Das sozialistische Gleichheitsversprechen setzte voraus, dass die Mitglieder einer Gesellschaft im Grunde dieselben Bedürfnisse haben. Die Norm bildeten vor allem junge und gesunde Menschen. Wer durch eine körperliche oder intellektuelle Beeinträchtigung davon abwich, konnte auf zahlreiche Barrieren stoßen. Die soziale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in der DDR hing daher wesentlich von medizinischen Diagnosen über Art und Dauer („Heilungsaussichten“) der Beeinträchtigung, staatlichen Vorgaben zur Rehabilitation sowie dem jeweiligen sozialen Umfeld ab.
Das Thema Behinderung spielte in den ersten Jahren der DDR keine große Rolle in Politik und Öffentlichkeit. Wie auch in Westdeutschland verbrachten Menschen mit einer körperlichen oder intellektuellen Beeinträchtigung meist einen Großteil ihres Lebens in Heimen oder Kliniken außerhalb der Gesellschaft. Dort wurden sie nicht gefördert, sondern versorgt und verwahrt – unter teils katastrophalen Bedingungen. In beiden deutschen Staaten setzte aber Ende der 1950er-Jahre ein Umdenken ein. Während sich in der Bundesrepublik Interessenvertretungen behinderter Menschen und ihrer Angehörigen gründeten, forschten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der DDR verstärkt zu Rehabilitation. Die Regierungen beider Länder brachten infolgedessen einige Gesetze und Verordnungen zur gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf den Weg.
Erich Honecker, der 1971 Walter Ulbricht als Staatschef ablöste, erklärte die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Bürgerinnen und Bürger in der DDR zum wichtigen politischen Ziel. Das beinhaltete auch den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu Rehabilitation. Rehabilitation umfasste nicht nur medizinische Maßnahmen zur Beseitigung oder Verminderung einer Beeinträchtigung, sondern zielte zudem auf finanzielle Absicherung und soziale Eingliederung. Zuständig war das Ministerium für Gesundheitswesen, das eng mit Verantwortlichen im Bauwesen, im Sport, in der Kultur, Bildung und sogar der Kirche zusammenarbeitete. Die Integration behinderter Menschen ins sozialistische Kollektiv war nicht nur wegen des Arbeitskräftemangels in der DDR dringend nötig. Es sollte aus ihnen auch loyale Staatsbürgerinnen und Staatsbürger machen.
In der DDR lernten Kinder mit Behinderungen in der Regel in Sonderschulen. Das waren meist Internate, die sich nach der Art der Beeinträchtigung in Gehörlosen- und Schwerhörigenschulen, Blinden- und Sehschwachenschulen, Sprachheil- und Körperbehindertenschulen sowie Hilfsschulen für Kinder mit einer Lernbehinderung unterteilten. Dort sollten die Schülerinnen und Schüler gefördert und auf die Anforderungen des Berufslebens vorbereitet werden. Dabei ähnelten die vermittelten Inhalte und didaktischen Methoden durchaus der westdeutschen Sonderpädagogik. Ein großer Unterschied zur Bundesrepublik bestand aber seit den 1970er-Jahren im Recht auf Bildung. Dieses Recht galt in der DDR für behinderte Kinder nur eingeschränkt. Vor allem als „bildungsunfähig“ beurteilte Kinder mit (schweren) kognitiven Beeinträchtigungen waren spätestens seit 1969 vom Schulbesuch ausgeschlossen. Teilweise erhielten sie eine Betreuung in Tagesstätten und Fördereinrichtungen des Gesundheitswesens. War das nicht möglich, mussten sie im Elternhaus verbleiben oder wurden in einem Heim untergebracht.
Die Wege junger Menschen ins Berufsleben waren vielfältig und abhängig von der persönlichen Beeinträchtigung sowie dem damit verbundenen Bildungs- bzw. Förderweg. Gesellschaftliche Integration behinderter Erwachsener bedeutete in der DDR in erster Linie Teilhabe durch Arbeit. Ausgehend von politischen Vorgaben und wirtschaftlichen Erwägungen sollte Rehabilitation vor allem dazu dienen, die Arbeitsfähigkeit (wieder-)herzustellen und zu erhalten. In der DDR-Verfassung war das Recht auf Arbeit festgeschrieben. Daher verpflichtete der Staat seit den 1970er-Jahren etwa Betriebe, eine bestimmte Anzahl an Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Dies umfasste Einzelarbeitsplätze genauso wie ganze Abteilungen, auch Heimarbeit war möglich. Im Gegensatz zur Bundesrepublik unterlagen behinderte Beschäftigte in der DDR einem strikteren Kündigungsschutz und hatten zudem Anspruch auf eine Invalidenrente, zu der sie hinzuverdienen durften. Für diejenigen, die nicht arbeiten konnten, stand eine begrenzte Zahl an Betreuungsplätzen in Tagesstätten des Gesundheitswesens, der Betriebe oder von kirchlichen Trägern zur Verfügung.
Seit den 1970er-Jahren sollten Gesetze und Verordnungen in der DDR auch die Wohnverhältnisse für Menschen mit Behinderungen verbessern. So verfolgte die „Komplexrichtlinie für städtebauliche Planung und Gestaltung von Neubaugebieten“ aus dem Jahr 1976 unter anderem das Ziel, mehr behindertengerechten Wohnraum und eine barrierearme Umwelt zu schaffen. Doch standen bis zum Ende der DDR nicht genug geeignete Wohnungen für Menschen mit Behinderungen zur Verfügung. Besonders betroffen waren schwer körperlich und/oder kognitiv Beeinträchtigte, die im Alltag auf die Hilfe von Angehörigen oder Bekannten angewiesen waren. Hatten sie niemanden, der sie versorgte, so blieb oft nur der dauerhafte Aufenthalt in einem Heim oder einer Klinik. Viele dieser (meist staatlichen) Einrichtungen waren in einem schlechten Zustand, es mangelte an Privatsphäre, Zuwendung und geschultem Personal. Bewohnerinnen und Bewohner erlebten auch Gewalt durch Pflegekräfte. Die Situation in den Heimen war aber nicht überall schlecht und hing von der Reputation und Ausstattung der jeweiligen Einrichtung ab. Gerade kirchliche Träger, die eine wesentliche Rolle bei der Versorgung insbesondere schwerstbehinderter Menschen in der DDR spielten und dem Staat die Verantwortung für diese Personengruppe weitgehend abnahmen, verfügten durch die finanzielle Unterstützung aus Westdeutschland über mehr Ressourcen für Personal und Unterbringung.
Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am kulturellen Leben war in der DDR nicht zentral organisiert. Oft ging die Initiative von Einzelpersonen oder Angestellten in Fürsorgeeinrichtungen aus. Vor allem kirchliche Träger organisierten Freizeitaktivitäten für behinderte Menschen und ihre Angehörigen. Betroffene erhielten dadurch auch Gelegenheit, sich untereinander zu vernetzen und auszutauschen – was in Anbetracht fehlender Selbstorganisationen besonders wichtig war. In größeren Städten gründeten sich zudem Klubs von und für Menschen mit Behinderungen, deren Mitglieder gemeinsam die freie Zeit verbrachten. Während die Zahl an (privaten) Urlaubs- und Kurangeboten für Familien mit behinderten Angehörigen in der Bundesrepublik bereits seit den 1960er-Jahren anstieg, so vergaben staatliche Stellen in der DDR die begehrten Kur- und Ferienplätze lange Zeit vorrangig an nichtbehinderte Werktätige. Das änderte sich erst ab den 1970er-Jahren. Zugleich öffneten sich staatliche Ferienlager in begrenztem Umfang auch für behinderte Kinder. Allerdings blieben besonders betreuungsintensive Kinder davon weitgehend ausgeschlossen.
Bis zum Ende der DDR trat in vielen Bereichen eine Verbesserung der Bildungs-, Betreuungs-, Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen im Vergleich zur Situation der unmittelbaren Nachkriegszeit ein. Gesetze und Verordnungen stellten Weichen für eine umfassende soziale Eingliederung. Aufklärungs- und Jugendliteratur sowie Fernsehsendungen thematisierten Missstände im Umgang mit Behinderung und warben in der Gesellschaft für Empathie und Rücksichtnahme. Doch von wirklicher Teilhabe und Selbstbestimmung waren behinderte Menschen weit entfernt. Zum einen war die DDR eine Diktatur, in der die herrschende Partei SED die alleinige Macht für sich beanspruchte. Staatlich unabhängige Selbstvertretungsorganisationen, die Menschen mit Behinderungen eine Mitsprache an sie betreffenden Entscheidungen ermöglicht hätten, waren deshalb nicht zugelassen. Zwar existierten seit 1957 zwei Interessenverbände für gehörlose/schwerhörige und blinde/sehbehinderte Menschen. Diese Verbände agierten jedoch nicht unabhängig, sondern waren politisch angepasst.
Zum anderen scheiterte Teilhabe bereits an Barrieren im privaten wie im öffentlichen Raum, am Mangel an Fördermöglichkeiten, geschützten Arbeits- oder Betreuungsplätzen sowie behindertengerechtem Wohnraum, an nicht vorhandenen Ressourcen und Personal, an der unzureichenden Ausstattung mit Hilfsmitteln und Ersatzteilen sowie nicht zuletzt an Vorurteilen seitens der nichtbehinderten Mitbürgerinnen und Mitbürger. Während viele behinderte Menschen in Westdeutschland durch persönliche Assistenz seit den 1980er-Jahren weitgehend selbstständig leben konnten, waren Betroffene in der DDR von den Bedingungen in ihrem Wohnort und im sozialen Umfeld abhängig. Besonders benachteiligt waren Schwerstmehrfachbehinderte und Menschen mit Lernschwierigkeiten. Gerade ihnen wurde das sozialistische Gleichheitsversprechen nicht gerecht.
Aufgrund des allumfassenden Macht- und Fürsorgeanspruchs der SED sowie dem grundsätzlichen Misstrauen staatlicher Instanzen gegenüber jeglicher Eigeninitiative war ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen in der DDR nur innerhalb enger (politischer) Grenzen möglich. Ein oft genutztes Mittel, um – oft erfolgreich – Verbesserungen zu erreichen, waren beispielsweise Eingaben. Zudem tauschten sich die Betroffenen in informellen Gruppen, teils unter dem Dach der Kirche, über Selbsthilfe und Missstände aus und setzten sich vor Ort für den Abbau von Barrieren ein. Diese Gruppen wurden vom Staat weitgehend geduldet (wenngleich beobachtet), da sie ein Stück weit dem alltäglichen Ärger und Frust über mangelnde Versorgung und Teilhabe ein Ventil boten und sich nicht grundsätzlich gegen das SED-Regime positionierten. Selbst die sogenannte „Landkommune“ im thüringischen Hartroda, in den 1980er-Jahren eine alternative Wohngemeinschaft unangepasster Menschen mit und ohne Behinderungen, blieb – trotz Bespitzelung durch die Stasi – bis zum Ende der DDR bestehen.
Mit der Einheit Deutschlands im Jahr 1990 übernahmen die ostdeutschen Bundesländer weitgehend die Gesetze und Strukturen aus der alten Bundesrepublik. Für viele Menschen mit Behinderungen aus der früheren DDR war das ein Einschnitt. Denn es bedeutete nicht nur Umstellungen und Verbesserungen in der medizinischen Versorgung, sondern führte auch zu – teils dramatischen – Veränderungen im Bereich der sozialen Teilhabe. Negativ war, vor allem für behinderte Frauen, das Ende der geschützten Arbeit. Denn viele ehemalige DDR-Betriebe mussten nun privatwirtschaftlich agieren oder die Produktion komplett einstellen, was zu einer hohen Arbeitslosigkeit innerhalb der ostdeutschen Gesellschaft und besonders von Menschen mit Behinderungen führte. Mit dem Verlust der Erwerbsarbeit stiegen die Risiken für soziale Isolation und Armut der Betroffenen. Positiv wirkten dagegen zum Beispiel der Ausbau von Integrationsangeboten im (Vor-)Schulbereich, der Neubau und die Modernisierung von Wohn- und Werkstätten sowie die zahlreichen Neugründungen von Interessenvertretungen und Selbstorganisationen, die sich bis heute durch basisdemokratisches Engagement für die Rechte behinderter Menschen und eine inklusive Gesellschaft einsetzen.