Bis in die Gegenwart hinein tobt der Streit über die Formen und Folgen des abrupten Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft nach 1990. Die wirtschaftliche Entwicklung des Ostens im vereinten Deutschland wird gemeinhin als „Problemzone“ der Einheit identifiziert: Nach den immensen Hoffnungen und der Euphorie des Herbstes 1989 folgten dann, spätestens ab 1991/92, der jähe Absturz und massive Enttäuschungen. Statt „blühender Landschaften“ tat sich nun ein ewiges „Jammertal“ im Osten auf, wie der Hamburger SPIEGEL Jahre anderthalb Jahrzehnte später polemisch urteilte.[1] Abwicklung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung trafen die Umbruchsgesellschaft in der ehemaligen DDR mit voller Wucht. Und insbesondere vor diesem Hintergrund besteht bis heute ein hartnäckiger Gegensatz zweier Lager über die Verantwortung für die dramatischen Erschütterungen, die auch weit in die Sphäre von Politik, Gesellschaft und Kultur ausgriffen – und die weiterhin nachhallen. Die Treuhand erscheint dabei, je nach Lesart, als Helden- oder Schurkenstück, dramatischer Fehlschlag oder heroischer Dienst am Vaterland. Was stimmt denn nun?

Aus einer bei linken Politikern, Gewerkschaftlern sowie zahlreichen betroffenen Ostdeutschen verbreiteten, kritischen Perspektive – die bereits ab 1991 deutlich zu vernehmen war – klammerte man sich weiter trotzig an das vom SED-Regime ausgegebene Propaganda-Dogma, die DDR sei eine der größten und innovativsten Volkswirtschaften der Welt gewesen. Hier sah man über massive ökologische Probleme wie unternehmerische Defizite großzügig hinweg und erblickte etliche Perlen im riesigen volkseigenen Industriekomplex der DDR, der ab dem Frühjahr 1990 durch die Treuhandanstalt verwaltet wurde. Diese habe dann ab dem Sommer unter der Führung unterklassiger westdeutscher Manager die an sich wettbewerbsfähige wie werthaltige ostdeutsche Industrie gezielt kleingehalten, zerschlagen und unter dubiosen Umständen an westdeutsche Großkapitalisten verschachert, die sich so unliebsame Konkurrenz vom Leibe halten konnten. Die Treuhand erscheint hier wie eine erbarmungslose Kolonialbehörde, die im neoliberalen Wahn die entfesselten Kräfte des Marktes mittels ihrer rigorosen Privatisierungspolitik brutal über die arglosen Ostdeutschen hinwegfegen ließ.

Andererseits formierte sich gegen diese Kritiker bereits frühzeitig eine Phalanx an Verteidigern, vornehmlich konservativ-liberale Politiker, Ökonomen und natürlich die Treuhand-Mitarbeiterschaft selbst. Hier erklärte man das „Volksvermögen“ rasch rundheraus für „Schrott“ und überflüssig. SED-Chef Erich Honecker und sein Wirtschaftsprimus Günter Mittag hätten mit ihrer rigorosen Verstaatlichungs- und Zentralisierungspolitik in den 1970er-Jahren den letzten Rest an Unternehmergeist im Osten ausgelöscht. Als Folge dieses zentralplanwirtschaftlichen Wahns blieben nach 1990 nur noch riesige Industriekonglomerate mit drastisch überdimensionierten Belegschaften, verrotteten Industriehallen, massiven Umweltschäden und veralteten Produkten zurück, die obendrein nach 1990 kein Ostdeutscher (und nach 1991 auch kein Osteuropäer) mehr kaufen wollte. Diese völlig überkommenen „Dinosaurier“, wie Treuhand-Präsident Detlev Rohwedder sie einmal nannte, habe die neue Organisation nun in Windeseile zerlegen und verwerten müssen, um möglichst schnell unternehmerisches Knowhow und Investitionen aus dem Westen in den Osten zu locken (und die immensen Kosten zu reduzieren, die viele Betriebe anhäuften). In dieser Lesart betrieben die Treuhand und ihr eilig rekrutiertes Personal aller Widerstände, Debatten und Proteste zum Trotz extremes unternehmerisches Krisenmanagement im Modus kreativer Zerstörung, zu dem es letztlich keine Alternative gegeben habe.   

Neoliberale Abwicklungsorgie oder alternativloses Krisenmanagement? Bis heute stehen sich diese beiden Sichtweisen frontal wie feindselig gegenüber. Gerade seit 2015 hat sich diese lange zumindest auf nationaler Ebene abgeflaute Diskussion nochmal massiv im Kontext deutlicher Wahlerfolge rechtspopulistischer Kräfte vor allem im Osten wieder verstärkt. Der ewige Streit über „Erfolg“ oder „Scheitern“ von Treuhand und Wirtschaftsumbau ist dabei stets auch auf den „Wert“ des DDR-Volksvermögens bezogen. Es braucht dabei oft eindeutige Hauptschuldige: die sozialistische Planwirtschaft Ost hier, die neoliberalen Privativerer West da. Doch gerade mit Blick auf die sich nun allmählich im Bundesarchiv öffnenden Akten der Treuhandanstalt wird deutlich: einfache Erklärungen werden auch hier keine befriedigenden Antworten liefern können. Für zukünftige Diskussionen gilt es dabei vielmehr, das komplexe Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick zu nehmen, der den wirtschaftlichen Umbau des Ostens zu einem „perfekten Sturm“ werden ließ: die ohnehin schwierige Lage vieler Ostbetriebe nach vier Jahrzehnten übersteuerter Planwirtschaft dramatisierte sich nämlich nochmals erheblich nach der von vielen Ostdeutschen so sehnsüchtig herbeigesehnten und -gewählten Wirtschafts- und Währungsunion im Juli 1990. Da war die Treuhand noch gar nicht richtig aktiv. Als diese dann aber kurze Zeit später mit ihrer Arbeit begann, setzte sie rigoros auf ein hohes Tempo und immense Beschleunigung in der ordnungspolitischen Überzeugung, so die besten Ergebnisse für die Unternehmen zu erzielen. Nur zusammengenommen – Krise der Planwirtschaft, Schock der Währungsunion, forcierte Massenprivatisierungen – erklärt sich das sich nach 1990 dann im Osten entfaltende wirtschaftliche Umbruchs- und Krisenszenario, das das vereinte Deutschland bis heute umtriebt. Die Betriebe, die hiermit verknüpften Traditionen sowie auch die tausendfachen Erwerbsbiografien im Osten gerieten dabei rasch ins Abseits und fielen oft einer gefühlten Entwertung anheim. Dass bei den Betroffenen rasch der Wunsch groß war, den (vermeintlich) „Schrott“ gegen westliche Übergriffe weiter trotzig zu verteidigen, kann genau wenig verwundern wie das gegenteilige Beharren auf marktwirtschaftlichen „Notwendigkeiten“.

 

[1] Der Spiegel 39 (2004).

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