Im Rahmen eines Praktikums bei der Bundesstiftung beschäftigte sich die Autorin mit dem Thema Rechtsextremismus in der DDR und verfolgte zwei Ereignisse und Personen, die Einblick geben in die Entwicklung rechtsradikaler Gruppierungen in der DDR in den 1980er Jahren. Zum einen betrifft dies den Überfall auf die Ost-Berliner Zionskirche am 17. Oktober 1987, wodurch rechtsradikale Strömungen innerhalb der Jugendkulturen der DDR deutlich wurden. Nie zuvor hatte es einen so prominenten, offensichtlich rechtsradikal motivierten Gewaltakt gegeben. Aber wie kam es zu der Entwicklung rechtsradikaler Gruppierungen in einem Staat, der für sich beanspruchte, den Faschismus ganz beseitigt zu haben? Anhand des zweiten Beispiels, der Lebensgeschichte des ehemaligen Neonazis Ingo Hasselbach, kann gezeigt werden, wie ein unangepasster Jugendlicher sich für die Neonazi-Szene und ihr Gedankengut öffnete.

Der Überfall auf die Ost-Berliner Zionskirche am 17. Oktober 1987

Bereits am 16. Oktober 1987, dem Tag vor dem inoffiziellen Punkrockkonzert der westdeutschen Band „Element of Crime“, kam es zu Rangeleien und Pöbeleien zwischen Punks und rechtsradikalen Skinheads in einem Ost-Berliner Jugendklub. Die Skinheads drohten dabei mit einem erneuten Angriff. Am 17. Oktober 1987 fand am frühen Abend eine Feier der Skinheads statt; der Zwischenfall am Vortag war hier Thema. Auch Skinheads aus West-Berlin waren anwesend. Man entschloss sich, das Konzert von „Element of Crime“ in der Zionskirche, die zudem ein wichtiger Ort der DDR-Opposition war, zu überfallen. Eine Gruppe von ungefähr 30 Leuten machte sich mit der Straßenbahn auf den Weg zur Kirche. Vor Ort drangen die Skinheads in die Zionskirche ein und überfielen, mit Glasflaschen und Eisenstangen bewaffnet, die Besucher. Unter den Konzertbesuchern brach Panik aus und viele versuchten, aus der Kirche zu flüchten. Die Zustände waren chaotisch, da sich alle miteinander prügelten.

Zu sehen ist eine Farbfotographie eines braunen LKW-Anhängers, der am Straßenrad steht. Hinten hat jemand mit roter Farbe „NAZIS RAUS“ und das Antifa-Symbol „A“ in einem Kreis darauf geschrieben. Mit weißer Farbe wurde das Symbol und das Wort „NAZIS“ durchgestrichen und „Lincke“ daruntergeschrieben.
Nach dem Mauerfall 1989 wurden rechte Parolen im Straßenbild der DDR immer sichtbarer. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Ostkreuz, Harald Hauswald, HH07504_01

Die Skinheads riefen Parolen wie „Sieg Heil“ und „Kommunisten verreckt!“. Die Besucher in der Kirche skandierten daraufhin „Nazis raus!“. Einige Punks stellten sich den Skinheads entgegen und begannen mit Flaschen zu werfen. Daraufhin flüchteten die Skinheads aus der Kirche, auch weil sie offenbar von der großen Besucherzahl überrascht worden waren und nicht mit Gegenwehr gerechnet hatten. Vor der Kirche befanden sich einige Konzertbesucher, aber auch bereits Angehörige der Volkspolizei. Augenzeugen berichteten später, dass die Polizisten trotz der massiven Gewalt nicht eingriffen, sondern das Geschehen auffällig tatenlos beobachteten. Lediglich sechs Skinheads wurden nach dem Überfall durch die Volkspolizei und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) verhaftet. Sie wurden allerdings nur einige Stunden festgehalten und dann wieder entlassen.

Der Überfall auf das Konzert in der Zionskirche löste sowohl in der DDR, als auch in der Bundesrepublik eine unerwartete, und von der DDR-Führung unerwünscht große Medienreaktion hervor. In westdeutschen Medien wurde über eine absichtliche Zurückhaltung der Volkspolizei während des Überfalls spekuliert. Die DDR-Regierung versuchte zu intervenieren und bezeichnete den rechtsextremen Überfall als „Import aus dem Westen“. Die Volkspolizei und das MfS ermittelten zwar, alle Vernommenen bestritten jedoch rechtsradikale und neonazistische Ambitionen. Nur in einem Fall äußerte sich ein Skinhead offen rassistisch. Alle anderen gaben sich betont unpolitisch und versuchten bewusst, die Behörden auf Täter aus West-Berlin zu lenken. Sie erfanden hierfür eine in der rechtsradikalen Szene West-Berlins aktive Person mit dem Namen „Bomber“. Die Ost-Behörden ermittelten daraufhin auch in diese Richtung. Schnell kamen die Ermittler aber zu der (lange geheim gehaltenen und erst in den 1990ern veröffentlichen) Erkenntnis, dass die wirklichen Täter nicht unpolitische Jugendliche waren, sondern Ost-Berliner Skinheads, die in rechtsextremen Gruppierungen geschickt und mit Strategie agierten.

Gegen einige wenige Skinheads wurde tatsächlich später Anklage erhoben. Als Tatbestand wurde „Rowdytum“ angeführt. Neonazis durfte es nach der offiziellen Parteilinie in der Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) nicht geben. Von den Opfern des Überfalls wurde dies als Bagatellisierung empfunden, da der Überfall eindeutig neonazistische Haltungen offenbart hatte. Die Täter selbst beschrieben den Vorfall als einfache Schlägerei zwischen zwei verfeindeten Gruppen, der erst im Nachgang in Westdeutschland zu einem Politikum gemacht worden sei. Der Überfall wurde in der DDR-Bevölkerung und auch in Westmedien viel diskutiert. Daraufhin erhöhte die DDR-Regierung ohne rechtliche Grundlagen die zuvor niedrigeren Haftstrafen, auch wenn nach DDR-Recht für „Rowdytum“ die dann beschlossene Strafhöhe nicht vorgesehen war. Die Verfahren dienten in erster Linie der Beschwichtigung der Öffentlichkeit und dem Nachweis, dass das SED-Regime aktiv auf den Überfall reagierte und ihn entsprechend verurteilte.

Zu sehen ist eine Schwarz-Weiß-Fotographie, die von hinten zeigt, wie ein Skinhead gerahmt von zwei Polizisten abgeführt wird.
Etwa 200 Jugendliche randalierten am 20. April 1990 auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz. Mit Sprechchören verherrlichten sie den Geburtstag Adolf Hitlers. Es flogen Flaschen und Steine. Ein großer Teil der Skinheads hatte zuvor das Fußballspiel FC Berlin - FC Hansa Rostock besucht. Es gab mehrere Festnahmen. © Bundesarchiv, Bild 183-1990-0420-308 / Fotograf: Oberst, Klaus

Im Anschluss an die Verfahren fand jedoch keine Auseinandersetzung mit den jungen Menschen aus dieser rechtsradikalen Szene statt. Hier agierte man weiter nach der staatlich verordneten Ideologie der DDR, wonach es in der DDR keinen Faschismus gäbe, sondern dieser immer aus dem kapitalistischen Ausland kommen würde. Durch den Überfall und seine öffentliche Wahrnehmung konnten die neonazistischen Tendenzen in der DDR jedoch nicht mehr ignoriert werden, was die DDR-Führung unter Druck setzte. Bis heute halten sich nicht widerlegte Gerüchte hartnäckig, dass der Überfall wenn nicht vom MfS sogar geplant, aber zumindest toleriert wurde.

Ingo Hasselbach

Ingo Hasselbach, geboren am 14. Juli 1967, hätte einer dieser Schläger vom Überfall auf die Zionskirche sein können. Seine Vita ist beispielhaft für die Entwicklung eines unangepassten und vom DDR-Staat frustrierten Jugendlichen hin zum politisch aktiven Neonazi.

Hasselbach wuchs in einem regime-konformen Elternhaus auf. Seine Mutter und sein Stiefvater arbeiteten als Journalisten beim Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst (ADN). Hasselbachs leiblicher Vater war Anfang der 1960er Jahre aus der Bundesrepublik in die DDR übergesiedelt. In Westdeutschland war er inhaftiert gewesen, da er 1958 die dort verbotene Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) im Untergrund weitergeführt hatte.

Hasselbach, so zeigen zahlreiche Interviews mit ihm, wollte sich bereits als Kind nicht in das System einfügen und rebellierte. Er lehnte die Uniformierung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) ab, wollte nicht an Pioniernachmittagen teilnehmen und fühlte sich genervt und gegängelt vom dort verordneten Gedankengut. Bereits als Erstklässler wurde er für seine Aktionen politisiert und für seinen Ungehorsam bestraft, als er zum Beispiel den Kragen seiner FDJ-Uniform abtrennte. Ende der 1970er Jahre besuchte Hasselbach eine Schule, die in Sichtweite der MfS-Zentrale lag, was auch die hohe Anzahl seiner Mitschüler erklärte, die ebenfalls aus staatskonformen Haushalten stammten.

Zu sehen ist eine Schwarz-Weiß-Fotographie auf der eine Wand aus Beton zu sehen ist, davor eine grasbewachsene Böschung auf der ein Mann mit einer Kamera vor dem Gesicht steht und sich an die Wand lehnt. Links von ihm auf der Wand steht „SIEG HEIL“. Daneben sind zwei Hakenkreuze zu sehen.
Die Zeit zwischen Mauerfall und Beitritt der DDR zur BRD wurde von West- und Ostdeutschen Neonazis genutzt, um das neugewonnene Land für sich zu gewinnen. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Ostkreuz, Harald Hauswald, HH01260_02

Als Jugendlicher wurde Hasselbach dann Punk. Diese Bewegung, die sich vor allem optisch deutlich von der Norm absetzte, war in ihren Anfängen eher unpolitisch und Ausdruck von Unangepasstheit, eine jugendliche Subkultur. Sie wurde vom Staat jedoch zunehmend als „Gefahr für das sozialistische Zusammenleben“ angesehen und politisiert und kriminalisiert. Punks wurden in der DDR als „negativ-dekadente“ Jugendliche betrachtet, häufig wurden sie ohne Angabe von Gründen überwacht und inhaftiert. So auch Ingo Hasselbach, der bereits mit 13 Jahren einen Eintrag in seine Stasi-Akte erhielt, da er Punk-Musik hörte und dazu laut mitsang. Für das Regime galt er als „potentieller Störer des sozialistischen Zusammenlebens“. 1987 wurde er zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, da er auf einem deutsch-russischen Freundschaftsfest den Satz „Die Mauer muss weg!“ gerufen hatte.

In Haft fühlte Hasselbach sich orientierungslos; gefestigt fühlte er sich nur in seiner Ablehnung des kommunistischen Staates. Im Gefängnis machte er dann die Bekanntschaft mit Kriegsverbrechern des Nationalsozialismus (NS), wie zum Beispiel dem SS-Offizier Heinz Barth. Im Hass gegen das SED-Regime erkannte Hasselbach bei Barth und anderen Rechtsextremen eine verbindende Gemeinsamkeit. Hieraus entwickelte sich bei ihm das Gefühl, dass diese Menschen seinem Hass eine neue, sinnvolle Richtung geben könnten. Er sagt heute von sich selbst, dass er im Gefängnis zum „Neonazi sozialisiert“ wurde.

Nach dem Mauerfall lernte Hasselbach dann mit Michael Kühnen und Christian Worch die führenden Köpfe der westdeutschen Neonazi-Szene kennen. Ende der 1980er Jahre nahezu bedeutungslos, sahen sie in der untergehenden DDR ein neues Betätigungsfeld. Sie erteilten Hasselbach den Auftrag, die „Nationale Alternative“, 1990 die erste faschistische Partei der DDR, zu gründen, die zu Beginn der 1990er Jahre dann einen massiven Zulauf von vor allem jungen Menschen erhielt.

Zu sehen ist eine Farbfotographie einer Leinwand. Auf ihr sieht man die Projektion des Videoanrufs mit Ingo Hasselbach, der vor mehreren Bücherregalen sitzt.
Auf der Geschichtsmesse 2022 konnte Ingo Hasselbach nicht persönlich an einer Podiumsdiskussion teilnehmen, da es im Vorfeld die Androhung eines Bombenanschlags gegeben hatte. Er wurde live zugeschaltet. © 224_Geschichtsmesse_2022

Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 nahm dann die Polizei Ermittlungen gegen die sich zunehmend formierende Neonazi-Szene auf. Hasselbach erkannte, dass der legale Weg mit der Gründung seiner Partei und dem Versuch, in Parlamente zu gelangen, nicht funktioniert hatte, und wanderte mit seinen Anhängern in den Untergrund und die Illegalität ab. Hasselbach sieht heute in dieser Zeit den Ursprung der rechtsextremistischen Gewaltakte der 1990er Jahre. Zu dieser Zeit begann auch die Aktivität des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Die Jahre um 1990 bedeuteten für viele junge Menschen eine Zeit der absoluten Orientierungslosigkeit. Die rechtsradikale Szene, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der DDR formiert hatte, gab ihnen vermeintlichen Halt und versprach eine neue Ordnung, da ihre alte Welt durch den Zerfall der DDR weggebrochen war.

Ingo Hasselbach wagte Ende des Jahres 1992 nach dem Mordanschlag von Mölln den Weg aus der rechtsextremen Szene. Er schrieb ein Buch über seinen Ausstieg und war Mitgründer der Neonazi-Aussteiger-Organisation „Exit“.  Heute leistet er vielfältige Aufklärungsarbeit, ist im Bereich der politischen Bildung tätig und steht als Interviewpartner und Zeitzeuge zur Verfügung.

 

Wir woll`n euch mal wat fragen! Gespräche mit Ingo Hasselbach und Nadja Klier

„Wir wollten Spaß haben, das war, was alle Jugendlichen wollten in der DDR ...“ Eine der Antworten auf die vielen spannenden Fragen Jugendlicher von heute an Nadja und Ingo über ihre Jugend damals in der DDR. 

An der Schaltzentrale der Überwachung – Erich Mielkes Schreibtisch im heutigen Stasimuseum, in der berüchtigten Haftanstalt Bautzen II und der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt Berlin Keibelstraße erzählen Ingo und Nadja aus ihrem Leben als Jugendliche in der DDR. „Wie hat es sich angefühlt, als Tochter einer Oppositionellen im DDR-System aufzuwachsen?“ „Vom Punk zum Neonazi! Wie kam es zum 180 Grad Wandel in Ingos Biografie? Beide sprechen offen und ehrlich über das Erwachsenwerden zwischen Haftbedingungen, Ausbürgerung und Verfolgung durch Staatsorgane, sowie den Verlust von Heimat und den daraus entstandenen Traumata und Langzeitfolgen.

Seit vielen Jahren leistet Ingo Hasselbach als Aussteiger aus der rechten Szene aktiv Aufklärungsarbeit, besonders in den sozialen Medien. Nadja Klier ist die Initiatorin der DDR-Box, einer Plattform zum Jugend-Alltag in der DDR, welche erweiternd den Geschichtsunterricht an Schulen unterstützen soll. Beide sind aktiv im Bereich politische Bildung tätig und können für Zeitzeugen Gespräche an Schulen eingeladen werden.

© Neue Identitäten Filmproduktion / Bundesstiftung Aufarbeitung

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Rechtsextremismus
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Quellen

Botsch, Gideon: From Skinhead-Subculture to Radical Right Movement: The Development of a 'National Opposition' in East Germany. In: Contemporary European History 21, 4 (2012) S. 553-573.Moldt, Dirk: "Keine Konfrontation!". Die Rolle des MfS im Zusammenhang mit dem Überfall von Skinheads auf ein Konzert in der Berliner Zionskirche am 10. Oktober 1987. In: Alte und neue Nazis in der DDR 40 (2002) S. 14-25.

Jedlitschka, Karsten/ Niederhut, Jens/ Springer, Philipp: Verschluss-Sachen. Mit Fotografien von Christian Appl. Berlin 2017.

Konrad-Adenauer-Stiftung MV: Er war Neonazi. Sie wurde aus der DDR abgeschoben. Ingo Hasselbach und Nadja Klier im Interview. Upload 29.11.2022. https://www.youtube.com/watch?v=Ud9olDauV4U (zuletzt gesehen am: 17.04.2023).

Richter, Andreas Kuno/ Franke, Tom: „Antifaschismus in der DDR. Das Braune Erbe – Der Antifaschismus der DDR – Die Nationale Front – Neonazis in der DDR“. DVD. Berlin 2011.

Süß, Walter: Zur Wahrnehmung und Interpretation des Rechtsextremismus in der DDR durch das MfS. Reihe B: Analysen und Berichte – Nr. 1/1993. Berlin 2000.

Voigtländer, Henrike: „Rowdy“, „Fußball-Skin“, „Faschist“. Frauen in der Neonaziszene der DDR und die Akten der Staatssicherheit. In: Zeitgeschichte-online, Oktober 2019, URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/rowdy-fussball-skin-faschist (zuletzt gesehen am: 04.04.2023).

Wagner, Bernd: Rechtsradikalismus in der Spät-DDR. Zur militant-nazistischen Radikalisierung. Wirkungen und Reaktionen in der DDR-Gesellschaft. Berlin 2014.

Waibel, Harry: Der gescheiterte Anti-Faschismus der SED. Rassismus in der DDR. Frankfurt a. M. 2014.

Waibel, Harry: Die braune Saat. Antisemitismus und Neonazismus in der DDR. Stuttgart 2017.

Waibel, Harry: Rassismus in der DDR. Drei charakteristische Fallbeispiele aus den 70er und 80er Jahren. In: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat, 39 (2016) S. 111-131.