Der Hass auf ‚Fremde‘, die Marginalisierung und oft gewaltsame Ausgrenzung von Minderheiten haben in Deutschland eine lange Vorgeschichte und prägen auch das gesellschaftliche Klima unserer Gegenwart. Dass insbesondere Ostdeutschland heute eine Hochburg der Neuen Rechten ist, dass es auch und gerade hier immer wieder zu tödlicher Gewalt gegen als ‚nicht-zugehörig‘ markierte Personen kommt, hat historische Ursachen, die im Kontext der deutschen Teilung und Einheit zu betrachten sind.

Nichts gelernt: Unterlassene Auseinandersetzung mit dem Holocaust

Ein verwahrlostes Bahnhofsgebäude in Ostdeutschland mit einer Hakenkreuzschmiererei und dem Text: Gedanken kann man nicht verbieten.
Hakenkreuzschmiererei am Bahnhof von Espenhain bei Leipzig, 1993. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Daniel Biskup, Bild Bahnhof Espenhain 1993

Obwohl sich die DDR als antifaschistischer Staat betrachtete, blieb eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust und seinen ideologischen Grundlagen – wie auch lange in Westdeutschland – weitgehend aus. Zwar erfolgte die Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone anfangs konsequenter als in den Westzonen, in denen frühere NSDAP-Mitglieder recht schnell wieder in ihre Ämter zurückkehrten und bis weit in die 1970er-Jahre führende Positionen in der Bundesrepublik bekleideten. Doch auch die DDR ermöglichte ehemaligen Parteigenossen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Hier war die offizielle Erinnerung an die NS-Verbrechen und deren Opfer bis 1989 von der Heldenerzählung des kommunistischen Widerstands geprägt. Sie marginalisierte das Gedenken an den Massenmord an Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, Zeugen Jehovas sowie kranken und behinderten Menschen, überdeckte das Mittun weiter Teile der deutschen Gesellschaft an den NS-Verbrechen und trug damit maßgeblich zur Verdrängung von Schuld und Verantwortung bei. Rassistisches und antisemitisches Gedankengut gab es nach 1945 damit auch in der DDR – trotz (oder gerade wegen) des staatlich instrumentalisierten Antifaschismusbekenntnisses.

Geschlossene Gemeinschaft: Verweigerte Integration durch die Mehrheitsgesellschaft

Zugleich sind die Kontinuitäten menschenfeindlicher Ideologien in Deutschland nicht aus dem Kontext der Migrationsgeschichte der beiden deutschen Staaten und dem gesellschaftlichen, häufig gewaltsamen Umgang mit Einwanderern seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu lösen. Sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR profitierten von Arbeitsmigrationsabkommen, infolge derer tausende junge Menschen als sogenannte ‚Gast- bzw. Vertragsarbeiter‘ in deutschen Betrieben oft körperlich schwere Arbeit verrichteten. Ihre Integration in die Gesellschaft war hingegen nicht erwünscht: Kontakte oder gar Ehen zwischen ‚Ausländern‘ und Einheimischen waren in Westdeutschland nicht gern gesehen, die DDR suchte sie politisch zu kontrollieren und zu unterbinden (was jedoch nur teilweise gelang). In beiden deutschen Staaten herrschte Konsens, dass die ‚Gäste‘ nach getaner Arbeit möglichst wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren sollten. Auch wenn Rassismus in der DDR offiziell nicht existierte und sich die SED der „Völkerfreundschaft“ mit postkolonialen, sozialistischen Staaten des Globalen Südens rühmte, so prägten auch hier koloniale und rassistische Denkmuster die Politiken und Praktiken dieser „antiimperialistischen Solidarität“.

Für die Bielefelder Historikerin Barbara Manthe „spricht vieles dafür, bei einer Geschichtsschreibung rassistischer Gewalt die Geschichte beider Deutschlande zusammenzudenken“: Diesseits und Jenseits der Mauer sahen sich Migranten, Schwarze Deutsche, Personen of Colour, Roma und Sinti tagtäglich Beleidigungen, Diskriminierung, An- und Übergriffen ausgesetzt, die zwar mitunter zeitgenössisch für Debatten sorgten, langfristig aber kaum Eingang ins kollektive Bewusstsein gefunden haben (Beispiele geben die Beiträge von Kien Nghi Ha, Barbara Manthe, Patrice G. Poutrus und Ceren Türkmen, die in der Literaturliste zu finden sind). Im öffentlichen Diskurs wurden die Betroffenen häufig für die gegen sie gerichtete Gewalt verantwortlich gemacht, was rassistische Einstellungen und Vorurteile in der Mehrheitsgesellschaft bekräftigte. Das soll nicht heißen, dass es nicht auch Solidarität gab. Jedoch verhielten sich die meisten DDR- und Bundesbürger bestenfalls gleichgültig.

Offene Grenzen, neue Mauern: Aufschwung rechter Gewalt seit 1990

Eine Hausfassade mit einem Fenster, das eine zerbrochene Glasscheibe hat und aus dem ein Mann nach draußen schaut.
Ein Bewohner des Wohnheims für ‚Vertragsarbeiter‘ nach dem rassistischen Brandanschlag in Hoyerswerda, 1991. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Ann-Christine Jansson, Bild DDR Wende Nazis Hoyerswerda 00901006

Das Ende der deutschen Teilung beförderte einen neuen nationalen Identitätsdiskurs, der vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen aus dem östlichen Europa (insbesondere Jugoslawien) von einer polarisierten Asyl-Debatte begleitet wurde. Im Zuge der deutschen Einheit gründeten sich besonders in den neuen Bundesländern gewaltbereite Neonazi-Gruppen – oft mit Unterstützung westdeutscher Rechtsextremer. Die Zeit der „Baseballschlägerjahre“ Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre war geprägt von einer Reihe an Pogromen und tödlichen Hetzjagden auf ‚nicht-deutsch‘ gelesene Personen – nicht nur in Ostdeutschland, aber vor allem da. Eberswalde, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, aber auch Mölln, Solingen und Lübeck wurden zu Synonymen rechtsextremer und rassistischer Gewalt. Die Taten geschahen unter stillschweigender Duldung bis hin zum aktiven Mittun politisch sonst eher unauffälliger Bürger und reihten sich ein in die Welle von gewaltsamen Ausschreitungen und brutalen Übergriffen auf Menschen (nicht nur, aber vor allem) mit Migrationsgeschichte, die in den 1990er-Jahren das junge vereinte Deutschland erschütterte.

Solidaritätsaktionen von Verbänden und der Kirchen, von Künstlern, Intellektuellen und Politikern mit den Betroffenen schufen zwar vielerorts ein Bewusstsein in der Mehrheitsgesellschaft und neue Bündnisse gegen rechte Gewalt. Dennoch konnten Neonazis im Osten die Unzufriedenheit und Unsicherheitserfahrungen der Mehrheit der Bevölkerung während der Transformation instrumentalisieren und den durch über 40 Jahre Diktatur bedingten Mangel an demokratischer Zivilgesellschaft für sich nutzen. Die aus Thüringen stammenden Täter des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), dessen Mordserie an Migranten die seit 1945 bekannte rechte Gewalt in Deutschland durch enorme Zerstörungsbereitschaft noch übertraf, waren bereits in der rechtsextremen Skinheadbewegung in der DDR sozialisiert worden und konnten zur Ausführung ihrer Taten auf ein bereites Unterstützernetzwerk zurückgreifen.

Lektionen für die Gegenwart: Das braune Erbe und seine Folgen

Hat also gerade der Osten ein Problem mit Rechtsextremismus? In Teilen ja, denn bis heute gibt es besonders in ländlich geprägten Regionen Ostdeutschlands eine starke Affinität für rechtsextreme Positionen, wie eine Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung 2017 zeigte. Gleichzeitig macht sich hier eine Vielzahl an zivilgesellschaftlichen Initiativen für rassismuskritische Bildung, gesellschaftliche Vielfalt sowie Empowerment von Minderheiten stark und bietet Stammtischparolen und rechter Gewalt die Stirn – darunter viele Organisationen, die von Betroffenen selbst gegründet worden sind.

Rassismus und Rechtsextremismus sind jedoch über den Osten hinaus gesamtdeutscher Alltag. Sie sind überdies keine temporären Phänomene oder Probleme der sogenannten „Ränder der Gesellschaft“, sondern das ihnen zugrundeliegende menschenfeindliche Gedankengut hat historische Kontinuitäten und reicht bis in die gesellschaftliche Mitte. Laut einer 2022 veröffentlichten Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung ist sich die große Mehrheit der heute in Deutschland lebenden Menschen dieses Problems auch bewusst. Jedoch wird Rassismuskritik immer noch häufig abgewehrt oder nicht ernst (genug) genommen. Die Erfahrungen, die Migranten, Personen jüdischen Glaubens, Roma und Sinti, Schwarze Deutsche, Geflüchtete und Asylsuchende mit Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945 gemacht haben, sind aber Teil unserer gemeinsamen Geschichte.

Verweise

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Michelsen, Danny / Przybilla-Voß, Marika / Lühmann, Michael u.a.: Rechtsextremismus und Frem-denfeindlichkeit in Ostdeutschland im regionalen Kontext. Ursachen – Hintergründe – regionale Kontextfaktoren, Abschlussbericht des Forschungsprojekts „Ursachen und Hintergründe für Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und fremdenfeindlich motivierte Übergriffe in Ost-deutschland sowie die Ballung in einzelnen ostdeutschen Regionen“ des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, wiederveröffentlichte, überarbeitete Fassung, November 2017.

Poutrus, Patrice G.: Fremd im Bruderland. Vertragsarbeit und das Ende des Goldbroilers, in: Perinelli, Massimo / Lierke, Lydia (Hrsg.): Erinnern stören. Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive, Berlin 2020, S. 277-298.

Türkmen, Ceren: Migration und Rassismus in der Bonner Republik, in: Perinelli, Massimo / Lierke, Lydia (Hrsg.): Erinnern stören. Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive, Berlin 2020, S. 99-132.

Wagner, Bernd: Rechtsextremismus in der DDR – die vertuschte Gefahr. Frühe Spuren von Neonazis in Ostdeutschland, in: Kowalczuk, Ilko-Sascha / Ebert, Frank / Kulick, Holger (Hrsg.): (Ost)Deutschlands Weg. 45 Studien & Essays zur Lage des Landes, Teil I – 1989 bis heute, Berlin/Bonn 2021, S. 347-359.

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