Fremdbezeichnungen, mit denen die deutsche Mehrheitsgesellschaft üblicherweise marginalisierte Minderheiten bezeichnet, stehen zunehmend in der Kritik. Die Markierung von „Anderen“, oft anhand abwertender und diffamierender Pauschalbezeichnungen, wird als Prozess eines gewaltvollen Otherings, d.h. eines Zu-Anderen-Machens, problematisiert. Othering ermöglicht und verstärkt soziale Ausgrenzung, ökonomische Ausbeutung und Diskriminierung. Angesichts dieser Debatten stellt sich die Frage, welche Bezeichnungen in der historischen Auseinandersetzung mit der DDR-Arbeitsmigration zutreffend und respektvoll sein können – eine Frage, die letztendlich nur die vielfältigen Stimmen Betroffener beantworten können. Doch bisher bleibt eine Debatte über die verwendeten Bezeichnungen aus. In diesem Text werden die vorhandenen Begriffe historisch eingeordnet und eine Reflektion über deren heutige Verwendung angeregt.

Begrifflichkeiten während der Bleiberechtsdebatte in den 1990er Jahren

Die aktuell geläufigste Bezeichnung für ausländische Staatsbürger:innen, die vor 1989 im Rahmen bilateraler Abkommen mit Partnerstaaten für eine Berufsausbildung und zum Arbeiten in die DDR kamen, lautet „Vertragsarbeiter:innen“. Die inflationäre Verwendung dieses Begriffs hinterlässt gelegentlich den Eindruck, dass es sich hierbei um einen historischen Quellenbegriff aus DDR-Zeiten handelt. Doch diese Bezeichnung entstand erst Anfang der 1990er-Jahre vor dem Hintergrund massenhafter Abschiebungen und erstarkender rechter Gewalt, die sich häufig auch gegen die „Vertragsarbeiter:innen“ richtete. Vielschichtige Verhältnisse in Ostdeutschland mussten damals an den rechtlichen Rahmen der Bundesrepublik angeglichen werden. Der Begriff „Vertragsarbeiter:innen“ ist ein Produkt dieser Rechtsangleichung. Die konservative Bundesregierung unter Helmut Kohl führte zunächst die Begriffe „Werkvertragsarbeitnehmer“ oder „Vertragsarbeitsnehmer auf der Grundlage von Werkverträgen“ ein, die sich dann in der medialen und gesellschaftlichen Debatte zur Bezeichnung „Vertragsarbeiter“ verdichteten. 

Demonstranten blockieren eine breite Straße im Zentrum Berlins. Sie halten ein langes Stoffbanner mit der Aufschrift „Bleiberecht für DDR Vertragsarbeiter“.
Demonstration gegen die Abschiebungen von ehemaligen DDR-Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern. Berlin, 11. Juni 1992. © ddrbildarchiv.de/Burkhard Lange

Diese Begriffswahl verdeutlichte, dass eine rechtliche Gleichstellung der „Vertragsarbeiter:innen“ mit westdeutschen „Gastarbeiter:innen“ nicht vorgesehen war. Stattdessen sollte ihr rechtlicher Status westdeutschen „Werkvertragsarbeitnehmern“ gleichgestellt werden. Das implizierte, dass ihnen nach Ablauf ihrer Verträge kein Bleiberecht in der Bundesrepublik gewährt werden sollte. Der Status „Vertragsarbeiter:in“ bedeutete damals also in der Regel, dass sie in naher Zukunft ausreisepflichtig waren. Im Widerspruch zu dieser Argumentation sprachen Befürworter:innen eines Bleiberechts zu Beginn der 1990er-Jahre noch von „Regierungsabkommensarbeitnehmer“ oder „Gastarbeitern der ehemaligen DDR“. Dadurch wollten sie die Unvergleichbarkeit der DDR-Arbeitsmigrationsabkommen mit westdeutschen Werkverträgen untermauern und eine rechtliche Gleichstellung mit westdeutschen „Gastarbeitern“ anstreben [1]. Im Verlauf der Auseinandersetzungen um drohende Abschiebungen und der Forderung nach einem Bleiberecht wird der Begriff „Vertragsarbeiter:in“ schließlich derart dominant, dass auch Bleiberechts-Aktivist:innen beginnen, ihn zu verwenden.

Offizielle Bezeichnungen in der DDR

In der DDR lehnte die SED die Verwendung des westdeutschen Begriffs „Gastarbeiter:innen“ für den Kontext der DDR ab. Mit Beginn der Regierungsabkommen in den 1960er-Jahren war die Partei vor ideologische Herausforderungen gestellt: Die Gefahr war groß, dass die ökonomischen Beweggründe für die DDR-Arbeitsmigration die Abgrenzung von der kritisierten Migrationspolitik der BRD unglaubwürdig machen könnten. Die für die BRD ökonomisch vorteilhaft strukturierte Gastarbeiterpolitik galt als kapitalistisch, ausbeuterisch und als Fortsetzung faschistischer Fremd- und Zwangsarbeiterpolitik [2]. Die Verwendung des Begriffs „Gastarbeiter:innen“ war deswegen ausgeschlossen. Für die jugendlichen Leser:innen erläuterte das Frage-Antwort-Format der FDJ-Zeitung Junge Welt am 28. September 1972: „Es gibt gewisse Begriffe, lieber Dieter, die untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden sind. Dazu gehören beispielsweise Ausbeutung, Profit und eben auch der des Gastarbeiters.“ [3]

Artikel von Peter Bethge in der FDJ-Zeitung „Junge Welt“ vom 28.9.1972 mit der Überschrift „Welchen Stand haben ausländische Arbeitskräfte bei uns?“ Der Artikel vergleicht die Ausbeutung von „Gastarbeitern“ in kapitalistischen Ländern mit der Integration ausländischer Arbeiter in sozialistischen Staaten. Er betont, dass in sozialistischen Ländern ausländische Arbeitskräfte als gleichberechtigte Partner am Aufbau des Sozialismus mitarbeiten, während kapitalistische Staaten ihre Arbeitskraft ausgebeuten.
„Internationale Solidarität“ versus Ausbeutung. Zum „Stand der ausländische[n] Arbeiter“ in der DDR kommentiert die Zeitung „Junge Welt“ am 28.9.1972. © Junge Welt vom 28.9.1972, S. 4. Autor: Peter Bethge

In der DDR-Presse wurde der „grundlegend andere […] Charakter“ der Arbeitsmigration in die DDR herausgestellt [4] und kritische Berichterstattung im Ausland zum Thema regelmäßig und reflexhaft dementiert [5]. Die Migrant:innen wurden offiziell als „ausländische Werktätige“ bezeichnet, oft auch als „ausländische Freunde“ oder „Klassenbrüder“. Die Formulierung derart euphemistischer Formulierungen diente dem Zweck, über die ökonomischen Beweggründe der DDR hinwegzutäuschen [6]. Tatsächlich unterschied sich die DDR-Arbeitsmigration von der westdeutschen Gastarbeit insofern, als dass die Ausbildung zu Fachkräften zentral in den zwischenstaatlichen Migrationsabkommen verankert war. Der ökonomische Nutzen für die Herkunftsgesellschaften, die im Nachhinein von den ausgebildeten Arbeitskräften profitieren sollten, wurde im sogenannten „Prinzip des gegenseitigen Vorteils“ betont [7]. Neben der Berufsausbildung helfe die DDR den anderen Staaten auch auf ideologischer Ebene: Die Arbeiter:innen kämen in die DDR, um dort ein „sozialistisches Bewusstsein“ zu erlangen. Dieser Erziehungsauftrag wurde auch repressiv durchgesetzt, wenn sich die „ausländischen Werktätigen“ nicht im sozialistischen Sinne verhielten und zum Beispiel wegen geringen Löhnen streikten. Der ideologisch geprägte Blick von SED-Verantwortlichen verkannte, dass der hier mitschwingende Paternalismus ebenfalls in einer Kontinuität von rassistisch konstruiertem Überlegenheitsdenken stand [8]. Die eigentliche Berufsausbildung wurde in der Praxis oft vernachlässigt und die Arbeit in unbeliebten und körperlich anstrengenden Bereichen im Schichtbetrieb war meist prägend. Rückführungen wegen Schwangerschaft, psychischer Krankheit oder Disziplinlosigkeit verdeutlichen zudem, dass die ökonomischen Dimensionen für die DDR oft ausschlaggebender waren als die sozialen Belange der Arbeitsmigrant:innen [9]. Vor diesem Hintergrund sollten die offiziellen Begrifflichkeiten der DDR-Arbeitsmigration das ambivalente Spannungsfeld zwischen proklamierter „anti-imperialistischer Solidarität“ und den ökonomischen Motivlagen harmonisieren.
 

Rassistische Fremdbezeichnungen

Abgesehen von offiziellen Bezeichnungen etablierten sich in der DDR-Gesellschaft auch inoffizielle und eindeutig rassistische Fremdbezeichnungen für bestimme Migrant:innengruppen. Am bekanntesten ist wohl die Bezeichnung „F*dschi“. Ursprünglich abgeleitet von den Fidschi-Inseln im Südpazifik entwickelte sich der Begriff in der DDR zu einer abfälligen Kollektivbezeichnung für asiatisch gelesene Menschen. Auch Neonazis verwendeten in den 1990er-Jahren diesen Begriff bei ihren gewaltvollen Angriffen auf Vietnames:innen [10]. Diese Fremdbezeichnungen wurden entweder bewusst als Beleidigung verwendet oder verharmlosend als Verniedlichung. Auch letzteres ging meist mit paternalistischer Überheblichkeit einher.

Rückgekehrte „Madgermanes“

Eine weitere Bezeichnung entwickelte sich in Mosambik für die aus der DDR zurückgekehrten Arbeitsmigranten, die dort „Madgermanes“ genannt werden. Der genaue Wortursprung ist umstritten: Die Hypothese, dass es sich um eine Verballhornung von „Made in Germany“ oder gar um „mad Germans“ („verrückte Deutsche“) handele, wird zurückgewiesen mit dem Hinweis auf den Bantu-Präfix „ma“, der in Verbindung mit dem englischen „Germany“ so viel wie „die Menschen aus Deutschland“ bedeute.  Zunächst eine Fremdbezeichnung mit einer tendenziell abwertenden Konnotation, eigneten sich die ehemaligen Arbeitsmigranten diese Bezeichnung im Kontext ihrer anhaltenden Proteste an [11]. Mit der Aneignung einer Eigenbezeichnung bilden die rückgekehrten mosambikanischen Arbeitsmigranten jedoch eine Ausnahme. Die meisten anderen DDR-Migrant:innengruppen sind nicht in einer ähnlichen Weise politisch organisiert wie die Mosambikaner:innen, die in wöchentlichen Demonstrationen in Maputo ihren ausstehenden Lohn aus DDR-Zeiten einfordern.

„Arbeitsmigrant:innen“ als wissenschaftlicher Begriff

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung taucht inzwischen neben den bis hierhin vorgestellten Bezeichnungen auch der allgemeinere Begriff „Arbeitsmigrant:innen“ auf. Dieser Begriff stammt aus der sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung und dient dazu, verschiedene Formen der Migration zu systematisieren [12]. Dabei spiegelt die Systematik meist den politischen Regulationsrahmen. Dagegen ist in der Perspektive von Migrant:innen eine eindeutige Trennung zwischen den Formen Arbeits-, Bildungs-,  oder Fluchtmigration oft nicht möglich – was selbst im besonders stark regulierten Migrationsregime der DDR galt [13]. Im Gegensatz zu „Vertragsarbeiter:innen“, „Gastarbeiter:innen“ oder „ausländischen Werktätigen“ – alles Begriffe, die ebenfalls den Zweck der Arbeit in den Vordergrund stellen – beinhaltet „Arbeitsmigrant:innen“ keine Aussage über die Zeitlichkeit der Migration. Von „Gästen“ wird erwartet, dass sie irgendwann gehen, „Verträge“ sind befristet, und „ausländische“ Werktätige sind ihrer Herkunftsgesellschaft zugeordnet, in die sie wieder zurückkehren. Tatsächlich kann Migration – trotz staatlicher Regeln – temporär oder dauerhaft sein. Die historische Migrationsforschung zeigt, dass Migration an sich kein neuartiges Phänomen oder eine historische Ausnahme ist. Vielmehr ist Migration als historische Konstante zu betrachten [14].
 

Quellen

[1] Vgl. Sextro, Uli: Gestern gebraucht - heute abgeschoben. Die innenpolitische Kontroverse um die Vertragsarbeitnehmer der ehemaligen DDR. Dresden 1996, S. 11-12.

[2] Vgl. bspw. Sektion Geschichte Wilhelm-Pieck-Universität Rostock (Hg.): Wesen und Kontinuität der Fremdarbeiterpolitik des deutschen Imperialismus, Rostock 1974.

[3] Zit. nach Sextro, Gestern gebraucht, S. 20.

[4] Krüger-Potratz, Marianne: Anderssein gab es nicht. Ausländer und Minderheiten in der DDR. Münster 1991, S. 45.

[5] Vgl. Kuck, Dennis: „Für den sozialistischen Aufbau ihrer Heimat“? Ausländische Vertragsarbeitskräfte in der DDR, in: Behrends, Jan C. / Lindenberger, Thomas / Poutrus, Patrice G. (Hg.): Fremde und Fremd-Sein in der DDR. Zu historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland. Berlin 2003, S. 273.

[6] Vgl. Rabenschlag, Judith: Völkerfreundschaft nach Bedarf. Ausländische Arbeitskräfte in der Wahrnehmung von Staat und Bevölkerung der DDR. Stockholm 2014, S. 219.

[7] Möglichkeiten der Einbeziehung ausländischer Arbeitskräfte in den Produktionsprozeß der DDR, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, M 1-C/961-72.

[8] Vgl. Mende, Christiane: Migration in die DDR. Über staatliche Pläne, migrantische Kämpfe und den real-existierenden Rassismus, in: Gürsel, Duygu / Çetin, Zülfukar (Hg.): Wer MACHT Demo_kratie? Kritische Beiträge zu Migration und Machtverhältnissen, S. 158.

[9] Vgl. Rabenschlag, Völkerfreundschaft, S. 225-226.

[10] https://taz.de/Landser-Landser-gute-Reise/!661643/

[11] https://www.treffpunkteuropa.de/madgermanes-mosambikanische-vertragsarbeiter-innen-in-der-ddr?lang=fr

[12] Vgl. Zwengel, Almut: Zusammenleben mit Zu- und Eingewanderten. Eine Einführung in die Migrationssoziologie, Weinheim/Basel 2018, S. 13-45.

[13] Vgl. Mende, Migration, S. 152.

[14] Vgl. Oltmer, Jochen (Hg.): Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin/Boston 2016.

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