ersten Monaten arbeitete er in der Landwirtschaft. Ab Herbst des gleichen Jahres wurde er wieder als Geiger eingesetzt; nunmehr im zentralen Kulturensemble des Karlag in Dolinka. Während des Krieges wurden von der Moskauer Administration jegliche Entlassungen von politischen Gulag-Häftlingen ausgesetzt. So wurde Artur Hörmann nicht 1942, nach der Absolvierung seiner dreijährigen Strafe entlassen, sondern erst 1946; nach sieben Jahren. Auf die Lagerhaft folgte „Verbannung auf ewig“ in der kasachischen Stadt Temirtau. Artur Hörmann schlug sich als Gelegenheitsmusiker durch bis er Mitglied eines Theaterensembles wurde. Zusätzlich absolvierte er ein Fernstudium für Lehrer der Russischen Sprache, das er 1955 erfolgreich abschloss. Ein Jahr zuvor war seine Verbannung aufgehoben worden. 1955 bis 1958 studierte Artur Hörmann extern noch englische Sprache. Anschließend übersiedelte er nach Karaganda und wurde Sprachlehrer im Bergbautechnikum. Von 1974 bis 1985 war er teils hauptamtlicher Korrespondent der deutschsprachigen Zeitung „Freundschaft“. Als Pensionär lebte er weiter in Karaganda, seit 1991 in der Ukraine. Seine Übersiedlung nach Deutschland erfolgte 1995; fortan lebte er in Meschede. Hier veröffentliche Artur Hörmann vier Jahre später seinen Bericht „Aber die Heimat winkte in der Ferne“ im Selbstverlag. Zudem hat er in der Dokumentation „Gefangen in der Hungersteppe“ von Achim Engelberg und Günter Heinzel, MDR 2008, mitgewirkt. Im Jahr 2011 ist Artur Hörmann verstorben.
Lebensstationen von Artur Hörmann
Die Russlanddeutsche ist 1926 in dem deutschen Dorf Georgstal, Gebiet Saporoschje, Ukraine, zur Welt gekommen. Ihre Eltern betrieben Landwirtschaft. Seit dem 11. Lebensjahr besuchte Olga eine deutsche Internatsschule in Friedenfeld, 25 km vom Dorf entfernt. Durch die Kriegsereignisse wurde die Familie getrennt. Die Mutter gelangte mit dem Sohn in das sowjetische Hinterland; beide wurden im Oktober 1941 nach Kasachstan verbannt. Örtliche deutsche Besatzungstruppen verpflichteten indes die 16-jährige Olga als Dolmetscherin in einer lokalen Eisenbahnverwaltung unter deutscher Hoheit zu arbeiten. Mit Beginn des Vormarsches der Roten Armee 1944 zog sich die junge Frau mit den deutschen Truppen zurück und kam mit ihrer Dienststelle schließlich nach Halle an der Saale. Dort war Olga Schmidt weiter für die Eisenbahnbehörde tätig. Im April 1946 wurde sie von sowjetischen Besatzungssoldaten verhaftet und im August des gleichen Jahres von einem Sowjetischen Militärtribunal wegen „Verrat der Heimat“ zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Anschließend wurde sie in die UdSSR zurückgeführt. Zunächst kam sie in ein Besserungsarbeitslager bei Solikamsk am Fuße des Urals und war beim Holzeinschlag eingesetzt. Da sie eine Spitzeltätigkeit für das NKWD verweigerte, verlegte man sie 1950 in das Karagandinsker Besserungsarbeitslager. Anfangs verrichtete die 24-Jährige Zwangsarbeit beim Lehmabbau. Bald verlegte man sie in ein Sonderlager für „Vaterlandsverräter“ bei Karabas. Die ausschließlich weiblichen Häftlinge mussten im nahegelegenen Steinbruch schuften und mit dem gebrochenen Gestein Waggons und Lastkraftwagen beladen. Olga Schmidt wurde bald als Rechnungsführerin für zehn Brigaden im Steinbruch eingesetzt und kümmerte sich um deren Arbeitsabrechnung. 1954 wurde sie vorfristig entlassen, da sie zur „Tatzeit“ – ihrer Dienstverpflichtung als Übersetzerin – noch minderjährig war. Sie folgte ihrer Mutter in das Verbannungsgebiet Semipalatinsk. Dort heiratete sie ein Jahr später einen Russlanddeutschen, der von 1942 bis 1948 in der sowjetischen Arbeitsarmee Zwangsarbeit in einer Kohlengrube verrichtete. Die Verbannung wurde 1956 aufgehoben. Ihr Kinderwunsch blieb leider unerfüllt. So adoptierten beide 1965 ein Mädchen aus der Verwandtschaft, deren Eltern früh verstorben waren. Die Familie lebte bis zu ihrer Ausreise nach Deutschland 1989 in Kasachstan. Olga Schmidt verstarb im Jahr 2023.
Lebensstationen von Olga Schmidt
Der Russlanddeutsche kam 1923 in Konteniusfeld im Gebiet Saporoschje, Ukraine, zur Welt. Er wuchs in einer bäuerlichen Familie mit zwei weiteren Geschwistern heran. Sein Vater wurde 1937 von sowjetischen Sicherheitsorganen verhaftet und ein Jahr später erschossen. Heinrich Siebert besuchte eine Mittelschule und war danach als Pferdewächter in der örtlichen Kolchose tätig. Nach der Besetzung der Ukrainischen Sowjetrepublik durch deutsche Truppen 1941 wurde er als Volksdeutscher in die Waffen-SS eingezogen und war zunächst im SS-Kommando „R“ der „Zentrale der Volksdeutschen Mittelstelle“. Schwer verwundet, verbrachte er 18 Monate in einem Berliner Lazarett. Danach erfolgte sein weiterer Einsatz in Südosteuropa. Das Kriegsende erlebte Heinrich Siebert in Delitzsch bei Leipzig, in der Amerikanischen Besatzungszone. Im Sommer wurde der Ort von sowjetischen Truppen besetzt, die alle ehemaligen Sowjetbürger sammelten und in die UdSSR zurückbrachten. Heinrich Siebert kam zunächst als Verbannter in ein Arbeitslager im Gebiet Molotow, heute Perm. Ende 1945 gestattete man ihm, in den Verbannungsort seiner Mutter, einem Dorf bei Akmolinsk in Kasachstan, umzusiedeln. Angehörige der Geheimpolizei, NKWD, verhafteten ihn dort im Mai 1946. Ein NKWD-Sondergericht verurteilte den 23-Jährigen nach § 58.1a StGB wegen „Verrat der Heimat“ zu zehn Jahren Haft, die er im Karagandinsker Besserungsarbeitslager verbrachte. In den ersten beiden Haftjahren leistete er teils schwere Zwangsarbeit im Tiefbau und in der Feldwirtschaft. Durch Bestechung gelang es ihm, ohne jegliche handwerkliche Vorkenntnisse, an eine Arbeit in der Schmiede zu kommen. Dort erlernte er alle Tätigkeiten eines Stellmachers und erwarb sich bei seinen Mithäftlingen und den Lagervorgesetzten einen guten Ruf. Ab 1954 war er Leiter einer kleinen Elektrostation für eine Tierfarm. Unter Anerkennung herausgearbeiteter Arbeits- bzw. Hafttage kam Heinrich Siebert im April 1955 vorfristig frei. Er entschied sich, am Haftort zu bleiben und als Freier seine Arbeit fortzusetzen, um dadurch der drohenden Verbannung zu entgehen. Dort heiratete er auch seine Frau Wasilissa, eine Ukrainerin, die er bereits im Lager kennengelernt hatte. Nach der allgemeinen Abschaffung der Verbannung für Russlanddeutsche zog das Paar mit ihren beiden Söhnen 1957 nach Karaganda. Hier arbeitete Heinrich Siebert in verschiedenen technischen Berufen und wurde 1961 als „Bester Arbeiter“ ausgezeichnet. Von 1983 bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland 1989 lebte die Familie in Lettland. Heinrich Siebert verstarb im Jahr 2014 in Ulmen.
Lebensstationen von Heinrich Siebert