Einer erheblichen Zahl der Deutschen, sowohl Arbeitspezialisten bzw. Wirtschaftsemigranten wie politischen Exilanten, sollte die Bleibeberechtigung aberkannt werden. Für die Wirtschaftsemigranten war an eine legale Rückkehr gedacht. Früher als politische Abweichler in die UdSSR „Abgeschobene“ wollte man wieder aus dem Lande drängen, ebenso alle politisch „Verdächtigen“. Dazu gehörten allemal jene, die ohne Zustimmung der KPD-Führung in die Sowjetunion emigrierten. Darüber hinaus sollten im Einzelfall zuverlässige Parteimitglieder nach Deutschland in die illegale Arbeit gegen das Nazi-Regime zurückkehren.

Die im März 1938 zur Ausreise aus der Sowjetunion gedrängte Mitarbeiterin der deutschen Sektion der Komintern, Edith Just (Listen-Nr. 298), sagte zu dieser Unternehmung bei der Gestapo aus: „Die Mitgliederzahl der illegalen KPD in der SU betrug Ende 1936 karteimäßig 1.300 bis 1.400 Personen. Dabei möchte ich jedoch bemerken, dass eine Anzahl von etwa 200 bis 300 Personen überhaupt nicht erfasst wurde. Mitte 1936 setzte eine Kontrolle sämtlicher Parteimitglieder ein, die bis heute [März 1938] nicht beendet ist, da die Mitglieder dieser Kommission bisher stets vor Beendigung ihrer Kontrolle verhaftet wurden.“

Danach kann diese Zusammenstellung im Sinne ihrer Auftraggeber im Frühjahr 1938 noch nicht fertiggestellt gewesen sein. Zum Beispiel fehlt in ihr der Name Willi Harzheim; ebenso wie der von Rudolf Sobiech aus Gelsenkirchen, der im Oktober 1937 verhaftet, aus der Partei ausgeschlossen und 1938 ausgewiesen wurde. 

Etliche der in der Liste aufgeführten Personen hielten sich zur Zeit ihrer Aufstellung nicht (mehr) in der Sowjetunion auf. Bei einigen ist das ausdrücklich angemerkt, bei einer Reihe anderer, von denen einige schon 1933 oder 1934 ausgereist waren, nicht (z. B. Viktor Adamczak, Bruno Dubber, Käthe Claas, Ernst Haberland).

Einige der Aufgeführten waren im Sommer 1937 bereits erschossen (z. B. Matthias Lückel). Da wird man vermuten dürfen, dass der Informationsfluss nicht hinreichend zügig war, um das zu berücksichtigen.

Innerhalb der Kommunistischen Internationale trug diese Liste den Namen „Liste = B = nach draussen“ und umfasste 820 Namen von Männern und Frauen. Eine Kopie dieser Liste ist mir vor etwa zwanzig Jahren von einem Mitautor des Buches „In den Fängen des NKWD“ überlassen worden. Die mir überlassene Kopie dürfte zu den 1990 aus Moskau dem gerade entstandenen Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung (vorher Institut für Marxismus-Leninismus) überlassenen Dokumenten gehören. Das Original trägt wahrscheinlich die Signatur RGASPI 495/175/117. Dieser Bestand ist noch heute gesperrt, so dass eine Überprüfung im Moskauer Archiv nicht möglich ist. Der Verbleib der aus Moskau gelieferten Original-Kopien an das Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung lässt sich anscheinend nicht mehr klären. Nach Überprüfungen liegen sie weder in den Beständen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR noch in denen des Bundesarchivs.

Vorläufige Auswertung
  • Erschossene oder sonst in der Sowjetunion Umgekommene mind. 80 Männer und Frauen.
  • Ausgewiesene bzw. Ausgereiste ca. 85 Personen; dazu zahlreiche Familienangehörige (darunter nicht wenige Ausreisen vor 1936, also vor Zusammenstellung der Liste); nur 12 von ihnen wurden nach Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts abgeschoben bzw. zur Ausreise veranlasst. Dr. Oleg Vishlev, Moskau, der mir freundlicherweise seine Auszählungen im PAAA zur Verwertung überlassen hat, zählt unter den 313 von Oktober 1939 bis Mai/Juni 1941 aus der UdSSR Ausgewiesenen 17 Politemigranten aus Deutschland, 44 aus Österreich.
  • Mindestens 25 Personen sind nach dem Krieg in die SBZ/DDR remigriert.
  • Von den Frauen auf der Liste sind zahlreiche Ehefrauen Verhafteter; gelegentlich auch  Ehemänner verhafteter Frauen. Bei bekannten Hinweisen, wird das angemerkt.

Bemerkenswert ist, dass im Herbst 1948, nach allen Repressionen, Ausweisungen etc. und nach der Abreise der Gruppen Ulbricht, Ackermann und Sobottka nach Deutschland sowie der Abreise einer Reihe weiterer KPD-Mitglieder, die in der SBZ gebraucht wurden, noch immer über 200 deutsche KPD-Mitglieder in der Sowjetunion waren. Dies besagt eine „Liste der in Moskau und in der Provinz lebenden Genossen“, die im September 1948 Wilhelm Pieck zugeleitet wurde. (Siehe SAPMO BArch DY 30/IV 2/11/258) Nicht wenige von ihnen mussten noch bis zu zehn Jahre auf ihre Repatriierung warten.

Die Bearbeitung der Liste ist vorläufig soweit abgeschlossen, wie sie mit den dem Bearbeiter  bekannten und ihm zugänglichen Hilfsmitteln möglich ist. Allerdings erbringt die Durchsicht der Rückkehrer-Protokolle und neuer Publikationen immer wieder einzelne  Informationen zu Personen, über deren Schicksal nichts oder kaum etwas publiziert ist. Zu weit mehr als der Hälfte der Verzeichneten haben sich inzwischen Hinweise gefunden, die dank der Verwendung zahlreicher Quellen vielfach über das hinausgehen, was sich in Einzelpublikationen über Repressionsopfer findet.

Es ist geplant, später- über die „Liste = B = nach draußen“ hinausgehend eine Zusammenstellung unaufgeklärter Schicksale deutscher Emigranten aus der Sowjetunion auf dieser Internetseite zu veröffentlichen. Das setzt allerdings eine Bearbeitung des gesamten Konvoluts der Gestapo-Vernehmungsprotokolle der Russlandrückkehrer im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, voraus. Diese Bearbeitung ist derzeit bis zum Buchstaben S gelangt. Jeder zusätzliche Hinweis, ergänzend oder korrigierend, ist willkommen.

Alle Listen folgen den Originalen, die Dr. Wilhelm Mensing recherchiert, erarbeitet, laufend ergänzt und für die Veröffentlichung freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.