Am Abend des 9. November 1989 erzwangen mutige Bürgerinnen und Bürger den Fall der Berliner Mauer. Damit war nicht nur das Ende der Diktatur in der DDR besiegelt. Die Öffnung der Grenze, die jahrzehntelang nicht nur Deutschland, sondern Europa und die Welt geteilt hatte, läutete das Ende der Systemkonfrontation des Kalten Krieges ein. Kaum ein Jahr später konnte am 3. Oktober 1990 die neu gewonnene deutsche Einheit gefeiert werden. Dramatische Umbrüche vollzogen sich aber nicht nur und nicht zuerst in Deutschland. Im gesamten kommunistischen Machtbereich begehrten die Menschen im östlichen Europa auf und forderten Freiheit und Demokratie.
Trotz des verhängten Kriegsrechts und des Verbots der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność müssen sich die kommunistischen Machthaber in Warschau dem Druck der polnischen Streikbewegung beugen: Am 6. Februar 1989 tritt die Staatspartei in einen öffentlichen Dialog mit der Opposition. Anfang April gibt die kommunistische Partei ihren Alleinvertretungsanspruch auf, Solidarność wird wieder zugelassen. Mit den halbfreien Wahlen am 4. Juni wird der Weg in die Demokratie eröffnet. Der erste »Runde Tisch« in Polen wird später zum Vorbild für die Demokratisierung in der DDR und anderen mittelosteuropäischen Staaten.
Am 7. Mai 1989 wird in der DDR die Kommunalwahl durchgeführt. Laut offiziellen Angaben stimmen 98,85 % für die Kandidaten der »Nationalen Front«. DDR-Bürgerrechtlern gelingt es erstmals, durch eine organisierte Auszählungskontrolle nachzuweisen, dass die offiziellen Wahlergebnisse gefälscht sind. In der Folge finden regelmäßige Proteste gegen den offenkundigen Wahlbetrug statt.
Am 27. Juni 1989 zerschneiden die Außenminister von Ungarn und Österreich in einem gemeinsamen symbolischen Akt den Stacheldraht an der ungarisch-österreichischen Grenze. Am 19. August 1989 findet dort das »Paneuropäische Picknick« statt. Das Grenztor wird für drei Stunden geöffnet, mehr als 600 DDR-Bürger nutzen die Gelegenheit zur Flucht über die Grenze. Trotz des bestehenden Schießbefehls greifen die ungarischen Grenzsoldaten nicht ein. Am 11. September lässt Ungarn die Grenze nach Österreich offiziell zur freien Ausreise öffnen, in nur drei Wochen nutzen mehr als 25.000 DDR-Bürger diesen Riss im »Eisernen Vorhang«.
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23.08.1989
»Singende Revolution« und der »Baltische Weg«
Am 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes bilden rund zwei Millionen Menschen eine Kette von Tallinn über Riga bis nach Vilnius. Sie demonstrieren friedlich für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten. Der »Baltische Weg« bildet den Höhepunkt der »Singenden Revolution« – einer mehrjährigen, gegen die sowjetische Herrschaft gerichteten Freiheitsbewegung. Diese führt 1991 schließlich zur Unabhängigkeit von Estland, Lettland und Litauen.
Das Neue Forum (NF), die erste landesweite Oppositionsbewegung in der DDR, formiert sich. Im Gründungsaufruf fordert das NF einen breiten Dialog über demokratische Reformen. Innerhalb der Oppositions- und Reformbewegung bilden sich weitere Vereinigungen: am 12. September 1989 »Demokratie Jetzt« (DJ), am 2. Oktober »Demokratischer Aufbruch – sozial, ökologisch« (DA). Bereits am 26. August 1989 tritt in Berlin eine Initiative zur Gründung der SDP (Sozialdemokratische Partei) an die Öffentlichkeit, diese wird am 7. Oktober als erste unabhängige Partei in der DDR gegründet.
Die Flüchtlingszahlen in den Botschaften steigen weiter an. Mehr als 6000 Flüchtlinge harren unter katastrophalen humanitären und medizinischen Zuständen in den Botschaften aus. Am Rande der UN-Vollversammlung verhandelt der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher mit den Außenministern der UdSSR, der DDR, der Tschechoslowakei und Polens. Er erwirkt die Ausreiseerlaubnis für die Flüchtlinge. Die DDR-Führung stellt die Bedingung, dass die Ausreise mit Sonderzügen über das Territorium der DDR erfolgen muss. Am Abend des 30. Septembers verkündet Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag die Ausreisegenehmigung für die Botschaftsflüchtlinge in Prag und Warschau. Ein paar Tage später kommt es in Dresden zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, als sich am 4. Oktober 3.000 Dresdner auf dem Hauptbahnhof Zutritt zu den Zügen verschaffen wollen.
Am 9. Oktober 1989 protestieren rund 70.000 Menschen in Leipzig, die Sicherheitskräfte greifen nicht ein. Ab dem 4. September 1989 finden immer montags Demonstrationen in Leipzig statt. Anfang Oktober weiten sich die Proteste auf Berlin, Dresden, Plauen, Jena, Potsdam und andere Orte aus. Im Mittelpunkt stehen zunächst Forderungen nach Reise-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Am 4. November 1989 nehmen über 500.000 Menschen an einer Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz teil, es ist eine machtvolle Demonstration gegen das SED-Regime. Ende des Jahres werden die Rufe nach der deutschen Einheit lauter.
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1989 fällt die Berliner Mauer: Unter dem Druck von Tausenden DDR-Bürgern öffnen sich die Schlagbäume. In den folgenden Tagen werden nach 28 Jahren der Teilung die Grenzübergänge in Berlin und zur Bundesrepublik wieder geöffnet.
In Prag findet am 50. Jahrestag der Schließung tschechischer Hochschulen durch die Nationalsozialisten die erste große Demonstration gegen das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei statt. Auf die gewaltsame Auflösung der Studentenkundgebung folgen friedliche Massenproteste und Streiks im ganzen Land. Das am 19. November 1989 gegründete »Bürgerforum« (OF) mit Vertretern der Charta 77 um Václav Havel und die slowakische Partnervereinigung »Öffentlichkeit gegen Gewalt« (VPN) werden zu Plattformen der demokratischen Protestbewegung. Am 24. November tritt die Führung der Kommunistischen Partei zurück und macht den Weg frei für Reformen und freie Wahlen.
Mit dem Mauerfall rückt die deutsche Frage unverhofft auf die Tagesordnung der Weltpolitik. "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört" kommentiert Willy Brandt am Tag nach dem Mauerfall. Am 28. November verkündet Bundeskanzler Helmut Kohl ein "10-Punkte-Programm". Es sieht die Wiederherstellung der deutschen Einheit auf dem Wege einer Föderation in einem Zeitraum von fünf und mehr Jahren vor. Polen sorgt sich um die Gültigkeit seiner Westgrenze. Großbritannien und Frankreich sehen eine neue Großmacht Deutschland am Horizont. Die Sowjetunion fürchtet um die Früchte des entbehrungsreichen Krieges gegen das nationalsozialistische Deutschland. Allein aus Washington kommt Ermutigung.
Bundesarchiv, B 145 Bild-F086568-0028 / Kirschner, Harald / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)
4. Dezember 1989
Erste Besetzung einer Stasi-Zentrale in Erfurt
In den frühen Morgenstunden des 4. Dezember 1989 besetzen mutige Erfurter Frauen und Männer die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um die Vernichtung der Geheimakten zu stoppen. Es folgen Besetzungen in Leipzig, Suhl, Rostock und weiteren Bezirks- und Kreisverwaltungen. Schließlich erstürmen Demonstrierende am 15. Januar 1990 die MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Das Ende des verhassten Geheimdienstes ist besiegelt: Am 13. Januar 1990 beschließt der Ministerrat auf Druck der Bürgerkomitees und des Zentralen Runden Tisches, das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS; Nachfolgeinstitution des MfS) ersatzlos aufzulösen.
Vertreter von Parteien und bürgerrechtlichen Vereinigungen bilden den Zentralen Runden Tisch in der DDR. Das Gremium will sich »mit Vorschlägen zur Überwindung der Krise an die Öffentlichkeit wenden« und fordert von der Regierung eine Einbeziehung in wichtige Entscheidungen, insbesondere zur Vorbereitung der freien Wahl.
In der rumänischen Stadt Temeswar bricht Mitte Dezember 1989 offener Widerstand gegen das Regime von Diktator Nicolae Ceaușescu aus, die Proteste weiten sich auf das ganze Land aus. Die Armee stellt sich schließlich auf die Seite der Bevölkerung. Teile der Geheimpolizei Securitate versuchen, den Aufstand gewaltsam niederzuschlagen, mehr als 1.000 Menschen werden getötet. Ceaușescu und seine Frau Elena fliehen aus Bukarest, werden aber kurz darauf verhaftet. Am 25. Dezember 1989 werden beide von einem Militärtribunal zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die neue Regierung ernennt am 26. Dezember Ion Iliescu zum provisorischen Staatspräsidenten.
Die ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer gewinnt am 18. März 1990 die von der CDU geführte »Allianz für Deutschland«. Unter Lothar de Maizière bereitet diese den Weg zur deutschen Einheit vor. In Ungarn folgen am 25. März 1990 die ersten freien Wahlen seit mehr als 40 Jahren, das »Ungarische Demokratische Forum« (MDF) stellt die Regierung. Bei der Wahl in Rumänien am 20. Mai 1990 siegt Ion Iliescu. Am 9. Juni 1990 wird Václav Havel als Staatspräsident der Tschechoslowakei im Amt bestätigt, in Bulgarien gehen am Tag darauf die Reformkommunisten als Wahlsieger hervor. Die ersten freien Wahlen in Polen kann Lech Wałęsa am 9. Dezember 1990 für sich entscheiden.
Am 1. Juli 1990 trat die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Kraft. Sie regelte die Einführung der D-Mark als alleiniges Zahlungsmittel sowie die Übernahme der bundesdeutschen Wirtschafts- und Sozialordnung in der DDR. Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion war der erste Staatsvertrag zwischen der Bundesregierung und der demokratisch gewählten DDR-Regierung. Am 18. Mai 1990 wurde der Vertrag zwischen den Finanzministern beider deutscher Staaten in Bonn unterzeichnet. Der Bundestag und die Volkskammer stimmten ihr am 21. Juni 1990 mit großer Mehrheit zu. Sie gilt als der erste formale Schritt zur deutschen Einheit.
Das Grundgesetz hat stets beansprucht, die Verfassung des gesamten deutschen Volks zu sein, obwohl es 40 Jahre lang nur im westlichen Teil Deutschlands galt. Die Präambel verpflichtete zur Wiederherstellung der deutschen Einheit. Über den Weg zur deutschen Einheit wird seit Frühjahr 1990 heftig gestritten. Eine Minderheit will die Mütter und Väter des Grundgesetzes beim Wort nehmen, die im Artikel 146 vorgesehen hatten, dass das Grundgesetz "an dem Tage" die Gültigkeit verlieren solle, "an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist". Am 23. August beschließt die Volkskammer gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990. Der Erfolg des Grundgesetzes bildet die entscheidende Voraussetzung für die Zustimmung der Alliierten zum Prozess der deutschen Einheit. Die Unterzeichnung erfolgt am 31. August.
Am 12. September 1990 unterzeichnen die Außenminister der Alliierten des Zweiten Weltkriegs und die Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und der DDR den »Zwei-plus-Vier-Vertrag«. Damit erhält Deutschland die volle Souveränität
Bundesarchiv, B 145 Bild-F083821-0005 / Arne Schambeck / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)
3. Oktober 1990
Deutsche Einheit nach 41 Jahren Teilung
Mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes wird Deutschland wiedervereinigt. Am 1. Juli 1990 tritt die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik in Kraft. Am 23. August beschließt die Volkskammer den Beitritt zum 3. Oktober 1990. Am 31. August 1990 wird in Berlin der Einigungsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik unterzeichnet.
Am 2. Dezember stimmen Ost- und Westdeutsche erstmals gemeinsam über die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages ab. Die Deutsche Einheit wird zum wahlbestimmenden Thema. Den Sieg erringt die christlich-liberale Regierungskoalition. Die CDU/CSU erhält 43,8 % der Stimmen, die FDP 11%. Die SPD verzeichnet mit nur 33,5% der Stimmen ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis seit 1957. Die SPD hatte sich gegen eine schnelle Vereinigung ausgesprochen. Die Grünen und die PDS schaffen es nur in den Bundestag, weil eine separate 5%-Hürde für Ost und West gilt. Bundeskanzler Kohl kann sich auf eine breite Mehrheit der Regierungskoalition stützen und wird zum ersten gesamtdeutschen Bundeskanzler gewählt.