Gulag. Dieses Wort ist bis heute mit unmenschlichen Haftbedingungen und Tod verbunden. Insgesamt etwa 20 Millionen Menschen durchliefen dieses unmenschliche System bis zur Mitte der 1950er Jahre, welches zu diesem Zeitpunkt mehr als 200 Standorte, zumeist in den unwirtlichen Gegenden Sibiriens und des Hohen Nordens, umfasste. Anhand der Geschichte des Karagandinsker Besserungsarbeitslagers (Karlag) schildert Dr. Meinhard Stark die Entstehung und die Entwicklung des Gulag-Systems bis 1960. Dabei kommen Zeitzeugen aus unserem Gulag-Archiv zu Wort.

 

Chronik und Literaturhinweise
Vorbemerkungen

Der Gulag war eines der größten und am längsten bestehenden Haftlagersysteme der Menschheitsgeschichte. Mehr als 18 Millionen Frauen und Männer vegetierten zwischen Mitte der 1920er und Ende der 1950er Jahren in mehr als 470 Lagerkomplexen, mit Tausenden Haupt- und Zehntausenden Nebenlagern. Der Anteil der inhaftierten Frauen betrug drei bis vier Millionen.
Mit der Gründung des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten, NKWD, im Jahr 1934, entstand auch die dazugehörige „Hauptverwaltung Lager“, der alle Haftlager und Gefängnisse unterstellt wurden. Die russische Bezeichnung lautet „Glawnoe Uprawlenie Lagerei“. Deren Abkürzung GULag verwendete Alexander Solschenizyn als Titel für seine weltweit publizierte Beschreibung der sowjetischen Haftpraxis. Seit dem Erscheinen von „Archipel GULAG“ 1973 wird das Wort Gulag schlechthin als Bezeichnung für das gesamte sowjetische Lagersystem oder auch eines einzelnen Lagers gebraucht.

Chronik
  • 25. Oktober 1917: Oktoberrevolution in Petrograd (St. Petersburg) - Sturz der provisorischen Regierung, Machtübernahme durch die bolschewistische Partei und Errichtung einer Sowjet-Diktatur unter der Führung von Wladimir Iljitsch Lenin.
  • Frühjahr 1918-1920: Erbarmungsloser Bürgerkrieg zwischen Befürwortern und Gegnern der neuen politischen Entwicklung.
  • 9. August 1918: Telegramm Lenins: „Zwielichtige Personen“ sind in „Konzentrationslagern“ einzusperren.
  • 5. September 1918: Erlass „Über den Roten Terror“ – Danach ist „Die Sowjetrepublik vor ihren Klassenfeinden zu schützen, indem diese in Konzentrationslagern isoliert werden.“ Daraufhin entstanden vielerorts „Isolationslager“, oft als spontane Gründungen lokaler Sowjetorgane.
  • 1921: Auflösung vieler der improvisierten Haftlager. Die verbliebenen Gefängnisse und Haftorte wurden teils dem Volkskommissariat für Justiz, teils dem für Innere Angelegenheiten unterstellt.
  • 1922: Die Zahl der Gefangenen umfasste allein auf dem Gebiet der Russischen Föderativen Sowjetrepublik 80.000.
  • 1923: Gründung des ersten Haftlagers sowjetischen Typs auf einer Inselgruppe im Weißen Meer, nahe am Polarkreis. Die offizielle Bezeichnung: „Solowezki-Lager zur besonderen Verwendung“ – kurz SLON.
  • 1927: Die Anzahl der Häftlinge in der Sowjetunion betrug ca. 200.000.
  • 1931: Allein im SLON waren annährend 72.000 Gefangene, zum überwiegenden Teil Politische, inhaftiert. Das Solowezki-Lager wurde in den 1920er Jahren zum wichtigsten und größten Haftort in der UdSSR. Es entwickelte sich zum Laboratorium, zur menschlichen Versuchsstation für den sich wenige Jahre später über die ganze Sowjetunion ausbreitenden Archipel Gulag.
  • 1928-1933: Der erste Fünfjahrplan für die sowjetische Wirtschaft strebte eine Steigerung der Industrieproduktion auf 230 % des Niveaus von 1927/28 an.
  • 13. Mai 1929: Weisung Stalins, nach der die Arbeitskraft der zu mehr als drei Jahren Haft verurteilten Sowjetbürger auszunutzen sei.
  • 7. Dezember 1929: Erlass der Regierung der UdSSR zur Errichtung neuer Haftlager im asiatischen Teil der UdSSR; so in Sibirien, im Fernen Osten und in der Sowjetrepublik Kasachstan.
  • 7. April 1930: Erlass der Regierung der UdSSR über das Statut der „Besserungsarbeitslager“. Die Haftintentionen lautete: „Besserung durch Arbeit“.
  • 19. April 1930: Ankündigung aus Moskau über die ersten Häftlingstransporte nach Kasachstan.
  • 13. Mai 1930: Die sowjetische Regierung übertrug für das vorgesehene Haftlager eine „Bodenfläche von 110.000 ha (…) zur unentgeltlichen und unbefristeten Nutzung“. Schrittweise Entstehung und Ausbau des „Karagandinsker Besserungsarbeitslager“, kurz Karlag. Um die sich entwickelnde Stadt Karaganda befand sich das drittgrößte Kohlevorkommen der UdSSR. Die Häftlinge des Karlag sollten die Versorgung der künftigen Bergleute mit Lebensmitteln und anderen Gebrauchsgütern sicherstellen und dafür die Steppe Kasachstans kultivieren.
  • Sommer 1931: Verlegung des Sitzes der Karlag-Verwaltung nach Dolinka, ein Dorf ca. 30 Kilometer südwestlich von Karaganda. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich annähernd 10.000 Häftlinge im Karlag.
  • 1931-1933: Errichtung des 227 km langen Weißmeer-Ostsee-Kanals, russisch „Belomorkanal, ausschließlich auf der Grundlage von Häftlings-Zwangsarbeit unter der alleinigen Verantwortung der Sicherheitsorgane.
  • 1934: Gründung des NKWD, dem wichtigsten Terrorinstrument des Diktators Stalin, sowie der „Hauptverwaltung Lager“. Der Moskauer Lagerhauptverwaltung unterstanden 14 Lagerkomplexe. Die Anzahl der Gefangenen stieg zwischen 1931 und 1939 von 268.700 auf 1.659.992. Das war eine Steigerung um mehr als das sechsfache.
  • 1933-1938: Im Karlag entstanden an verschiedenen Orten mehrere  Lager- bzw. Produktionsabteilungen, die auch als Hauptlager bezeichnet werden können. Zwischen 24.000 und 40.000 Häftlinge leisteten Zwangsarbeit, überwiegend bei der Kultivierung der Steppe, der landwirtschaftlichen Produktion, der Versorgung Tausender Rinder und Schafe sowie dem Ausbau der Infrastruktur des Lagers. Außerdem errichteten Häftlinge einen fleischverarbeitenden Betrieb, eine Lederfabrik, eine Ziegelei, mehrere Reparaturwerkstätten, eine Filzwalkerei, Getreide- und Ölmühlen, eine Näherei, eine Bäckerei sowie eine Wetterstation und eine Telefonzentrale.
  • 1937/38: Jahre des „Großes Terrors“ in der Sowjetunion. Vom 10. August bis 31. Dezember 1937 wurden 365 Häftlinge im Karlag erschossen; vom 15. Januar bis 21. März 1938 waren es 261.
  • 1940: Das Territorium des Karlag hatte eine Nord-Süd-Ausdehnung von 260 km; von Osten nach Westen erstreckte es sich bis zu 130 km. Mit annähernd 16.000 Quadratkilometern war es etwa so groß wie das heutige Bundesland Thüringen. Karlag-Häftlinge hatten bis dahin bereits über 78.000 ha Steppe urbar gemacht. In den zahlreichen Haupt- und Nebenlagern schufteten fast 32.000 Gefangene. Mehr als die Hälfte, etwa 17.000, waren Frauen. Der Tierbestand wuchs auf annähernd 150.000 Schafe und 27.000 Rinder.
  • 7. Februar 1940: Befehl des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten, Berija, „Über die Verbesserung der operativen Agenturarbeit in den Besserungsarbeitslagern und -kolonien des NKWD“. Im Mittelpunkt stand die Schaffung eines effektiveren „Netzes von Informanten“, die über „Stimmungen und Meinungen der Häftlinge aussagefähig“ sein sollten.
  • 22. Juni 1941: Überfall deutscher Truppen auf die Sowjetunion.
  • 1942: Verringerung der Verpflegungsration gegenüber 1939. Bei Roggenbrot von 1.200 auf 700 Gramm; bei Weizenmehl von 60 auf 10 Gramm, bei Grütze bzw. Makkaroni von 140 auf 85 Gramm sowie bei Fleisch oder Fleischprodukten von 30 auf 20 Gramm. Der Energiegehalt der täglichen Verpflegung sank von 3.901 auf 2.213 Kilokalorien.
  • 1942/43: In den Kriegsjahren verloren nach offiziellen Angaben über 20 Prozent der Gefangenen ihr Leben; so auch im Karlag. Entlassungen politischer Häftlinge wurden während des Krieges ausgesetzt und erfolgten frühestens ab 1946.
  • 1948: Das Karagandinsker Besserungsarbeitslager verzeichnete die höchste Häftlingsbelegung seiner Geschichte. Auf 30 Haft- bzw. Produktionsabteilungen verteilt, schufteten 65.000 Gefangene. In der Nachkriegszeit starben im Karlag annähernd 6.000 Häftlinge.
  • 1950: Die Moskauer Hauptverwaltung Lager vermeldete die größte Anzahl Gefangener in ihrer Geschichte: 2.561.351 Menschen, eine Million mehr als 1945.
  • 1951: Über 45.000 Häftlinge leisteten im Karlag, verteilt auf 25 Lagerabteilungen mit 192 Fabrikationszweigen, Zwangsarbeit. 60 Prozent der Produktion konzentrierte sich auf die Landwirtschaft – jeweils zur Hälfte Viehzucht und Pflanzenproduktion. Die Erzeugung handwerklicher bzw. industrieller Produkte betrug ca. 40 Prozent und umfasste Metall- und Holzverarbeitung sowie die Herstellung von Lebensmitteln und Baumaterialien.
  • 1951-1953: Die Anzahl der Häftlinge im Gulag betrug in diesen Jahren gleichbleibend um 2,5 Millionen.
  • 5. März 1953: Tod des sowjetischen Diktators Josef Wissarionowitsch Stalin.
    Eine daraufhin erfolgte Amnestie betraf ausschließlich kriminelle Häftlinge.
  • März 1953: Nachdem der Moskauer Administration die ökonomische Ineffizienz des Gulags immer deutlicher wurde, verfügte man die Einstellung mehrere Großbauprojekte. Das Personal umfasste zu dieser Zeit in allen Lagern und Verwaltungen des Gulags ca. 300.000 feste Mitarbeiter; die jeden Monat ihren nicht geringen Sold erwarteten.
  • August 1953: Häftlingsstreiks und –aufstände in Norilsk und Workuta, später auch andernorts. Die politischen Gefangenen fordern eine Liberalisierung der Haftordnung, den Achtstundentag sowie die Überprüfung ihrer Verurteilungen mit der Konsequenz einer umfassenden Amnestie.
  • Dezember 1953: Die Anzahl der großen Lager wurde von 175 auf 68 reduziert. Das Karagandinsker Besserungsarbeitslager blieb bestehen.
  • 1954-1956: Schrittweise Entlassung von politischen Häftlingen. Bis Anfang 1956 waren etwa drei Viertel entlassen, weitere folgten danach.
  • 31. Januar 1956: Entscheidung der sowjetischen Führung, den Gulag als komplexes Lagersystem schrittweise aufzulösen.
  • 1956 bis 1959: Auflösung des Karagandinsker Besserungsarbeitslagers. Als offizielles Datum der Schließung des Karlag ist der 27. Juli 1959 angegeben. Das Lager bestand von 1930 und 1959; annährend 800.000 Frauen und Männer durchliefen den Haftort in der kasachischen Steppe.
    Aus den landwirtschaftlich geprägten Lagerstandorten des Karlags gingen mehr als 50 Staatsgüter der Tier- und Pflanzenproduktion hervor. Die meisten Baracken und Verwaltungsbauten ließ man abreißen und noch intaktes Baumaterial für Neubauten verwenden. Das Gelände der einzelnen Lager verwahrloste als Brache oder wurde völlig mit zivilen Gebäuden überbaut. Die Spuren der meisten Haftorte sind völlig verwischt.
Wichtige Gedenkstätten und Denkmale in der heutigen Republik Kasachstan
  • Memorial für die Opfer der politischen Repressionen in der Hauptstadt Astana
  • Museum des Karagandinsker Besserungsarbeitslagers in Dolinka bei Karaganda
  • Gedenkstätte für das „Akmolinsker Lager für Ehefrauen von Vaterlandsverrätern“ (ALSCHIR) in Malinowka bei Astana
     
Zum Gulag

Anne Applebaum, Der GULAG, Berlin 2003.

Erinnerungsorte an den Massenterror 1937/38, Russische Föderation, hrsg. von Anna Kaminsky, bearbeitet von Ruth Gleinig und Ronny Heidenreich im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin 2007.

GULAG. Spuren und Zeugnisse 1929-1956, hrsg. von Volkhard Knigge und Irina Scherbakowa im Auftrag der Gesellschaft „Memorial“ Moskau und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Weimar 2012.

GULAG. Texte und Dokumente 1929-1956, hrsg. von Julia Landau und Irina Scherbakowa im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und der Gesellschaft „Memorial“ Moskau, Göttingen 2014.

Alexander Solschenizyn, Der Archipel GULAG, 1918-1956, Versuch einer künstlerischen Bewältigung, Bern, München 1974. (Und Folgebände)

Meinhard Stark, Frauen im GULag. Alltag und Überleben, 1936 bis 1956, München, Wien 2003.

Wladislaw Hedeler und Meinhard Stark, Das Grab in der Steppe. Leben im GULag. Die Geschichte eines sowjetischen „Besserungsarbeitslagers“ 1930-1959, Paderborn, München, Wien, Zürich 2008.

Wladislaw Hedeler (Hg., unter Mitarbeit von Meinhard Stark), Karlag, Das Karagandinsker „Besserungsarbeitslager“ 1930–1959, Dokumente zur Geschichte des Lagers, seiner Häftlinge und Bewacher, Paderborn München/Wien/Zürich 2008.

Meinhard Stark, Gulag-Kinder. Die vergessenen Opfer, Berlin 2013.

Meinhard Stark, Diese Zeilen sind mein ganzes Leben… Briefe aus dem Gulag. Mit unveröffentlichten Lagerbriefen von Jewgenia Ginsburg, Berlin 2019.

Das System der Besserungsarbeitslager in der Sowjetunion 1923-1960. Ein Handbuch, hrsg. von M. B. Smirnow, Berlin 2003

Biographische Erinnerungen ehemaliger Gulag-Häftlinge

Margarete Buber-Neumann, Als Gefangene bei Stalin und Hitler, Eine Welt im Dunkel, München 1949.

Jewgenia Ginsburg, Marschroute eines Lebens, München, Zürich, 1989.

Jewgenia Ginsburg, Gratwanderung, München, Zürich 1991.

Peter Jakir, Kindheit in Gefangenschaft, Frankfurt am Main 1974.

Andreas Petersen, Deine Schnauze wird dir in Sibirien zufrieren. Ein Jahrhundertdiktat, Erwin Jöris, Wiesbaden 2012.

Jefrosinija A. Kersnowskaja, „Ach Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen“, Eine Bildchronik aus dem Gulag, Kiel 1991.

Lew Kopelew, Aufbewahren für alle Zeit!, Hamburg 1976.

Susanne Leonhard, Gestohlenes Leben, Schicksal einer politischen Emigrantin in der Sowjetunion, Frankfurt am Main 1956.

Elinor Lipper, Elf Jahre in sowjetischen Gefängnissen und Lagern, Zürich, Konstanz 1950.

Warlam Schalamow, Durch den Schnee. Erzählungen aus Kolyma 1, Berlin 2007. Linkes Ufer. Erzählungen aus Kolyma 2, Berlin 2009. Künstler der Schaufel. Erzählungen aus Kolyma 3, Berlin 2010 sowie Die Auferweckung der Lärche. Erzählungen aus Kolyma 4, Berlin 2011.

Horst Schüler, Workuta, Erinnerungen ohne Angst, München 1993.

Siehe weitere Erinnerungen in: Siegfried Jenkner, Erinnerungen politischer Häftlinge an den GULAG, Eine kommentierte Bibliographie, Dresden 2003.

Dokumentar-Feature

Hören Sie sich das Dokumentar-Feature "Das Straflager in der Steppe. Die Geschichte eines sowjetischen Gulags. 1930 bis 1960" in unserer Mediathek an.
Häftlingsbaracke. Einfaches Gebäude mit Bretterzaun davor.
Dokumente, Kurzbiografien und Lebensstationen

Abram Berg kam 1912 im überwiegend von Russlanddeutschen bewohnten Dorf Blumenort im Gebiet Nikolaew in der Ukraine zur Welt. Sein Vater, ein Arzt, kam während des Bürgerkrieges ums Leben. Seit 1920 betrieb die Mutter mit ihren heranwachsenden Kindern Landwirtschaft. Abram Berg absolvierte eine höhere Schule und anschließend eine Ausbildung zum Facharbeiter für Tierproduktion. Seit 1932 arbeitete er als Zootechniker in verschiedenen landwirtschaftlichen Einrichtungen und Orten. Angehörige der Geheimpolizei, NKWD, verhafteten den 24-Jährigen im Januar 1936 und überführten ihn in die Stadt Dnjepropetrowsk. In einem Gruppenprozess wurden er und andere Personen wegen folgender, angeblich begangener Straftaten angeklagt: „Vorbereitung eines bewaffneten Aufstandes”, § 58/2 des Strafgesetzbuches der RSFSR, „Konterrevolutionäre Agitation”, § 58/10 sowie „Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation”, § 58/11. Im Mai 1936 verurteilte ihn das Gebietsgericht von Dnjepropetrowsk zu vier Jahre Haft und dem anschließenden Verlust seiner staatsbürgerlichen Rechte für zwei Jahre.

Seit Herbst 1936 leistete er diese Strafe im Karagandinsker Besserungsarbeitslager ab. Entsprechend seiner Qualifikation wurde Abram Berg als Zootechniker eingesetzt und gelangte als Funktionshäftling in eine privilegierte Stellung. Dadurch war er nicht den unmenschlichen Härten des Lageralltags ausgesetzt. Am 23. Januar 1940 wurde Abram Berg fristgerecht entlassen. Er entschloss sich, im Karlag zu bleiben und in seiner Funktion als leitender Zootechniker, nunmehr als Freier, weiter zu arbeiten. Seit 1944 musste er als Verbannter leben und sich monatlich auf einer Kommandantur des NKWD melden. Zudem durfte er seinen Wohnort nicht verlassen. Zwischenzeitlich war Abram Berg mit seiner Freu und seinen Söhnen mit behördlicher Genehmigung nach Karaganda umgezogen. Dort erlebte er auch die Aufhebung der Verbannung im Jahr 1956. Abram Berg war weiter als, teils leitender Zootechniker in verschieden Betrieben der Tierhaltung tätig und wurde Mitglied des wissenschaftlichen Allunionsverbandes für Viehzucht der UdSSR. Bezüglich seiner Verurteilung wurde er Mitte der 1960er Jahre von der Generalstaatsanwaltschaft der UdSSR vollständig rehabilitiert.

1991 gestatten die kasachischen Behörden die Ausreise der Familie Berg in die Bundesrepublik Deutschland. Abram Berg verstarb 1993 in Köln.

Lebensstationen

Lebensstationen von Abram Berg

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Buch von Margarete Buber-Neumann: Als Gefangene bei Stalin und Hitler. Eine Welt im Dunkel
Margarete Buber-Neumann: Als Gefangene bei Stalin und Hitler. © Bundesstiftung Aufarbeitung/Gulag-Archiv Meinhard Stark

Margarete Buber-Neumann wurde 1901 als Margarete Thüring in Potsdam geboren. Ihr Vater war Brauereidirektor, ihre Mutter Hausfrau. Nach dem Besuch einer höheren Schule machte sie eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Über die Wandervogelbewegung kam sie mit sozialistischen Ideen in Kontakt und trat 1921 dem Kommunistischen Jugendverband, fünf Jahre später auch der Kommunistischen Partei Deutschlands bei. Von 1922 bis 1929 war sie mit Rafael Buber verheiratet; aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. Margarete Buber arbeitete seit 1928 für die „Internationale Pressekorrespondenz“ der Kommunistischen Internationale. Dort lernte sie Heinz Neumann kennen, der Mitglied des Politbüros der KPD und Reichstagsabgeordneter war. Bald wurde die junge Frau seine Lebensgefährtin. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebten beide in der Schweiz, seit 1935 in der UdSSR. Heinz Neumann wurde 1937 während des Großen Terrors verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Im Rahmen der Verfolgung von Ehefrauen Verurteilter nahm das NKWD auch Margarete Buber-Neumann in Haft und verurteilte sie als „sozial-gefährliches Element“ zu fünf Jahren Gewahrsam. Im Winter 1938 traf sie im Karagandinsker Besserungsarbeitslager ein. Hier verrichtete sie überwiegend Zwangsarbeit in der Landwirtschaft. Nach Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes 1939 wurde Margarete Buber-Neumann ein Jahr später an Nazi-Deutschland ausgeliefert und als ehemaliges Mitglied der KPD ohne Verurteilung in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Dort erlebte sie verschiedenste Anfeindung einstiger Genossinnen, die bis zur Befreiung des Lagers im April 1945 anhielten. Anschließend wechselte Margarete Buber-Neumann in die westlichen Besatzungszonen und wurde publizistisch tätig. Bereits 1949 veröffentlichte sie ihre Hafterfahrungen unter dem Titel „Als Gefangene bei Stalin und Hitler. Eine Welt im Dunkel“. Weitere Bücher und Aufsätze folgten, in denen sie biographische Erfahrungen verarbeitete und sich gegen jedwede Form politischer Diktatur wandte. Die SED-Führung ließ die aufrechte Publizistin auch in der Bundesrepublik von Emissären der DDR-Staatssicherheit observieren und diskreditieren. Die Bundesrepublik Deutschland verlieh Margarete Buber-Neumann 1980 für ihr publizistisches Lebenswerk das Große Bundesverdienstkreuz. Sie starb 1989 in Frankfurt am Main.

Lebensstationen

Lebensstationen von Margarete Buber-Neumann

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Der Russlanddeutsche ist 1920 in Bessabotowka, einem Dorf nahe Donezk in der Ukraine geboren. Er besuchte eine höhere Schule auf der Krim und begann in Saratow ein Studium der Germanistik. 1938 verpflichtete ihn das NKWD als Zuträger bzw. informeller Mitarbeiter für die Geheimpolizei zu arbeiten, um seine Kommilitonen auszuspionieren. Wenig später enttarnte sich Artur Hörmann und offenbarte anderen gegenüber seine geheime Tätigkeit. Daraufhin verhaftete ihn im Mai 1939 das NKWD und verurteilte ihn wegen des „Verrates von Staatsgeheimnissen“ und „Antisowjetischer Agitation“ zu drei Jahren Haft. Zunächst wurde er in ein Besserungsarbeitslager bei Archangelsk, im Norden der UdSSR, deportiert. Lange Zeit leistete Artur Hörmann schwere Zwangsarbeit beim Gleis- und Eisenbahnbau. Da er leidlich Geige spielen konnte, wurde er in eine Kulturbrigade versetzt, die musikalische Auftritte im Lager absolvierte. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die UdSSR wurde er wie alle anderen Russlanddeutschen isoliert und einer strengeren Haftordnung sowie schwerer Zwangsarbeit ausgesetzt. 1944 verlegte man Artur Hörmann in das Karagandinsker Besserungsarbeitslager. In den ersten Monaten arbeitete er in der Landwirtschaft. Ab Herbst des gleichen Jahres wurde er wieder als Geiger eingesetzt; nunmehr im zentralen Kulturensemble des Karlag in Dolinka. Während des Krieges wurden von der Moskauer Administration jegliche Entlassungen von politischen Gulag-Häftlingen ausgesetzt. So wurde Artur Hörmann nicht 1942, nach der Absolvierung seiner dreijährigen Strafe entlassen, sondern erst 1946; nach sieben Jahren. Auf die Lagerhaft folgte „Verbannung auf ewig“ in der kasachischen Stadt Temirtau. Artur Hörmann schlug sich als Gelegenheitsmusiker durch bis er Mitglied eines Theaterensembles wurde. Zusätzlich absolvierte er ein Fernstudium für Lehrer der Russischen Sprache, das er 1955 erfolgreich abschloss. Ein Jahr zuvor war seine Verbannung aufgehoben worden. 1955 bis 1958 studierte Artur Hörmann extern noch englische Sprache. Anschließend übersiedelte er nach Karaganda und wurde Sprachlehrer im Bergbautechnikum. Von 1974 bis 1985 war er teils hauptamtlicher Korrespondent der deutschsprachigen Zeitung „Freundschaft“. Als Pensionär lebte er weiter in Karaganda, seit 1991 in der Ukraine. Seine Übersiedlung nach Deutschland erfolgte 1995; fortan lebte er in Meschede. Hier veröffentliche Artur Hörmann vier Jahre später seinen Bericht „Aber die Heimat winkte in der Ferne“ im Selbstverlag. Zudem hat er in der Dokumentation „Gefangen in der Hungersteppe“ von Achim Engelberg und Günter Heinzel, MDR 2008, mitgewirkt. Im Jahr 2011 ist Artur Hörmann verstorben.

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Olga Schmidt-Kühn mit Ehemann, Ende der 1950er Jahre, mit Rückseite
Olga Schmidt © Bundesstiftung Aufarbeitung/Gulag-Archiv Meinhard Stark

Die Russlanddeutsche ist 1926  in dem deutschen Dorf Georgstal, Gebiet Saporoschje, Ukraine, zur Welt gekommen. Ihre Eltern betrieben Landwirtschaft. Seit dem 11. Lebensjahr besuchte Olga eine deutsche Internatsschule in Friedenfeld, 25 km vom Dorf entfernt. Durch die Kriegsereignisse wurde die Familie getrennt. Die Mutter gelangte mit dem Sohn in das sowjetische Hinterland; beide wurden im Oktober 1941 nach Kasachstan verbannt. Örtliche deutsche Besatzungstruppen verpflichteten indes die 16-jährige Olga als Dolmetscherin in einer lokalen Eisenbahnverwaltung unter deutscher Hoheit zu arbeiten. Mit Beginn des Vormarsches der Roten Armee 1944 zog sich die junge Frau mit den deutschen Truppen zurück und kam mit ihrer Dienststelle schließlich nach Halle an der Saale. Dort war Olga Schmidt weiter für die Eisenbahnbehörde tätig. Im April 1946 wurde sie von sowjetischen Besatzungssoldaten verhaftet und im August des gleichen Jahres von einem Sowjetischen Militärtribunal wegen „Verrat der Heimat“ zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Anschließend wurde sie in die UdSSR zurückgeführt. Zunächst kam sie in ein Besserungsarbeitslager bei Solikamsk am Fuße des Urals und war beim Holzeinschlag eingesetzt. Da sie eine Spitzeltätigkeit für das NKWD verweigerte, verlegte man sie 1950 in das Karagandinsker Besserungsarbeitslager. Anfangs verrichtete die 24-Jährige Zwangsarbeit beim Lehmabbau. Bald verlegte man sie in ein Sonderlager für „Vaterlandsverräter“ bei Karabas. Die ausschließlich weiblichen Häftlinge mussten im nahegelegenen Steinbruch schuften und mit dem gebrochenen Gestein Waggons und Lastkraftwagen beladen. Olga Schmidt wurde bald als Rechnungsführerin für zehn Brigaden im Steinbruch eingesetzt und kümmerte sich um deren Arbeitsabrechnung. 1954 wurde sie vorfristig entlassen, da sie zur „Tatzeit“ – ihrer Dienstverpflichtung als Übersetzerin – noch minderjährig war. Sie folgte ihrer Mutter in das Verbannungsgebiet Semipalatinsk. Dort heiratete sie ein Jahr später einen Russlanddeutschen, der von 1942 bis 1948 in der sowjetischen Arbeitsarmee Zwangsarbeit in einer Kohlengrube verrichtete. Die Verbannung wurde 1956 aufgehoben. Ihr Kinderwunsch blieb leider unerfüllt. So adoptierten beide 1965 ein Mädchen aus der Verwandtschaft, deren Eltern früh verstorben waren. Die Familie lebte bis zu ihrer Ausreise nach Deutschland 1989 in Kasachstan. Olga Schmidt verstarb im Jahr 2023.

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Lebensstationen von Olga Schmidt

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Paßfoto Heinrich Siebert, 1944
Heinrich Siebert © Bundesstiftung Aufarbeitung/Gulag-Archiv Meinhard Stark

Der Russlanddeutsche kam 1923 in Konteniusfeld im Gebiet Saporoschje, Ukraine, zur Welt. Er wuchs in einer bäuerlichen Familie mit zwei weiteren Geschwistern heran. Sein Vater wurde 1937 von sowjetischen Sicherheitsorganen verhaftet und ein Jahr später erschossen. Heinrich Siebert besuchte eine Mittelschule und war danach als Pferdewächter in der örtlichen Kolchose tätig. Nach der Besetzung der Ukrainischen Sowjetrepublik durch deutsche Truppen 1941 wurde er als Volksdeutscher in die Waffen-SS eingezogen und war zunächst im SS-Kommando „R“ der „Zentrale der Volksdeutschen Mittelstelle“. Schwer verwundet, verbrachte er 18 Monate in einem Berliner Lazarett. Danach erfolgte sein weiterer Einsatz in Südosteuropa. Das Kriegsende erlebte Heinrich Siebert in Delitzsch bei Leipzig, in der Amerikanischen Besatzungszone. Im Sommer wurde der Ort von sowjetischen Truppen besetzt, die alle ehemaligen Sowjetbürger sammelten und in die UdSSR zurückbrachten. Heinrich Siebert kam zunächst als Verbannter in ein Arbeitslager im Gebiet Molotow, heute Perm. Ende 1945 gestattete man ihm, in den Verbannungsort seiner Mutter, einem Dorf bei Akmolinsk in Kasachstan, umzusiedeln. Angehörige der Geheimpolizei, NKWD, verhafteten ihn dort im Mai 1946. Ein NKWD-Sondergericht verurteilte den 23-Jährigen nach § 58.1a StGB wegen „Verrat der Heimat“ zu zehn Jahren Haft, die er im Karagandinsker Besserungsarbeitslager verbrachte. In den ersten beiden Haftjahren leistete er teils schwere Zwangsarbeit im Tiefbau und in der Feldwirtschaft. Durch Bestechung gelang es ihm, ohne jegliche handwerkliche Vorkenntnisse, an eine Arbeit in der Schmiede zu kommen. Dort erlernte er alle Tätigkeiten eines Stellmachers und erwarb sich bei seinen Mithäftlingen und den Lagervorgesetzten einen guten Ruf. Ab 1954 war er Leiter einer kleinen Elektrostation für eine Tierfarm. Unter Anerkennung herausgearbeiteter Arbeits- bzw. Hafttage kam Heinrich Siebert im April 1955 vorfristig frei. Er entschied sich, am Haftort zu bleiben und als Freier seine Arbeit fortzusetzen, um dadurch der drohenden Verbannung zu entgehen. Dort heiratete er auch seine Frau Wasilissa, eine Ukrainerin, die er bereits im Lager kennengelernt hatte. Nach der allgemeinen Abschaffung der Verbannung für Russlanddeutsche zog das Paar mit ihren beiden Söhnen 1957 nach Karaganda. Hier arbeitete Heinrich Siebert in verschiedenen technischen Berufen und wurde 1961 als „Bester Arbeiter“ ausgezeichnet. Von 1983 bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland 1989 lebte die Familie in Lettland. Heinrich Siebert verstarb im Jahr 2014 in Ulmen.

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