Von Andreas Malycha

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© Bundesarchiv, Plak 004-011-031, Grafiker(in) o. Ang.

Im Berliner Admiralspalast gründeten 1946 Kommunisten und Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone die SED. Vor allem in den 1990er Jahren wurde heftig darüber gestritten, ob der Zusammenschluss freiwillig oder unfreiwillig erfolgte. Aus den seit 1990 zugänglichen Archiven der DDR geht hervor, dass die Einheitspartei auf Beschluss von Stalin zustande kam und von der sowjetischen Besatzungsmacht mit Einschüchterungen und Festnahmen durchgesetzt wurde. Im Westen lehnte die SPD Kurt Schumachers jedes Zusammengehen mit Kommunisten ab.

Die Gründung der SED im April 1946 gehört zu den geschichtlichen Schlüsselereignissen. Die Art und Weise, wie nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft im Ostteil Deutschlands die parteipolitische Landschaft geordnet wurde, verdient bis heute in Erinnerung gehalten zu werden.

Die Sowjetunion hatte in ihrem Besatzungsgebiet zunächst Ansätze eines traditionellen Parteiensystems zugelassen. Stalin wollte damit gegenüber seinen westlichen Verbündeten glaubhaft machen, dass seine Politik nicht auf eine Übertragung des Sowjetsystems hinauslaufe. So bildeten sich im Juni 1945 in Berlin mit KPD und SPD zwei Parteien, die programmatisch, organisatorisch und personell in der Traditionslinie des Parteiensystems der Weimarer Republik standen. Alle zugelassenen Parteien, darunter auch Christliche Demokraten (CDU) und Liberale (LDP), durften jedoch nur unter strenger Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmacht tätig sein. Die Besatzungsoffiziere verfügten über weitreichende Zugriffsrechte auf die Organisation der Parteien, indem sie deren Führungskräfte entweder bestätigten oder ablehnten.

Die deutsche Sozialdemokratie konnte angesichts der terroristischen Methoden Stalins in der Sowjetunion nicht sicher sein, unter welchen Bedingungen in der sowjetischen Zone eine nichtkommunistische Politik überhaupt möglich sein würde. Die Führung der SPD, die sich in Berlin um Otto Grotewohl, Max Fechner, Gustav Dahrendorf und Erich Gniffke herausbildete, sah eine Chance, sozialdemokratische Politik auch unter der Besatzungsherrschaft zu verwirklichen. Am 15. Juni 1945 veröffentlichte der Zentralausschuss der Partei einen programmatischen Aufruf, mit dem die SPD "den Kampf um die Neugestaltung auf dem Boden der organisatorischen Einheit der deutschen Arbeiterklasse" führen wollte.

Nicht nur in Berlin, auch in den Ländern der sowjetischen Zone dominierte das Bedürfnis, ein Verhältnis zwischen KPD und SPD zu finden, das sich deutlich von der scharfen Konfrontation der Weimarer Zeit abheben sollte. In den wiedergegründeten Ortsvereinen der SPD war die Notwendigkeit kaum umstritten, mit den Kommunisten zusammenzugehen. Die neue "antifaschistische Einheit" sollte indes auf der völligen Selbständigkeit und Gleichberechtigung der beiden Parteien beruhen und sich auf die brennenden Probleme der Tagespolitik beziehen.

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Gestikulierend hält der Parteibeauftragte der SPD für die westdeutschen Besatzungszonen, Dr. Kurt Schumacher, am 9. Januar 1946 in der Aula der Frankfurter Universität eine Rede zum Thema "Klare Entscheidung", die sich mit der Entschließung der Parteileitung befaßt, bei den kommenden Gemeindewahlen nicht mit der Kommunistischen Partei zusammenzugehen. © picture-alliance / dpa

Im Westen Deutschlands vollzog sich die Wiedergründung der SPD unter anderen Vorzeichen. Kurt Schumacher, der sich in der britischen Besatzungszone an die Spitze der SPD stellte, machte aus seiner Aversion gegen die Kommunisten kein Geheimnis. Schon am 6. Mai 1945 hatte er vor sozialdemokratischen Funktionären in Hannover eine Einheitspartei mit dem Argument abgelehnt, die KPD würde aufgrund ihrer engen politisch-ideologischen Bindungen an die Sowjetunion als Sachwalter sowjetischer Staatsinteressen in der deutschen Politik agieren. In der Aufbauphase der West-SPD hielt Schumacher die Partei auf einem klaren antikommunistischen Abgrenzungskurs. Dass sich die Sozialdemokratie unter sowjetischer Besatzungsherrschaft behaupten könne, erschien ihm ausgeschlossen.

Im Osten Deutschlands sanken die Chancen für das Zustandekommen einer "antifaschistischen Einheit" rapide. Im Gegensatz zur propagandistisch überhöhten Einheitsrhetorik entbrannte schon im Mai 1945 ein heftiger Streit über die Besetzung von Ämtern in den örtlichen Verwaltungen. In der Regel wurde der Zwist mit Hilfe der Besatzungsmacht zugunsten der kommunistischen Anwärter entschieden. Der Hegemonieanspruch der Kommunisten in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wurde in einer Weise durchgesetzt, die dem Demokratieverständnis der Sozialdemokraten zuwiderlief und ihr Selbstwertgefühl verletzte.

Selbst der als bedingungsloser Einheitsbefürworter geltende sächsische Landesvorsitzende Otto Buchwitz fand es unerträglich, dass die SPD "fünftes Rad am Wagen" sei, und forderte eine Parität bei der Besetzung der Verwaltungsposten. Im Landesvorstand der SPD Sachsens sprach Buchwitz Mitte November 1945 mit Verbitterung darüber, wie sehr die Anziehungskraft einer Einheitspartei in der sozialdemokratischen Mitgliedschaft abnahm. Die Beschwerden und Klagen der Mitglieder ließen einen Zusammenschluss beider Arbeiterparteien in weite Ferne rücken.

Repräsentativ für die Verärgerung vieler Sozialdemokraten über augenfällige Benachteiligung ist ein Brief, den Friedrich Ebert, der Sohn des früheren Reichspräsidenten, als Sekretär der SPD für die Provinz Mark Brandenburg am 27. September 1945 an die Berliner Führung sandte. Darin entrüstete sich Ebert über die rigide Art, wie der Vorschlag der SPD für die Neubesetzung des Oberbürgermeisteramtes in Brandenburg von den Kommunisten regelrecht vom Tisch gefegt worden sei. Am Ende seines Briefs fordert Ebert den Zentralausschuss in Berlin auf, beim Zentralkomitee der KPD "mit aller Entschiedenheit dahin zu wirken, dass wir endlich als das respektiert werden, was wir sind, nämlich die größte Partei Deutschlands, die von ihren politischen Partnern nichts anderes als eine ehrliche und gleichberechtigte Behandlung wünscht".

Aus dem Schreiben Eberts sprach ein deutlich gewachsenes Selbstbewusstsein, das sich aus einem spektakulären Wiederaufbau der Parteiorganisation speiste. In allen Besatzungszonen hatte die Sozialdemokratie ihre alte Mitgliederstärke zurückgewonnen. Mehr noch: Selbst unter den restriktiven Bedingungen der sowjetischen Besatzung war es ihr gelungen, die KPD zu überflügeln. Durch den Zustrom neuer und vor allem junger Mitglieder konnte die SPD am Ende des Jahres 1945 im Osten auf stolze 407 623 Mitglieder verweisen. Die KPD verfügte nur über 372 714 Mitglieder. Das war - gemessen an den eigenen Ansprüchen - für die Kommunisten ein herber Rückschlag auf dem Weg zum uneingeschränkten Machtmonopol.

Der Optimismus, der aus der Wahrnehmung wachsender Sympathie in der Bevölkerung erwuchs, führte in der SPD zu der Annahme, den Wettstreit mit der KPD um neue Mitglieder und die Gunst künftiger Wähler gewinnen zu können. Am 14. September 1945 erhob Otto Grotewohl in aller Offenheit sogar den Führungsanspruch: "Wenn heute ein neuer Staat in Deutschland aufzubauen ist, so ist die deutsche Arbeiterklasse und in ihr die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zuerst dazu berufen, diesen neuen Staat zu errichten", sagte er in Berlin vor mehr als tausend sozialdemokratischen Funktionären.

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Die Fahne der SED mit v.li. Kaete Kern, Franz Dahlem, Walter Ulbricht und Max Fechner © picture-alliance / dpa

Die KPD sah in Grotewohls Rede ein Warnsignal. Der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck, der als Gast neben Grotewohl auf dem Podium stand, äußerte sich entsetzt über die Ambitionen der Berliner Führung. "Ich erinnere mich noch", so notierte sein engster Mitarbeiter Richard Gyptner einige Jahre später, "dass der Genosse Pieck, der auf dieser Kundgebung zur Begrüßung sprach, recht aufgebracht von dieser Kundgebung zurückkam und über diesen Teil der Rede des Genossen Grotewohl ärgerlich war." Erregt soll Pieck den Erinnerungen des Sekretärs der KPD-Zentrale zufolge den SPD-Führer als "Feind der Einheit" bezeichnet haben. Tatsächlich hatte Grotewohl mit seiner Rede die Bildung der Einheitspartei auf unbestimmte Zeit verschoben.

Die KPD nahm den politischen Aufwind, den die SPD überall zu spüren bekam, zum Anlass eines radikalen Kurswechsels. Im Mai und Juni 1945 hatte die kommunistische Führung die sozialdemokratischen Einheitsofferten noch abgelehnt. Damals glaubte sie nicht, dass die SPD wieder zur alten Stärke zurückfinden würde. Jetzt, im November 1945, führte die Furcht vor weiterem Zulauf zu der SPD und einer drohenden Wahlniederlage zu einem Umdenken. Fortan wurden die Sozialdemokraten in allen ostdeutschen Ländern aufgefordert, sich mit der KPD noch vor den kommenden Wahlen zu einer Einheitspartei zusammenzuschließen.

Für die SPD in der sowjetischen Zone hatte das Projekt Einheitspartei angesichts ihrer neu gewonnenen Stärke beträchtlich an Attraktivität eingebüßt. Das Gros der Mitglieder befürwortete zwar noch immer die Idee einer einheitlichen Arbeiterpartei. Doch überwogen die Skepsis gegenüber dem Bekenntnis der KPD zur Demokratie und die Ablehnung des von ihr vorgegebenen Weges zur Einheitspartei. Auf die im Herbst 1945 einsetzende Einheitskampagne der KPD antwortete die Berliner Führung der SPD mit der Forderung nach einem "Reichsparteitag", der über einen Zusammenschluss mit den Kommunisten in allen vier Besatzungszonen befinden sollte. Dazu müssten die Sozialdemokraten im Osten mit denen im Westen zusammengeführt werden.

Mit dem Zentralausschuss in Berlin und dem Büro Schumacher in Hannover waren seit dem Frühjahr 1945 zwei Zentren entstanden, die beide den Anspruch auf die Führung der Gesamtpartei erhoben. Unterschiedliche Besatzungsbedingungen, divergierende, ja teilweise gegensätzliche programmatische Ansätze, politische Rivalitäten zwischen Berlin und Hannover sowie auch fehlende Kommunikationsmöglichkeiten standen der Installierung einer gesamtdeutschen Partei im Wege.

Ein erster Schritt zur Wiederherstellung einer gesamtdeutschen SPD wäre eine Übereinkunft über die Bildung einer einheitlichen Führung gewesen, um dem Drängen der KPD eine machtvollere Partei gegenüberstellen zu können. Auf der Konferenz von Wennigsen bei Hannover am 5. und 6. Oktober 1945, zu der auch Otto Grotewohl, Max Fechner und Gustav Dahrendorf aus Berlin anreisten, scheiterte der Versuch, verbindliche Richtlinien für eine gesamtdeutsche sozialdemokratische Politik festzulegen oder eine zentrale Leitung der SPD für ganz Deutschland zu bilden. Kurt Schumacher stellte fest, dass es unter den gegebenen Besatzungsbedingungen indiskutabel sei, die Sozialdemokratische Partei einheitlich führen zu wollen.

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Mit einer Kranzniederlegung an der Gedenkstätte "Karnickelberg" hinter der ehemaligen Stasi-Haftanstalt Bautzen II gedenken sächsische Sozialdemokraten aus Anlass des 50. Jahrestages der Zwangsvereinigung von KPD und SPD ihrer Opfer während der SED-Herrschaft in der DDR. © picture-alliance / dpa

Die KPD nahm die Spaltung der SPD zum Anlass, eine Entscheidung für die Einheitspartei zu erzwingen. Von November 1945 an schaltete sie sich massiv in die Auseinandersetzungen innerhalb der sozialdemokratischen Vorstände aller Ebenen ein. Eine in allen Ländern sorgfältig inszenierte Pressekampagne brandmarkte alle sozialdemokratischen Kritiker des KPD-Kurses als "Feinde der Arbeiterklasse". Die über die Parteizeitungen gezielt gestreute Vereinigungspropaganda beeinflusste nachhaltig das Meinungsklima und gestattete es den Gegnern eines Zusammenschlusses nicht, ihrer grundsätzlichen Ablehnung öffentlich Gehör zu verschaffen. Zudem schalteten sich Offiziere der sowjetischen Militäradministrationen und sowjetische Stadtkommandanten in die aggressiv geführte Vereinigungskampagne der KPD ein und drangen darauf, die Vereinigung der beiden Parteien bis zum 1. Mai 1946 zu vollziehen.

Zeitgenössische Dokumente, die lange Zeit nicht zugänglich waren, geben darüber Aufschluss, in welchem Ausmaß oppositionelle und zögernde Sozialdemokraten von sowjetischen Militärdienststellen inhaftiert, gemaßregelt oder eingeschüchtert wurden. Durch Aktenfunde in russischen Archiven lässt sich nun auch belegen, worüber bislang nur spekuliert werden konnte: Die Entscheidung über das Ende der Sozialdemokratie im Osten Deutschlands fiel im Januar 1946 in Moskau. Partei- und Staatschef Stalin sah in der Ausschaltung der SPD eine wichtige Voraussetzung für die Wahrung sowjetischer Sicherheitsinteressen. Sozialdemokraten und Kommunisten sollten nach seinen Vorstellungen auf keinen Fall in den kommenden Wahlkämpfen gegeneinander antreten, da eine Niederlage der KPD und damit des Interessenvermittlers sowjetischer Besatzungspolitik unvermeidlich schien. Für die Lösung dieses Problems gab es aus sowjetischer Sicht nur eine Möglichkeit: die Vereinnahmung der Sozialdemokraten in einer Einheitspartei.

Kritische Sozialdemokraten sahen sich einem immer stärker werdenden Gleichschaltungsdruck ausgesetzt, der von deutschen Kommunisten und sowjetischen Besatzungsoffizieren auf lokaler Ebene ausgeübt wurde. Erich Gniffke, der im Auftrag der Berliner Führung die Stimmungslage an den Parteibasis erkundete, zeichnete am 10. Februar 1946 in einem Schreiben an Grotewohl ein deprimierendes Bild. Überall würden die Genossen von den sowjetischen Kommandanten zu einer sofortigen Verschmelzung der Parteien gedrängt. Eine Weigerung ziehe unweigerlich Repressionen nach sich. Resigniert notierte Gniffke: "Fasse ich die Schilderungen zusammen, so ergibt sich eine ähnliche Situation, wie ich sie unter den Nazis im März 1933 im Lande Braunschweig erlebt habe, als überall unsere Genossen ,freiwillig' aus ihren Ämtern und ihren Stellungen schieden."

Natürlich sahen sich nicht alle SPD-Funktionäre persönlicher Nötigung ausgesetzt. Aber es war unübersehbar, dass Sozialdemokraten, die gegen eine sofortige Vereinigung auftraten, gegängelt, abgesetzt oder vorübergehend festgenommen wurden, wenn sie nicht gar verschwanden. Kurzzeitige Verhaftungen örtlicher Funktionäre taten ihre Wirkung. Der von den Besatzungsoffizieren ausgehende Druck öffnete der KPD das Tor zur Vereinigung.

Eine auf reifliche Überlegung und breite innerparteiliche Diskussion gestützte Entscheidung, ob die SPD sich mit den Kommunisten vereinigen oder selbständig bleiben sollte, konnte es auf Grund der Besatzungsherrschaft nicht geben. Hans Hermsdorf, der stellvertretende Vorsitzende der Chemnitzer SPD, schrieb am 31. März 1946 an den Vorsitzenden August Friedel: "Die Einheit wird eben gemacht, und wehe dem, der sich erlaubt, eine andere Meinung zu haben; er ist ein Verräter, ein Saboteur, und was haben wir nicht alles für schöne Worte in den letzten Wochen hier von den Nazis übernommen." Hermsdorf zog die Konsequenz aus der Zwangslage; er legte all seine Ämter nieder und ging in den Westen.

Historischer Händedruck
Erich Honecker (3. Reihe, 2.v.l.) im Präsidium des Vereinigungsparteitages von Kommunistischer Partei Deutschlands und Sozialdemokratischer Partei Deutschlands zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands am 21./22. April 1946 in Berlin. In der 1. Reihe (v.r.n.l.): Walter Ulbricht, Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck bei ihrem historischen Händedruck. © Bundesarchiv, Bild 183-W0910-305, Fotograf: Pisarek Abraham

Der Berliner Zentralausschuss stand vor einer schier ausweglosen Situation. Kurt Schumacher gab am 8. Februar 1946 dem in Braunschweig weilenden Otto Grotewohl den wenig hilfreichen Rat, die SPD in der Ostzone aufzulösen. Gustav Dahrendorf, neben Grotewohl die profilierteste Führungsperson in Berlin, ging kurz darauf nach Hamburg, um weiterhin politisch arbeiten zu können. In der Begründung für seinen Schritt schrieb er am 17. Februar 1946 an Grotewohl: "Für mich stehen die Dinge aber wirklich so: hier muss ich mich unterwerfen, drüben sehe ich noch eine Aufgabe!" Für die anderen Führungsmitglieder erschien der Weg in die Einheitspartei als eine noch erträgliche Variante, wenn schon die ungestörte Existenz der SPD nicht mehr gewährleistet werden konnte. Grotewohl, Fechner und Gniffke glaubten fest daran, das Profil der Einheitspartei maßgebend gestalten zu können.

Auch viele Mitglieder gaben sich der Hoffnung hin, in der Einheitspartei eigene Traditionen bewahren und dazu beitragen zu können, dass aus der SED eine unabhängige und demokratische Partei wird. Es war aber ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, die KPD habe sich nach 1945 zu einer demokratischen Partei gewandelt und den uneingeschränkten Anspruch auf das Machtmonopol in Staat und Gesellschaft aufgegeben. Zu fest war das Partei- und Gesellschaftsmodell Lenins und Stalins strukturell und ideell in der Kommunistischen Partei verankert.

Die formelle Gründung der SED fand auf dem "Vereinigungsparteitag" am 21. und 22. April 1946 im Admiralspalast in Berlin statt. Die Einhaltung der Parteitagsregeln überdeckte die Tatsache, dass von der Freiheit dieser Entscheidung nach demokratischen Grundsätzen nicht die Rede sein konnte. Eine freie Aussprache ohne Rücksicht auf die von der KPD diktierten Bedingungen gab es weder auf dem Parteitag noch zuvor in den regionalen Parteigliederungen. Eine öffentliche Darstellung von Gegenpositionen war zu keinem Zeitpunkt möglich. So steht dieses Datum für einen Akt der Auslöschung der Sozialdemokratie auf dem Boden der sowjetischen Zone und späteren DDR.

Die Herausstellung des Zwangs, der Täuschung und der Selbsttäuschung beim Zustandekommen der SED bis hin zum Widerstand gegen das Besatzungsregime ist für viele Sozialdemokraten noch immer Teil ihrer politischen Identität. Eine besondere Rolle spielt der von der Berliner SPD geführte Abwehrkampf gegen die Umarmungsversuche der Kommunisten. In einer Urabstimmung, die nur in den Westsektoren Berlins ungehindert durchgeführt werden konnte, entschied sich am 31. März 1946 eine deutliche Mehrheit gegen den Zusammenschluss.

Nicht nur in West-Berlin, auch in den östlichen Parteibezirken behauptete sich die SPD als eigenständige politische Kraft. Auf der Grundlage von Vereinbarungen der Alliierten unterhielt die SPD bis zum Mauerbau 1961 im Ostteil der Stadt eigene Parteibüros und stellte sogar Kandidaten für den Deutschen Bundestag.

Bis heute hält die SPD zurecht an der Bezeichnung Zwangsvereinigung fest. Vor dem Hintergrund seriöser, aktengestützter Forschungen kann das völlige Fehlen von demokratischen Entscheidungsspielräumen beim Zustandekommen der SED nicht ernsthaft bestritten werden. Die SPD im Osten Deutschlands geriet während der Neuausrichtung der politischen Koordinaten 1945/46 unter die Räder sowohl der sowjetischen Besatzungsmacht als auch der deutschen Kommunisten.

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Der Verfasser ist Historiker am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin

 

Quelle: Leicht gekürzte und überarbeitete Fassung von „Erzwungene Vereinigung", F.A.Z. vom 9. Juni 2008 von Andreas Malycha © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv