Unveränderte Fassung des 2008 erschienen Artikels im Band „Orte des Erinnerns an den Holodomor in der Ukraine 1932/33“.

Die Erinnerung an die große Hungerkatastrophe in der Ukraine in den Jahren 1932 / 33 ist geprägt von der Trauer um Millionen Tote und das Wissen um entvölkerte Dörfer. Aber nicht nur dort waren das Sterben und der Tod jener Jahre allgegenwärtig. Auch in den Städten zeigten sich die Auswirkungen der großen Hungerkatastrophe, obwohl das sowjetische Regime die Hungergebiete hermetisch abriegelte und alle Informationen über das große Sterben unterband. Eines der wenigen Fotos, die aus der Zeit des Holodomor überliefert sind, zeigt verhungerte Menschen, die auf den Bürgersteigen der ostukrainischen Metropole Charkiw liegen. Ebenso eindringlich wird das tägliche Elend durch die Aufnahmen bettelnder Bauern und Kinder vor Augen geführt, die aus ihren Dörfern vor dem sicheren Tod geflohen waren und vor den Augen ihrer Mitmenschen zu tausenden verendeten. [1] Diese wenigen überlieferten Fotos zählen zu den eindrücklichsten und bekanntesten Zeugnissen des Holodomor. [2] Sie vermitteln zweierlei: Zum einen war der stalinistische Terror gegen die Bevölkerung in der Ukraine 1932/33 im Unterschied zu anderen Gewaltexzessen des Stalinismus trotz aller Versuche der Geheimhaltung sichtbar und breitete sich mit den zu Tausenden in die Städte fliehenden Hungernden über das ganze Land aus. Das Leiden und Sterben der Bauern und ihrer Familien spielte sich so auch vor den Augen der Menschen in den nicht betroffenen Landesteilen ab. Die Opfer waren nicht unsichtbar. Sie verschwanden nicht nach Verhaftung hinter hohen Gefängnismauern oder wurden in weit entfernte Lager verschleppt. [3]

Zum zweiten ließen sich die Folgen des von der sowjetischen Führung initiierten und von den lokalen Partei-, Geheimpolizei- und Verwaltungsapparaten durchgesetzten Hungerterrors nicht verbergen. Die mehreren Millionen bewusst dem Tod Ausgelieferten machten es unmöglich, die Opfer zu verbergen. Zudem waren viele Familien selbst betroffen und hatten Angehörige unter den Opfern zu beklagen. Die sowjetische Führung begann deshalb noch während des Massensterbens besonders gründlich mit der systematischen Tilgung aller Spuren. Die Verbreitung von Informationen über den Holodomor wurde bereits unmittelbar während des großen Sterbens unterbunden und unerbittlich verfolgt. [4] Für die kommenden Jahrzehnte waren die Schrecken der Jahre 1932 /33 vollständig tabuisiert. Sprechen und Austausch als Fundamente einer lebendigen Erinnerung über den großen Hunger waren damit jenseits des engsten Familienkreises nicht möglich. [5]

Gedenkkreuze am Massengrab für die Opfer des  Holodomor in Pawliwka
Gedenkkreuze am Massengrab für die Opfer des Holodomor in Pawliwka © Holodomor Museum (Kyiv, Ukraine)

Gleichsam war die Aufrechterhaltung dieser verordneten Amnesie nicht ohne weiteres möglich. Auch wenn die Disziplinierungen innerhalb des Partei- und Staatsapparates dazu beitrugen, die Ereignisse der Jahre 1932/33 aus der Öffentlichkeit zu verbannen, so blieben neben den persönlichen Erinnerungen vor allem die Massengräber als stumme Zeugen. In den Dörfern wie in den Städten wurden die Toten von Transportkommandos aufgesammelt und in Massengräbern verscharrt. Auf den Friedhöfen, aber auch auf Brachen oder am Rande von Parks wurden die Leichen in immer neuen Gräberfeldern bestattet. Mitunter wurden die Toten auch einfach in Straßengräben, Kanälen und Baugruben geworfen und nur notdürftig mit Erde bedeckt. [6]

 In den Städten blieb das Sterben weitgehend anonym. Vom Hunger war hauptsächlich die Landbevölkerung betroffen, deren Widerstand gegen die Kollektivierung mit den erbarmungslosen Getreiderequirierungen gebrochen werden sollte. Es betraf so in erster Linie die von jeglicher Versorgung abgeschnittenen und in die Städte geflüchteten Bauern. [7] Die meisten Stadtbewohner befanden sich dagegen in einer weniger prekären Situation. Sie besaßen Bezugsscheine, die trotz des all gegenwärtigen Mangels an Lebensmitteln ein Überleben ermöglichten. Hilfe für die Hungerleidenden war unter diesen Umständen nicht möglich und wurde von den Behörden verfolgt. Die offizielle Propaganda bot den Städtern zudem eine Möglichkeit, das massenhafte Sterben zu rechtfertigen. Schließlich wurden die Bauern für ihre eigene Mangelversorgung verantwortlich gemacht und ihre »Bestrafung« als selbstverschuldet und damit gerechtfertigt hingestellt. So wurde trotz aller Tabuisierung auch ihr Tod, wenn er sich nicht mehr verbergen ließ, entsprechend inszeniert. Eine der wenigen zeitgenössischen Fotografien zeigt beispielsweise eine Gruppe von Menschen vor einem ausgehobenen Massengrab. Die davor aufgestellte Propagandatafel verweist darauf, dass hier als Feinde stigmatisierte »Kulaken« begraben seien. [8]

Gedenkkreuz für Opfer des Holodomor in Hnidyn
Gedenkkreuz für Opfer des Holodomor in Hnidyn © Holodomor Museum (Kyiv, Ukraine)

Die Hungerkatastrophe wütete vor allem auf dem Lande. Zwar war auch hier die Bevölkerung in jene gespalten, die aufgrund ihrer Kooperation mit dem Regime besser versorgt waren und somit überleben konnten, und jene, denen alles genommen worden war. Das Sterben war jedoch unmittelbarer und folgte anderen Regeln als in den Städten. Es betraf hier vor allem den engsten Familienkreis genauso wie Verwandte, Nachbarn und Bekannte. An den Folgen der Unter- und Mangelernährung hatten vor allem die Kinder zu leiden, denen ein Überleben kaum vergönnt war. Die damit verbundenen individuellen Tragödien hinterließen tiefe Spuren im Gedächtnis der lokalen Bevölkerung. Zu Beginn des Hungers wurden die Verstorbenen noch von ihren Angehörigen auf den Friedhöfen beigesetzt. Später mussten auch hier spezielle Transportkommandos diese Aufgabe übernehmen, da die Überlebenden kaum in der Lage waren, allein Abhilfe zu schaffen. Doch im Gegensatz zu den in den Städten entstehenden Massengräbern hatten diese Orte in den Dörfern durchaus einen realen Bezug. Die bolschewistische Propaganda von der von den Bauern »selbstverschuldeten« Not oder einer »gerechten Bestrafung« wurde angesichts des allgegenwärtigen Elends ad absurdum geführt. Der Hunger war für die Betroffenen durch nichts gerechtfertigt und erschien hier deutlich als das, was er war: eine bloße Terrormaßnahme gegen die Bauern. Die Massengräber erinnerten konkret an umgekommene Angehörige genauso wie an die schrecklichen Erlebnisse der Jahre 1932/33. Das Vergessen und Verdrängen fiel hier schwerer als in den Städten, in denen es vor allem die Geflüchteten, also Fremde waren, die starben und zu denen kaum direkte Bezüge oder Verbindungen bestanden.

Gleichwohl hegte der Partei- und Staatsapparat vor allem auf dem Lande ein Interesse, die traumatischen Ereignisse für seine Zwecke umzudeuten. Ein Gedenken an den Grabstellen war offiziell verboten. Selbst die Kennzeichnung der Grabstellen wurde in der Hoffnung unterbunden, dass mit der verblassenden Erinnerung an die Ereignisse auch die Zeugnisse des Verbrechens in Vergessenheit geraten würden. Dennoch wurden damals mitunter schlichte Holzkreuze errichtet, die zum Teil bis heute erhalten blieben und nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 in neu entstandene Gedenkorte integriert wurden. Für die Überlebenden waren sie jedoch vor allem eine Mahnung, sich dem totalen Machtanspruch der Bolschewiki zu unterwerfen. Das Ziel des Hungerterrors, die Zerschlagung der traditionellen dörflichen Gemeinschaft und die Beherrschung seiner Einwohner, war nach dem Massensterben erreicht worden.

Bronzebüste von Panas Ljubtschenko in Kaharlyk
Bronzebüste von Panas Ljubtschenko in Kaharlyk © Oleksandra Luchyk | Bundesstiftung Aufarbeitung

Die Ansiedlung Fremder in den entvölkerten Siedlungen trug ein Übriges dazu bei, dass das Ende des Hungers 1933/34 auch eine historische Zäsur wurde. Die in den folgenden Jahren reorganisierten oder überhaupt erst begründeten Kolchosen waren fortan Herrschaftsinstrument und gleichsam für die Einwohner identitätsstiftend. Sie trugen zynischerweise oftmals die Namen jener bolschewistischen Funktionäre, die für den Hungertod ihrer Nachbarn und Angehörigen verantwortlich waren. In den Dörfern entstanden vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg mitunter auch Denkmäler, die an die Organisatoren des Holodomor erinnerten. So steht bis heute in Kaharlyk, Gebiet Kiew, eine bronzene Büste von Panas Ljubtschenko, der 1932 / 33 als Mitglied des ukrainischen Zentralkomitees maßgeblich für die Getreiderequirierungen verantwortlich war. Als Vertreter der 1937 den Parteisäuberungen zum Opfer gefallenen Nomenklatur wurde er 1965 rehabilitiert und ihm zu Ehren später das Denkmal gesetzt.

Trotz aller Versuche, die Erinnerung an den Holodomor zu unterbinden, verschwand diese keineswegs vollkommen. Sie wurde im offiziellen Geschichtsbild national wie lokal verankert, wenngleich mit dem entscheidenden Unterschied, dass nicht die Tragödie des Hungers sondern die sozialistischen Aufbauleistungen auf dem Lande mit den Jahren 1932/33 assoziiert werden sollten. Weitaus stärker als diese Umdeutungen wirkten sich jedoch der Zweite Weltkrieg und der Widerstand gegen die deutsche Besatzung aus. [9] Wie überall in der Sowjetunion war der »Große Vaterländische Krieg« auch in der Ukraine für die Zeit nach 1945 der primäre historische Bezugspunkt. [10] Die vorangegangenen »Aufbaujahre« und die mit ihnen verbundenen Schrecken traten in den Hintergrund. Auch die in den 1930er Jahren zerschlagenen Dorfstrukturen definierten sich in Folge von Landflucht, Urbanisierung und Modernisierung neu. Die Erinnerung an den Holodomor trat damit immer stärker in den Hintergrund. Er entfernte sich von den Dörfern und wurde ab den 1960er Jahren vor allem in den Städten diskutiert, wo die ukrainische Dissidentenbewegung sich mehr oder minder stark des Themas annahm. [11] Die entscheidenden Impulse für die Wiederbelebung der Erinnerung an die Opfer der Hungerkatastrophe gingen so auch von den Städten aus. 

Das in Charkiw im Oktober 1989 eingeweihte Gedenkkreuz für die Opfer des Holodomor
Das in Charkiw im Oktober 1989 eingeweihte Gedenkkreuz für die Opfer des Holodomor © Oleksandra Luchyk | Bundesstiftung Aufarbeitung

Zu Beginn der 1980er Jahre wurden von Exilukrainern und amerikanischen Wissenschaftlern erstmals umfassende Studien über die Hungerkatastrophe auf Basis von Zeitzeugenbefragungen herausgegeben. Die in der Öffentlichkeit Aufsehen erregenden Ergebnisse führten zu ersten Denkmalsinitiativen, die jedoch vorläufig außerhalb des sowjetischen Machtbereichs blieben. Die Einweihung des Holodomor-Mahnmals in Edmonoton (Kanada) 1983 markierte dennoch den Auftakt für eine materielle Memorialisierung des Holodomor-Gedenkens weltweit. Besonders das Buch des amerikanischen Wissenschaftlers Robert Conquest wurde auch jenseits des »Eisernen Vorhangs« rezipiert und beflügelte die Debatten in den sowjetischen Dissidentenkreisen. [12] Doch erst 1987 gestand der damalige Vorsitzende der ukrainischen KP, Wolodomyr Schtscherbyzkyj, öffentlich ein, dass es überhaupt einen Hunger in der Ukraine gegeben habe. Bereits ein Jahr später war der Holodomor fester Bestandteil der innerukrainischen Debatten und wurde vor allem von der Menschenrechts- und Unabhängigkeitsbewegung getragen. So war es auch eine von der ukrainischen Volksfront »Ruch« zusammen mit anderen oppositionellen Organisationen getragene Veranstaltung, in deren Rahmen im Oktober 1989 das erste bekannte Gedenkkreuz im Zentrum Charkiws eingeweiht werden konnte. [13] Ihm folgten vor allem in den kommenden fünf Jahren zahllose weitere Gedenkzeichen, was vor allem mit der breiten Thematisierung des kommunistischen Unrechts und der nunmehr auch regierungsoffiziellen Anerkennung des Holodomor als Verbrechen zusammenhing. Gleichwohl boten die geschichtspolitischen Auseinandersetzungen nur den Rahmen für die überwiegende Mehrzahl der Denkmalsinitiativen. Vor Ort, vor allem in den Dörfern, war es das persönliche Engagement einzelner, das zur Errichtung von Gedenkkreuzen führte. [14] Dabei traten mitunter auch politische Gegensätze, die auf gesamtstaatlicher Ebene in den Holodomor-Debatten ausgefochten wurden, in den Hintergrund. [15] Entscheidend war hier oftmals die im lokalen Kontext tradierte Erinnerung an das Leid der Jahre 1932/33, das als Anlass für die Errichtung von Gedenkzeichen genommen wurde. So entstanden erste Kreuze bereits 1986 / 88, beispielsweise in den Dörfern Olijnykowa Sloboda, Teresyne, Kysiwka oder Schljachowe. Ein anderes eindrucksvolles Beispiel war die Einweihung des Gedenkkreuzes in Nowoukrajinka im April 1990, die mit ausdrücklicher Duldung und Unterstützung des örtlichen Partei- und Staatsapparates vorgenommen wurde. Eine ähnliche Initiative führte 1993 in Pershotrawjenewe zum Erfolg, da hier der damalige Kolchosvorsitzende seinen während der Hungerkatastrophe 1932/33 umgekommenen Eltern ein Denkmal setzte. All diese Unternehmungen blieben im lokalen Kontext und erregten nicht lange das Aufsehen, wie die feierliche Zeremonie in Charkiw.

Gedenkstätte „Holodomor 33“ in Lubny
Gedenkstätte „Holodomor 33“ in Lubny © Wiktor Feduschtschak | Bundesstiftung Aufarbeitung

Mehr als ein Drittel der in diesem Band vorgestellten Gedenkzeichen entstand in der ersten Hälfte der 1990er Jahre. Legitimiert durch die beginnende Einschreibung des Holodomor in das Geschichtsbild des nunmehr unabhängigen Staates, wirkten vor allem die 1993 vom damaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma ausgerufenen »Wochen der Trauer« als Initialzündung. Zum Teil mit staatlicher Unterstützung wurden zahllose Denkmalsprojekte in Angriff genommen und umgesetzt. Die in ihrer Symbol- und Formensprache sehr zurückhaltend und schlicht gestalteten Kreuze und Steine zeugten jedoch noch immer von der Unsicherheit im Umgang mit dem jahrzehntelang tabuisierten Thema. Auch die im gleichen Jahr eingeweihten nationalen Gedenkstätten in Lubny bei Poltawa, vor allem aber das auch über die Landesgrenzen hinaus bekannte Mahnmal auf dem Kiewer Michaelsplatz sind Ausdruck für diese vorsichtige Annäherung.

Nicht unwesentliche Auswirkungen hatten auch die verschiedenen historischen Erfahrungen in den Regionen. Während in den am stärksten vom Hunger betroffenen Gebieten Kiew, Charkiw, Poltawa, Tscherkasy und Sumy zahlreiche Gedenkzeichen zu finden sind, so ist deren Zahl in den südlichen und östlichen Landesteilen deutlich geringer. Die geringeren Opferzahlen, auch wenn sie numerisch noch immer eine Katastrophe sind, ging hier mit einer stärkeren Abwehrhaltung gegenüber Denkmalsinitiativen einher. Besonders zu Beginn der 1990er Jahre stieß die offiziell ukrainisch-nationale und damit vor allem antirussische Konnotation der Erinnerung an den Holodomor auf Widerstände. Schändungen, ob nun aus geschichtspolitischen Motiven heraus oder schlicht aufgrund von Vandalismus, waren häufig, sind jedoch gleichsam in allen Regionen zu beobachten und nicht nur auf die Holodomorgedenkzeichen beschränkt. [16] Zudem sind aufgrund der starken lokalen Verwurzelung der Erinnerung eine Vielzahl der Gedenkzeichen nur im kleinen Rahmen bekannt und werden mitunter schon in der nächsten Kreisstadt nicht zur Kenntnis genommen. [17]

Zum anderen ist aus der bloßen Existenz eines Gedenkzeichens noch nicht darauf zu schließen, inwiefern es sich dabei um eine lebendige, d.h. auch zelebrierte, Erinnerung handelt. Mehr als drei Viertel aller Mahnmale in der gesamten Ukraine befinden sich an wenigen prominenten Plätzen, die im Alltag kaum von der Bevölkerung frequentiert werden. Die seit Beginn der 1990er Jahre einsetzende Suche nach den Gräbern der während des Holodomor Verstorbenen führte dazu, dass vor allem auf den Friedhöfen Gedenkzeichen errichtet wurden. Dort befinden sie sich mitunter noch relativ prominent neben dem Eingang oder neben der Friedhofskapelle, zumeist jedoch auf abgelegenen Bereichen, wo die Massengräber vermutet werden. Eine Verifizierung dieser vermeintlich authentischen Orte erfolgte nur in seltenen Fällen, wie beispielsweise in Romankowo. [18] Auch hier sind diese Gedenkzeichen schlicht Ausdruck eines Bedürfnisses, an die Toten zu erinnern.

Das Gedenkkreuz für die Opfer des Holodomor in Kyiv befindet sich an der Stelle das einstigen Dorfes Bratska Borschtschahiwka
Das Gedenkkreuz für die Opfer des Holodomor in Kyiv befindet sich an der Stelle das einstigen Dorfes Bratska Borschtschahiwka © Oleksandra Luchyk | Bundesstiftung Aufarbeitung

Abgesehen von der Markierung historischer Orte findet der Holodomor nur langsam Eingang in den Kanon der offiziellen Geschichtsdenkmäler. Mahnmale zur Erinnerung an die Hungerkatastrophe auf zentralen Plätzen sind bislang eher die Ausnahme als die Regel. Darunter verdanken einige Denkmäler ihr Entstehen wiederum der Existenz von Massengräbern, die durch das Anwachsen der Städte und Siedlungen in den letzten fünfzig Jahren vom Rand näher ins Zentrum gerückt sind. Das bereits angesprochene Gedenkkreuz in Charkiw befindet sich beispielsweise auf dem Gelände des früheren städtischen Friedhofs, der in den 1970er Jahren zu einer Parkanlage umgestaltet wurde. Ein ähnlicher Fall war die Errichtung einer Gruppe von vier Kreuzen inmitten der Kiewer Trabantenstädte seit 2003. Hier wurden vermeintliche Massengräber markiert, die während des Holodomor noch Bestandteil kleiner Dörfer waren, die später in die Hauptstadt eingemeindet wurden. Memorial Kiew, das mit Unterstützung der Stadtverwaltung die Aufstellung initiiert hatte, griff diesen Umstand bewusst auf, um die sichtbare Erinnerung damit auch im Alltag der heutigen Anwohner zu verankern.

Die Errichtung von Holodomormahnmalen an nicht-historischen Plätzen erfolgte zumeist im Rahmen staatlich geförderter Gedenkprogramme. Erstmals 1993 im Rahmen der »Wochen der Trauer« aufgelegt, erfuhr diese Form der Denkmalsstiftung besonders seit dem Wahlsieg des heutigen Präsidenten Wiktor Juschtschenko eine enorme Verbreitung. Mit einem 2006 herausgegebenen Präsidialerlass wurde der Bau von Gedenkzeichen gar zur Verpflichtung für die einzelnen Gebietshauptstädte. [19] So soll jedes Oblastzentrum der Ukraine bis zum Ende des Gedenkjahres 2008 sein eigenes Mahnmal erhalten. Dies gilt auch für die historisch nicht vom Holodomor betroffenen ukrainischen Westgebiete. [20] Hier wurden allerdings nur selten dezidierte Gedenkstätten geschaffen. [21] Andererseits wird der Holodomor durch Rückgriff auf die Hungersnöte 1946 / 47 mit einem lokalen Bezug versehen. [22] Damit wurde eine historische Kontinuität geschaffen, die das heutige nationale Holodomorgedenken in allen Landesteilen begründet. Jüngstes bekanntes Beispiel war die Einweihung eines Holodomordenkmals auf dem Piwdennyj-Markt in Lwiw im Sommer 2007. [23]

Mahnmal für die Opfer des Holodomor und der Deportationen auf dem Piwdennyj-Markt in Lwiw
Mahnmal für die Opfer des Holodomor und der Deportationen auf dem Piwdennyj-Markt in Lwiw © Wiktor Feduschtschak | Bundesstiftung Aufarbeitung

Auf Ebene der Gebiete wurden in den zurückliegenden Jahren analoge Erlasse durchgesetzt, die zur Einweihung von Gedenkzeichen beispielsweise in den Kreisstädten der Gebiete Sumy und Charkiw führten. [24] Im Unterschied zu den ländlichen Denkmalsinitiativen, die zumeist im Konsens mit der lokalen Bevölkerung entstanden, sind in den Städten oftmals kontroverse Auseinandersetzungen zu beobachten. Hier treten vor allem politische Parteien, Opferverbände und Kulturvereinigungen als Initiatoren auf, die mit dem Denkmalsbau eigene geschichtspolitische Akzente setzen. So bemühen sich beispielsweise im zentralukrainischen Dnipropetrowsk seit mehreren Jahren der Kongress Ukrainischer Nationalisten und andere nationalistische Vereinigungen um die Errichtung eines Gedenkkreuzes für die Opfer des Holodomor und der politischen Verfolgung auf dem Bahnhofsvorplatz. [25] Dieser täglich von zahllosen Menschen frequentierte Ort war ausgewählt worden, da hier während der Hungerkatastrophe aus den Dörfern geflüchtete Bauern strandeten, von denen einige in Massengräbern auf dem Bahnhofsgelände ihre letzte Ruhestätte fanden. Zudem war Dnipropetrowsk einer der Sammelpunkte für jene Deportationszüge, die als »Kulaken« stigmatisierte Bauern in den Hohen Norden und nach Sibirien verbrachten. Eine deutlich antisowjetische Konnotation erhielt das Vorhaben dadurch, da das Kreuz neben dem Sockel des Standbildes von Heorhyj Petrowsk aufgestellt wurde. Eine Demontage des Denkmals für den sowjetischen Parteifunktionär und Namenspatron der Stadt unterblieb bislang. Die Stadtverwaltung unternahm mehrere Versuche, das Kreuz versetzen zu lassen oder endgültig zu entfernen. Da dies jedoch bislang am Widerstand der Initiatoren scheiterte, ließ sie im nahe gelegenen Pysarshewskyj-Park am 25. November 2006 ein eigenes Gedenkkreuz errichten, das nun offiziell als Gedenkort für die Opfer des Holodomor in Dnipropetrowsk gilt. Beide Orte werden anlässlich der Gedenkfeiern aufgesucht, allerdings von unterschiedlichen Gruppen. Diese Kontroversen, die auch an anderen Orten wie beispielsweise in Krywyj Rih zu beobachten sind, zeigen, dass der Präsidialerlass nicht zwangsläufig auch eine Erinnerungskultur »von unten« gewährleistet. Vielmehr besteht die Gefahr, dass dem administrativ verordneten Gedenken nachgekommen wird, ohne es jedoch auf diese Weise tatsächlich in der Bevölkerung verankern zu können. [26]

Neben dem bislang skizzierten ausdrücklichen Holodomorgedenken wurden auch bestehende Mahnmale und Gedenkstätten durch neu hinzugefügte Elemente ergänzt und damit nachträglich den Opfern der Hungerkatastrophe gewidmet. So wurde in Stupytschne das bereits 1972 eingeweihte Denkmal des Vaterländischen Krieges während Renovierungsarbeiten um eine Gedenktafel ergänzt und seitdem als Gedenkort für die Holodomor genutzt. Andere neu errichtete Mahnmale für die Opfer politischer Verfolgung wurden ebenfalls in doppelter Konnotation den Toten der Hungerkatastrophe gewidmet. In Krementschuk werden beispielsweise die zentralen Gedenkveranstaltungen zumeist am Gedenkstein für die Opfer politischer Repression abgehalten. Der historische Ort, ein 1993 auf einem Massengrab auf dem Woskresenskyj-Friedhof errichtetes Kreuz, wird hingegen nur selten aufgesucht.

Gedenkstein für die Opfer der politischen Repressionen in Kremetschuk
Gedenkstein für die Opfer der politischen Repressionen in Kremetschuk © Wiktor Feduschtschak | Bundesstiftung Aufarbeitung

Allgemein bleibt festzuhalten, dass die Holodomor-Mahnmale ungeachtet einiger Prestigevorhaben wie in Kiew nach wie vor im Schatten anderer Geschichtsdenkmäler stehen. Insbesondere die Relikte sowjetischer Denkmalskultur blieben vor allem in den zentralen und östlichen Landesteilen lange Zeit unangetastet. Gleiches gilt bis heute bis für die Benennung von Straßen, Plätzen und Gebäuden. Die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen, insbesondere des Holodomor, wurde damit im Alltag offensichtlich konterkariert. [27] Auch hier wurde mit einem Erlass des ukrainischen Präsidenten Juschtschenko versucht, Abhilfe zu schaffen. Bis Ende 2008 sollen alle »Organisatoren des Holodomor« aus dem öffentlichen Raum verschwinden. [28] Bereits wenige Tage nach bekannt werden dieser Bestimmung stellte die Gebietsverwaltung Charkiw die Umbenennung mehrerer Straßen in den kommenden Monaten in Aussicht. [29]

Die Formen- und Symbolsprache der Gedenkzeichen ist auf einen Kanon weniger Stilelemente beschränkt. Es überwiegen vier- und sechsendige Holzkreuze als Zeichen des Totengedenkens, die vor allem auf markierten Massengräbern stehen. Sie tragen oftmals keine oder nur eine sehr knappe und nüchterne Inschrift, die auf die Bedeutung des Ortes verweist. Vor allem die in den 1990er Jahren errichteten Gedenkzeichen bedienen sich dieser zurückhaltenden Sprache. Auch eine religiöse Konnotation der Kreuze mittels lateinischer oder orthodoxer Kreuzformen scheint in den meisten Fällen nicht im Sinne der Initiatoren gewesen zu sein. In den heute fast ausschließlich orthodoxen Siedlungsgebieten der Ostukraine sind so bemerkenswert viele vierendige Kreuze anzutreffen.

Eine Besonderheit des ukrainischen Holodomorgedenkens besteht im Anlegen so genannter Kurgane. Diese kleinen, manchmal aber auch bis zu mehrere Meter hohen Grabhügel, beschwören eine historische Bestattungstradition, die von den als nationales Kulturerbe angesehenen Steppengräbern herrührt. Erstmals wurde beim Bau der Gedenkstätte »Holodomor ’33" bei Lubny 1993 auf dieses Element zurückgegriffen, um die Hungerkatastrophe in den neuen Geschichtskanon der Ukraine einzubetten. [30] Eine weitere Besonderheit ist die häufiger anzutreffende Verwendung so genannter Kosakenkreuze, die, wie der Name es nahe legt, ebenfalls auf eine spezifisch ukrainische Tradition verweisen sollen. Darüber hinaus ist eine »Nationalisierung« oder »Ukrainisierung« der Denkmäler kaum zu beobachten. Weder finden die Landesfarben blau-gelb Verwendung, noch ist das Hoheitszeichen, der Dreizack (Tryzub) integraler Bestand. Häufiger ist dagegen die Verwendung anderer heraldischer Symbole wie des Kalyna-(Schneeball)-Strauches, die unabhängig von der staatspolitischen Konnotation als kulturelles Symbol in allen Teilen des Landes anerkannt sind.

Darüber findet auch die in den geschichtspolitischen Diskursen anzutreffende Deutung des Holodomor als »Genozid« nur wenig Beachtung. Die Verwendung des Völkermordbegriffes findet sich im vorliegenden Band nur auf zwei Denkmälern. Das erste wurde 2002 anlässlich einer von der für ihre nationalistische Ausrichtung bekannten staatlichen Personalakademie Kiew ausgerichteten Forschertagung eingeweiht. In Usyn, in der Nähe von Kiew, wurde im gleichen Jahr der Begriff des »genozidalen Holodomor« der Inschrift beigefügt, die bemerkenswerterweise in russischer Sprache angebracht wurde.

Mahnmal für die Opfer des Holodomor in Sinjuchin Brid mit einer Mariendarstellung und Stilelementen der Getreideähren
Mahnmal für die Opfer des Holodomor in Sinjuchin Brid mit einer Mariendarstellung und Stilelementen der Getreideähren © Holodomor Museum (Kyiv, Ukraine)

Ein Bezug auf Landwirtschaft und damit verbundene Stilelemente ist hingegen bei nahezu fast allen Gedenkzeichen zu finden. Insbesondere Getreideähren, Brotlaibe, Blumen und Ackergeräte werden häufig verwendet und nehmen unter anderem auch im Entwurf der im Aufbau befindlichen nationalen Gedenkstätte »Schneeballwald« einen zentralen Platz ein. Die ukrainische Bauernschaft als Hauptleidtragende der Hungerkatastrophe wie auch als Verkörperung des ukrainischen Volkes wird damit symbolisiert. [31]

Ähnlich häufig sind verschiedene Mariendarstellungen anzutreffen, die auf religiöse Traditionen verweisen. Dabei hat die in der orthodoxen und unierten Kirche kanonisierte Darstellung von Maria mit dem Jesuskind eine doppelte Bedeutung, in dem die gleiche Frau-Kleinkind-Darstellung auch als Mutter-Beschützerin bzw. Mutter Ukraine eine dezidiert nationale Konnotation aufweist. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das 1993 auf dem Kiewer Michaelplatz eingeweihte Mahnmal, bei dem die Mutter-Beschützerin-Symbolik in ergreifender Schlichtheit umgesetzt wurde. Eine dem Holodomor angepasste Adaption findet sich in Wolotschysk, wo eine kniende, stark abgemagerte Frau ein kleines Kind in ihren Schoß bettet.

Die im Herbst 2007 begonnenen Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Holodomor, die mit weltweiten Bemühungen der ukrainischen Regierung um Anerkennung der tragischen Ereignisse einhergehen, zeigen, dass die Erinnerung an die Hungerkatastrophe heute in weiten Teilen des Landes etabliert ist. Es scheint, dass die Einschreibung der Jahre 1932 / 33 ins historische Gedächtnis der Ukraine kaum mehr rückgängig zu machen ist. Dies wird vor allem im Vergleich zum Umgang mit den anderen stalinistischen Verbrechen in Russland deutlich. [32] Dennoch werden erst die kommenden Jahre zeigen, ob die damit entstandene Fülle an Denkmälern zu einer dauerhaften und lebendigen Erinnerung werden kann. Oder ob sie, wie die meisten Kreuze auf den abgelegenen Friedhöfen, für die Masse der Bevölkerung doch randständig bleiben.

Verweise

[1] Vgl. dazu die eindruckvolle Schilderung des damals achtjährigen Wladimir Trendjakow. Ders: Auf der seligen Insel des Kommunismus, Frankfurt/Main 1990.

[2] Zeitgenössische Fotografien des Holodomor sind kaum überliefert, da die sowjetische Regierung alles daran setzte, Zeugnisse der Hungerkatastrophe zu verhindern. Die wenigen bekannten Aufnahmen stammen überwiegend von dem österreichischen Ingenieur Alexander Wienerberger, der 1933 in Charkiw weilte. Die Fotos wurden in dem von Ewald Ammende herausgebenden Band »Muss Russland hungern« erstmals 1934 in Deutschland veröffentlicht.

[3] Gleichwohl wurden im Zuge des Hungerterrors einige zehntausend Bauern als »Kulaken« deportiert, was einige vor dem Hungertod rettete. Ihre Zahl wird auf etwa 100.000 Menschen geschätzt. Pawel Poljan: Ne po swoje wolje. Istorija i geografija prinuditelnych migrazii w SSSR, Moskwa 2001.

[4] So wurden beispielsweise während des Holodomor zehntausende Angehörige des Partei- und Staatsapparates auf der unteren Ebene verhaftet, weil sie auf das Ausmaß des Hungers verwiesen oder gar gewagt hatten, gegen die Zwangsmaßnahmen zu protestieren. Gerhard Simon: Holodomor als Waffe. Stalinismus, Hunger und der ukrainische Nationalismus. In: Vernichtung durch Hunger. Der Holodomor in der Ukraine und der UdSSR (Osteuropa 12), Berlin 2004, S. 37–56, hier S. 51.

[5] Jurij Šapoval: Lügen und Schweigen. Die unterdrückte Erinnerung an den Holodomor. In: Vernichtung durch Hunger. Der Holodomor in der Ukraine und der UdSSR (Osteuropa 12), Berlin 2004, S. 131–146.

[6] Berichte über provisorische Massengräber wie auch die organisierte Beseitigung der Gebeine finden sich in den zahlreichen Erinnerungsberichten von Zeitzeugen. Stellvertretend sei auf die Schilderungen von Einwohnern des Gebietes Charkiw verwiesen: Polischtschyk, T.: Stolyzja widtschaju. Holodomor 1932–1933 na Charkiwschtschyni wustamy otschewydziw, swidtschennja, kommentari, Charkiw/New York /Lwiw 2006.

[7] In Kiew starben nach Schätzungen etwa 80.000 Einwohner der Stadt an den Folgen des Hungers. Zur gleichen Zeit verhungerten allerdings mehr als eine Million Menschen aus den umliegenden Dörfern in den Straßen der Hauptstadt. Vgl. Serhij Wakulyschyn: Holodowa katastrofa w Kyewi, Kyjw 2005.

[8] Das Foto wurde in der 1994 produzierten Dokumentarfilmreihe »Ukrajinskyj nitsch 33« von W. Heorhijenko verwandt. Es ist außerdem auch Bestandteil der Internetausstellung zum Holodomor des Ukrainischen Staatsarchivs: http://www.archives.gov.ua/Sections/Famine/, 10.01.2008.

[9] Eine für das Holodomorgedenken interessante und bislang nicht untersuchte Frage betrifft die Instrumentalisierung der Jahre 1932 / 33 für Propagandazwecke der deutschen Besatzungsmacht. Die Katastrophe der Kollektivierung wurde sehr wohl als Mittel verwandt, die lokale Bevölkerung für die Okkupanten zu gewinnen. Gleichwohl wurde sie in den Erfahrungen der Zeitgenossen durch eine erneute Hungerpolitik konterkariert, die vor allem die Städte betraf. Für die ländliche Bevölkerung waren Getreiderequirierungen und Zwangsverschleppung zum Arbeitseinsatz an der Tagesordnung. Gleichwohl wurden trotz dieser Schrecken vor allem in der Westukraine zwischen 1941 und 1944 viele dezidiert antibolschewistische Denkmäler mit Unterstützung oder Duldung der Besatzungsmacht errichtet, die sich meist auf Verbrechen der sowjetischen Geheimpolizei NKWD bezogen. Ob es ähnliche Denkmalsinitiativen in den zentralen und südlichen Landesteilen mit Bezug auf den Holodomor gab, ist unbekannt, aber vor dem Hintergrund der westukrainischen Erfahrungen durchaus denkbar. Nach der Befreiung des Landes wurden diese Bauten auf Befehl der sowjetischen Parteiführung fast ausnahmslos demontiert oder umgewidmet.

[10] Jutta Scherer: Ukraine. Konkurrierende Erinnerungen. In: Monika Flacke (Hrsg.): Mythen der Nationen. 1945 Arena der Erinnerungen, Band II, Mainz 2004, S. 719–736.

[11] Rolf Göbner: Der Holodomor in der ukrainischen Belletristik. In: Vernichtung durch Hunger. Der Holodomor in der Ukraine und der UdSSR (Osteuropa 12), Berlin 2004, S. 183–191; Wilfried Jilge: Holodomor und Nation. Der Hunger im ukrainischen Geschichtsbild. In: ebenda, S. 147–165.

[12] Neben Conquest wurden auch andere von Exilukrainern angefertigte Schriften auch in der Sowjetunion rezipiert. Umgekehrt gelangten ebenfalls Abhandlungen sowjetukrainischer Dissidenten ins Ausland. Robert Conquest: Die Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1932 / 33, München 1988.

[13] Wilfried Jilge: Holodomor und Nation, S. 151.

[14] Weselowa, O. M.: Pamjatni snaky I pamjatnyky shertwam holodou-henozydu 1932–1933 pp. w Ukrajini. In: Ukrajinskyj istorytschnyj shurnal 3 / 2004, S. 434–441.

[15] Zu den Diskursen um die Deutung des Holodomor vgl. den Beitrag von Wilfried Jilge.

[16] vgl. dazu exemplarisch den Fall in Barachty (Gebiet Kiew). Na Kyjiwschtschyni namahalysja wykrasty pamjatnyk shertwam holodomoru. Meldung Fernsehsenders 5. Kanal, 10.03.2007.

[17] So führte die Gebietsverwaltung Charkiw erstmals Anfang 2007 eine systematische Erhebung aller bekannten Gedenkzeichen durch. Im Ergebnis wurde im Frühsommer eine erste Liste publiziert, die bis zum Herbst beträchtlich an Umfang zugenommen hatte. Die meisten der neu aufgenommenen Gedenkzeichen waren selbst in den mit der Erhebung befassten Kulturabteilungen und Heimatmuseen der Kreisverwaltungen unbekannt.

[18] Das in Romakowo im November 2007 errichtete Gedenkkreuz ging auf systematische Nachforschungen zurück, bei denen auf dem alten Friedhof tatsächlich Massengräber aufgefunden werden konnten. W Dnepropetrowskoj oblasti shertwam holodomoru ustanowlen pamjatnyj snak. www.politsovet.info, 14.11.2007.

[19] Ukas Presidenta Ukrajiny Nr. 1087 / 2005. www.president.gov.ua/documents/2982.html, 10.01.2008

[20] Die heutigen Gebiete Sakarpatska, Lwiw, Wolhynien, Ternopil, Riwne und Tscherniwzi gehörten in der Zwischenkriegszeit zu Polen bzw. Rumänien.

[21] An den ehemaligen Grenzflüssen San und Pruth werden auf westukrainischer Seite aus Anlass der Holodomor Gedenktage beispielsweise Mahnwachen abgehalten, mit denen unter anderem an die in Polen 1932/33 organisierten Hilfslieferung erinnert wird.

[22] Vor allem im Winter 1946/47 kam es überall in Osteuropa aufgrund der harten Witterungsbedingungen und der Kriegszerstörungen zu Hungersnöten. In den westukrainischen Gebieten wurde dieser Umstand von den sowjetischen Sicherheitskräften auch ausgenutzt, um Teile der Landbevölkerung, welche die damals starke Widerstandsbewegung unterstützen, von der Versorgung abzuschneiden und dem Hungertod auszuliefern.

[23] Vor allem im Gebiet Lwiw wurden in den zurückliegenden Jahren immer wieder Massengräber aufgefunden, in denen Tote der Jahre 1946/47 ruhen. Auf dem Lytschakiwski-Friedhof in Lwiw wird 2008 eine eigene kleine Gedenkstätte eingeweiht, mit der diesen Opfern zentral gedacht wird.

[24] Sakon »Pro holodomoru 1932–1933 pokiw w Ukrajiny.« http://zakon.rada.gov.ua/cgi-bin/laws/main.cgi?nreg=376-16, 10.01.2008.

[25] Shertwy holodomoru 1932–33 rokiw na Dnipropetrowschtschyni. Radio Swoboda, 23.11.2007.

[26] Dass das Gedenken an die Opfer zur Formalität werden kann, zeigt das Beispiel Russlands. Per Gesetz sind die staatlichen Verwaltungen am 30. Oktober angehalten, Gedenkfeiern abzuhalten bzw. Opferverbände dabei zu unterstützen. Diese ritualisierten und ohnehin wenig von der Bevölkerung beachteten Zeremonien mit dem immer gleichen Ablauf sind vor allem in jenen Gebieten zu beobachten, in denen aufgrund politischer Mehrheiten keine echte Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Kommunismus erwünscht ist. Gleichwohl wird damit aber dem Anspruch der Zentralverwaltung genüge getan.

[27] In Charkiw sind beispielsweise noch immer zwei große Straßen nach Stanislaw Kosior, Vorsitzender des ZK der ukrainischen KP, und Pawel Postyschew, Abgesandter Stalins in Kiew zur Durchsetzung des Hungerterrors, benannt.

[28] Beschluss des Ministerrates der Ukraine Nr. 1026 vom 21.11.2007. Dem Gesetz vorausgegangen war ein Erlass Juschtschenkos.

[29] Orhkomitet s pytan wschnuwannja shertw holodomoriw inizijuwatyme roshljad pytannja pro perejmenuwannja dekilkoch charkiwskych wulyz. Pressemeldung der Gebietsverwaltung Charkiw, 26.11.2007.

[30] Eine weitere Besonderheit der Gedenkstätte bei Lubny besteht in der Auswahl des Ortes, der keine besondere Verbindung zur Hungerkatastrophe aufweist. Das in der Nähe befindliche Verklärungskloster von Mhar gilt jedoch als ein nationales Kulturdenkmal aus der Hochzeit der ukrainischen Kosaken, so dass auch auf diese Weise historische Kontinuitäten geschaffen wurden. Vgl. ausführlich zur Einschreibung des Holodomor in das nationale Geschichtsbild seit der Spätperestrojka mittels kosakisch-ukrainischer Symbole, Rituale und Denkmäler: Jilge, Holodomor und Nation, S. 151–152.

[31] Wilfried Jilge: Geschichtspolitik in der Ukraine [am Beispiel des Holodomor], in: Aus Politik und Zeitgeschichte 8–9 (2007), S. 24–30, hier S. 25.

[32] Der Hunger der Jahre 1932 / 33 erfasste neben der heutigen Ukraine auch die südrussischen Wolgagebiete besonders stark. Allerdings sind dort bislang keine größeren Denkmäler für die Opfer der Jahre 1932/33 entstanden.

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