Nazi-Diktatur löst neue Fluchtwelle aus

Die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur ließ die Zahl der Emigranten nach 1933 weiter ansteigen. Der massive Terror der Nationalsozialisten trieb Tausende Kulturschaffende, Wissenschaftler, Menschen jüdischen Glaubens und Antifaschisten, insbesondere Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands in das Exil. Von über 100.000 Flüchtlingen kamen etwa 3.000 in die Sowjetunion. Für die bereits zuvor in die UdSSR emigrierten Facharbeiter und deren Familien war die Rückkehr nach Deutschland allein wegen der Gefahr von Repressionen keine Option. Faktisch wurden damit aus den ehemals aus wirtschaftlichen Gründen Geflüchteten politische Emigranten.

Die Verfassung der UdSSR von 1936 garantierte ihnen das Recht auf Asyl. In Artikel 129 hieß es: „Die UdSSR gewährt Bürgern auswärtiger Staaten, die wegen Verfechtung der Interessen der Werktätigen oder wegen wissenschaftlicher Betätigung oder wegen nationalen Befreiungskampfes verfolgt werden, das Asylrecht.“ [1]

Tausende Emigranten in den 1930er Jahren

Mitte der 1930er Jahre lebten mehrere Tausend Deutsche, teils mit Familien in verschiedenen Städten der UdSSR. Exakte Zahlen sind kaum zu ermitteln. Max Hoelz war Anfang der 1930er Jahre Instrukteur der Kommunistischen Internationale und als Facharbeiter in die Sowjetunion emigriert. Er schätzte, dass 1933 allein in Moskau bis zu 5.000 Deutsche gearbeitet haben. [2] Die deutsche Botschaft in Moskau zählte einer Schätzung vom August 1938 zufolge zwischen fünf- und sechstausend deutsche Facharbeiter, die sich während des ersten Fünfjahrplans von 1928 bis 1933 in der UdSSR aufhielten. [3] Die Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bezifferte die Zahl der deutschen politischen Flüchtlinge, die 1936 in der UdSSR lebten, auf 4.600. [4] Die Schätzungen über die aus ökonomischen Gründen geflüchteten Deutschen und ihrer Angehörigen sind für die Mitte der 1930er Jahre ebenso unsicher. Mit großer Wahrscheinlichkeit umfasste diese Gruppe auch noch einige Tausend Menschen. Sichere Aussagen über die tatsächliche Anzahl der aus Deutschland stammenden Frauen, Männer und ihrer teils im Exil geborenen Kinder könnten vermutlich nur über relevanten Unterlagen in den russischen Archiven ermittelt werden. Doch dieser Zugang bleibt Forschern weiterhin verwehrt.

Als sicher kann jedoch gelten, dass zwischen 1936 und 1939 mehr als 1.700 der in der Sowjetunion lebenden und arbeitenden Deutschen Stalins Massenterror zum Opfer fielen. [5] Geheim- und Sondergerichte verurteilten sie entweder zum Tod durch Erschießen oder zu oft jahrzehntelanger Zwangsarbeit im Gulag, die vielfach auch zum Tode führte.

Der Hitler-Stalin-Pakt und seine Folgen für die Emigranten

Der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 hatte die systematische Ausweisung bzw. Auslieferung von deutschen Emigranten zur Folge. Was Stalin zu dieser Entscheidung bewogen hat, ist bis heute umstritten. Mitunter ist die Rede von einer „Morgengabe“ Stalins an Hitler. Diese These scheint jedoch widerlegt. Nach Deutschland zurückgekehrt, wurden sie nicht selten in Konzentrationslagern inhaftiert. Viele von ihnen kamen dort schließlich zu Tode.

Das Kriegsende im Mai 1945 und die Befreiung vom Nationalsozialismus weckten bei den überlebenden Männern und Frauen in der UdSSR Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr nach Deutschland. Die Inhaftierten in den Lagern erwarteten eine umfassende Amnestie, die Evakuierten ihre Rückführung in bessere Gegenden und eine Repatriierung. Für die Mehrheit der Deutschen, vor allem für jene, die den Gulag überlebten, erfüllte sich diese Erwartung jedoch zunächst nicht. Bis zum XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), Anfang 1956, galten sie als „Unpersonen“.

Bis Mitte der 1950er Jahre durften nur einige Hundert Exilanten nach Deutschland zurückkehren, vornehmlich in die Sowjetische Besatzungszone. Und auch nur dann, wenn sie aus Sicht der KPD- bzw. SED-Führung als politische Kader zum Aufbau der kommunistischen Herrschaft in Deutschland gebraucht wurden. Erst nach 1956 gelang es den meisten in der Sowjetunion verbliebenen Emigranten, in die DDR überzusiedeln. Ein kleinerer Teil kehrte in seine westdeutsche Heimat zurück.


[1] Verfassung der UdSSR 1936, zitiert nach einer Ausgabe des Verlags für fremdsprachige Literatur, Moskau 1945, S. 93.

[2] Bundesarchiv Berlin, NL 51/6 Nachlass von Max Hoelz, Tagebucheintragung vom 08.06.1933.

[3] Hans Schafranek: Zwischen NKWD und Gestapo. Die Auslieferung deutscher und österreichischer Antifaschisten aus der Sowjetunion an Nazideutschland 1937-1941, Frankfurt am Main 1990, S. 11.

[4] Vgl. Georg Lukács, Johannes R. Becher, Friedrich Wolf u.a.: Die Säuberung. Moskau 1936. Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung, hrsg. von Reinhard Müller, Reinbek 1991, S. 18.

[5] Schafranek: Zwischen NKWD und Gestapo, S. 23.