Im Kriegsgefangenenlager Stalag IVB der deutschen Wehrmacht bei Mühlberg/Elbe waren ab 1939 Zehntausende Kriegsgefangene interniert, darunter der US-amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut und der spätere Literaturnobelpreisträger Claude Simon. Bis Kriegsende kamen etwa 3.000 von ihnen ums Leben, davon allein 2.350 sowjetische Soldaten.

Im September 1945 richtete die sowjetische Geheimpolizei NKWD auf dem Gelände das Speziallager Nr. 1 Mühlberg/Elbe ein. Bis zur Auflösung des Lagers im September 1948 waren dort insgesamt etwa 22.000 deutsche Zivilgefangene interniert. Unter ihnen befanden sich kleinere und mittlere Funktionäre der NSDAP, aber auch zahlreiche willkürlich und oft aufgrund von Denunziationen Verhaftete. Alle Häftlinge litten unter unmenschlichen Haftbedingungen. Hunger und Krankheiten forderten zwischen 1945 und 1948  etwa 6.800  Todesopfer. Nach der Schließung der Sowjetischen Speziallager wurden diese in der DDR bis 1989 tabuisiert und alle Erinnerungszeichen vor Ort getilgt, so auch in Mühlberg.

Heute erinnert eine Gedenkstätte an die Geschichte des Lagergeländes. Möglich wurde dies vor allem durch das unermüdliche Engagement ehemaliger Häftlinge, die sich 1990 zur Initiativgruppe Lager Mühlberg e. V. zusammenschlossen. Stellvertretend für viele berichteten 2015 Eberhard Hoffmann und Roland Steinbach bei einem Rundgang vor der Kamera über ihre Haftzeit, erinnerten sich an die damaligen Einrichtungen des Speziallagers und erzählten vom mühevollen Weg zur heutigen Gedenkstätte.

Diese von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderte Video-Dokumentation wird mit freundlicher Genehmigung der Initiativgruppe Lager Mühlberg e. V. zur Verfügung gestellt.

Weitere Informationen zur Gedenkstätte Mühlberg finden Sie in diesem Auszug aus "Orte des Erinnerns", Hg. von Anna Kaminsky 2016:

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Zeitzeuge Eberhard Hoffmann (* 19.01.1928, † 07.01.2023)

Eberhard Hoffmann
Eberhard Hoffmann, © Bundesstiftung Aufarbeitung

Eberhard Hoffmann wird in den letzten Kriegstagen als 17-Jähriger zur Wehrmacht eingezogen, seine Einheit ergibt sich jedoch bald den amerikanischen Truppen. Aus kurzer Kriegsgefangenschaft kehrt er im Juni 1945 in die sowjetische Besatzungszone zurück. Dort wird er im Oktober 1945 verhaftet und brutal verhört. Er wird verdächtigt, der nationalsozialistischen Werwolf-Organisation anzugehören. Mit Tausenden anderen wird er in das sowjetische Speziallager Mühlberg gebracht, wo er die schrecklichen Haftbedingungen überlebt. Nach der Auflösung des Lagers 1948 wird er in das Speziallager Buchenwald verlegt und 1950 entlassen. 1990 gründet Eberhard Hoffmann mit Leidensgenossen die Initiativgruppe Lager Mühlberg und engagiert sich über viele Jahre in deren Vorstand. Er hat sich in dieser Zeit große Verdienste um den Aufbau der Gedenkstätte erworben.

Zeitzeuge Roland Steinbach (* 17.05.1928)

Roland Steinbach
Roland Steinbach, © Bundesstiftung Aufarbeitung

Roland Steinbach muss als 16-Jähriger ab Oktober 1944 als Soldat am Zweiten Weltkrieg teilnehmen. Nach kurzer US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft wird er im August 1945 in die sowjetische Besatzungszone entlassen. Im Oktober 1945 wird er unter dem Verdacht verhaftet, der NS-Organisation Werwolf anzugehören. Nach einem erzwungenen Geständnis wird er ins Speziallager Mühlberg überführt. Im Februar 1947 wird er in die Sowjetunion deportiert. Nach jahrelanger Zwangsarbeit in verschiedenen Lager des GULag wird er erst im Mai 1952 entlassen und kehrt in die DDR zurück. Roland Steinbach engagiert sich intensiv in der Aufarbeitung der Geschichte des Lagers Mühlberg und lebt heute in Chemnitz.

Virtueller Rundgang durch die Gedenkstätte

Das sowjetische Speziallager Nr.1 Mühlberg/Elbe wird 1945 wird auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stalag IVB der deutschen Wehrmacht errichtet. Die Zeitzeugen Eberhard Hoffmann und Roland Steinbach berichten hier von ihren Verhaftungen und den umfassenden Aufbauarbeiten bei der Errichtung des Lagers.

 

Die Verpflegung im Lager war mangelhaft. Die Zeitzeugen Eberhard Hoffmann und Roland Steinbach erzählen von ihren Erlebnissen und den Zuständen im sowjetischen Speziallager Nr. 1 Mühlberg/Elbe.

 

 

Es ist vor allem dem unermüdlichen Einsatz und Engagement der ehemaligen Höflinge und Angehörige der Lagerüberlebenden zu verdanken, dass die Gedenkstätte Lager Mühlberg errichtet wurde. Die Zeitzeugen Eberhard Hoffmann und Roland Steinbach erzählen von den ersten Bemühungen das einstige Lagergelände freizulegen. 

Da die Kanalisation im Lager Mühlberg beschädigt war, musste ein „Jauchekommando“ die Latrinen händisch abschöpfen und auf einem Karren auf den Feldern verteilen. Die Zeitzeugen Eberhard Hoffmann und Roland Steinbach berichten von der anstrengenden Arbeit, an der zahlreiche Häftlinge durch Entkräftung und Krankheit starben. 

Wie in den anderen Speziallagern, waren auch in Mühlberg die Gefangenenbaracken nicht nur vollkommen überbelegt, sondern zudem von Ungeziefer verseucht. Im Winter waren die Unterkünfte nur unzureichend oder gar nicht geheizt. Die Zeitzeugen Eberhard Hoffmann und Roland Steinbach erzählen von ihren Erlebnissen.

Da freie Bewegung im Lager verboten war, nutzten Internierte den Gang zu den Aborten auch als Kommunikationsmöglichkeit zu den Mitgefangenen. Die Zeitzeugen Eberhard Hoffmann und Roland Steinbach erzählen von den „Sanitäranlagen“ im Lager.

Sowjetische Speziallager waren vollständig von der Außenwelt isoliert. Von Verhaftungen, Internierungen, Verlegungen in andere Lager, Deportationen in die Sowjetunion oder Tod erfuhren die Angehörigen der Gefangenen von offiziellen Stellen nichts. Die Zeitzeugen Eberhard Hoffmann und Roland Steinbach beschreiben den Alltag im Lager Mühlberg.

Der hintere Bereich des Lagers Mühlberg bestand aus einer sogenannten Lazarett-Zone mit verschiedenen Funktionsbaracken so bspw. für Infektionskrankheiten, Inneres und Chirurgie. Der Zeitzeuge Eberhard Hoffmann erzählt vom Krankenstand im Lager und von der Bedeutung des Begriffs „Freiheit“ für die Gefangenen.

Kassiber – heimlich aus dem Lager herausgeschmuggelte Nachrichten. Für die in vollkommender Isolation lebenden Lagerinsassen die einzige Möglichkeit überhaupt ein Lebenszeichen von sich zu geben. Der Zeitzeuge Eberhard Hoffmann erzählt von den Versuchen der Gefangenen Botschaften aus dem Lager hinaus zu bekommen.

Innerhalb des Lagers Mühlberg bestanden verschiedene „Zonen“. Das Frauenlager war dabei besonders streng von den anderen Lagereinheiten abgetrennt. Der Zeitzeuge Eberhard Hoffmann erzählt von den Gegebenheiten im Frauenlagen und den Unterschieden zum Alltag im Männerlager.

Der Zeitzeuge Eberhard Hoffmann berichtet von dem strikt reglementierten Zugang zum Lager, welches nur von den sowjetischen Armeeangehörigen betreten werden konnte und beschreibt die Razzien, die in den Häftlingsbaracken durchgeführt wurden.

Die völlige Isolierung der Gefangenen von der Außenwelt wurde durch Sperranlagen, Sichtblenden, Stacheldrahtzäune und eine totale Kontaktsperre durchgesetzt. Der Zeitzeuge Eberhard Hoffmann erzählt vom rigiden Sicherheitsregime und den Totentransporten im Lager.

Der Zeitzeuge Roland Steinbach erzählt von der Errichtung des ersten Gedenkkreuzes auf dem Gelände der heutigen Gedenkstätte Mühlberg.

Bei den im Juli 2004 begonnen Aushubarbeiten für die Errichtung eines neuen Hochkreuzes auf dem Gelände der Gedenkstätte Mühlberg wurden menschliche Knochen entdeckt. Diese sterblichen Überreste von 24 unbekannten Toten wurden im August 2004 zusammen mit der Errichtung des neuen Hochkreuzes während einer Trauerfeier beigesetz. Der Zeitzeuge Eberhard Hoffmann erzählt von den Überlegungen bei der Gestaltung des Massengräberfeldes.

Eines der zahlreichen namentlich markierten Kreuze auf dem heutigen Gelände der Gedenkstätte Mühlberg erinnert an Leopold Ferdinand Pascher. Der Zeitzeuge Roland Steinbach erzählt vom Verlust des väterlichen Freundes nur wenige Monate nachdem beide im Lager Mühlberg interniert wurden.

Auf dem Gelände der heutigen Gedenkstätte Mühlberg erinnern ein großes Gedenkkreuz in abgestufter Palisadeneinfassung sowie zahlreiche Einzelkreuze und Gedenksteine an das begangene Unrecht. Seit 2008 erinnern außerdem Bronzetafeln mit den Namen von 6.766 Todesopfern des sowjetischen Speziallagers. Der Zeitzeuge Eberhard Hoffmann erzählt von der Durchführung des Gestaltungswettbewerbs und der Schwierigkeit die Namen der im Lager Verstorbenen zu rekonstruieren.

„Pelzmützentransport“ – die Deportation von Speziallagerinternierten zur Zwangsarbeit in die Lager der Sowjetunion. Die Kopfbedeckung der Gefangenen ist namensgebend. Der Zeitzeuge Roland Steinbach berichtet wie er mit eintausend weiteren Gefangenen aus Mühlberg ins Lager nach Sibirien kam.

Der Zeitzeuge Roland Steinbach erzählt vom Lageralltag im sibirischen Anschero-Sudschensk, wo er zwei Jahre lang unter Tage im Steinkohlenbergbau arbeiten musste.

Anfang der 1950er Jahre gelten die aus den Speziallagern in die Sowjetunion Deportierten als Kriegsgefangene und sollen zurück nach Deutschland überführt werden. Der Zeitzeuge Roland Steinbach berichtet von seiner im April 1950 gescheiterten Entlassung aus der Lagerhaft.

Der Zeitzeuge Roland Steinbach berichtet von seiner Entlassung aus der Lagerhaft im April 1952.

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Wer "Gulag" hört, denkt an unmenschliche Lebensbedingungen, schwere körperliche Arbeit, drakonische Strafen, Mangelernährung, Erschöpfung, Krankheit, Tod. Der Begriff Gulag ist zum Synonym für das sowjetische Repressionssystem geworden, dem Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Abkürzung Gulag steht für das russische "Glavnoe Upravlenije Lagerej" und bedeutet "Hauptverwaltung der Lager". Es bezeichnet ein umfassendes System von Straf- und Arbeitslagern ("Besserungsarbeitslager") sowie Verbannungsgebieten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, das in den 1920er Jahren eingerichtet und systematisch ausgebaut wurde. Bis Mitte der 1950er Jahre durchliefen schätzungsweise 20 Millionen Menschen das Lagersystem. Die genaue Zahl der Todesopfer ist unbekannt.