Ungefähr 140.000 Kinder und Jugendliche mit Behinderungen lebten zwischen 1945 und 1990 in der DDR in Wochentagesstätten, Heimen, Krankenhäusern, psychiatrischen Kliniken und Fördereinrichtungen. Oft waren sie dort dauerhaft stationär untergebracht, weil keine anderen Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung standen und beide Eltern einer Erwerbsarbeit nachgingen.
Die Versorgung von schwerbehinderten Kindern war generell nicht ausreichend und die proklamierten sozialistischen Grundsätze von Gleichberechtigung mehr Schein als Sein. Gerade diejenigen, die den versprochenen Schutz und die angekündigte Unterstützung der Gesellschaft gebraucht hätten, bekamen hiervon oft nur wenig zu spüren. Gründe dafür waren gesellschaftliche Vorbehalte sowie mangelndes politisches und öffentliches Interesse gegenüber Menschen mit Behinderungen, aber auch fehlende Ressourcen.
Dies führte zu einer generellen Isolation und zu gesellschaftlicher Ausgrenzung behinderter Kinder und deren Familien, denn auch an Unterstützung für die Angehörigen mangelte es. So hatten Kinder mit Behinderungen und deren Eltern nur wenig Möglichkeiten, auf sich und ihre Situation aufmerksam zu machen. Es gab keine unabhängigen Interessenverbände und Betroffene hatten fast nie Mitspracherecht an Entscheidungen, die sie selbst betrafen. Es waren medizinische, pädagogische und politische Entscheidungsträger, die über die Lebenswege und -gestaltung behinderter Kinder entschieden.
Noch vor der Gründung der DDR beschloss die Zentralverwaltung für Volksbildung für das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone das Recht auf Bildung für alle Kinder. Doch weil das nötige pädagogische Wissen fehlte und die Schulen oft nicht barrierefrei erreichbar oder schlecht ausgestattet waren, blieben gerade Kinder mit schweren oder schwersten körperlichen und intellektuellen Beeinträchtigungen meist von einem Schulbesuch ausgeschlossen.
Ab den 1960er-Jahren wurden behinderte Kinder in der DDR flächendeckend erfasst. Medizinische Untersuchungen stuften die Kinder anhand ihrer intellektuellen Fähigkeiten als „bildungsfähig“ oder „bildungsunfähig“ ein. Im Vordergrund stand, ganz im Sinne des sozialistischen Leistungsgedankens, die spätere Teilhabe an der Arbeitswelt. Entsprechend spielten ökonomische Interessen und prognostizierte Chancen auf eine erfolgreiche Eingliederung in die Arbeitswelt eine große Rolle bei der Entscheidung über Bildungs- und Förderfähigkeit – und den damit verbundenen Lebenswegen – von Kindern mit Behinderungen.
Galt ein Kind als „bildungsfähig“, so konnte es Sonderschule besuchen. Wurde es als „nicht schulbildungs-, jedoch lebenspraktisch förderungsfähig“ eingestuft, war ihm nur der Besuch einer Tagesstätte oder Fördereinrichtung möglich (sofern es genug Betreuungsplätze gab). So genannte „nicht förderungsfähige“ Kinder wiederum hatten kein Recht auf einen Platz in einer Fördereinrichtung. Sie wurden dann zuhause von den Eltern betreut, oder, wenn dies nicht möglich war, in einem Heim untergebracht.
Die Schulen für behinderte Kinder unterschieden sich je nach Art der Beeinträchtigung. Es gab Sprachheilschulen, Hilfsschulen für lernbehinderte Kinder, Sonderschulen für sehschwache, blinde, gehörlose, körperbehinderte, chronisch kranke und verhaltensauffällige Kinder. Häufig waren diese Einrichtungen Internate, deren Schüler aus allen Teilen der DDR kamen. Eine wohnortnahe Versorgung mit solchen Sonderschulen gab es nicht, daher sahen viele Kinder aufgrund des weiten Schulwegs ihre Eltern nur am Wochenende.
Die in den Sonderschulen vermittelten Kenntnisse entsprachen oft dem, was in den Regelschulen gelehrt wurde. So hatten behinderte Kinder, die als „bildungsfähig“ galten, in der Theorie auch die Möglichkeit, ihr Abitur abzulegen und später zu studieren. Oder die Jugendlichen erhielten Unterstützung bei der Wahl eines Berufs, den sie in einem Betrieb oder in einem Rehabilitationszentrum für Berufsbildung erlernen konnten.
Kinder und Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen waren davon allerdings weitgehend ausgeschlossen. Sie erhielten in den Hilfsschulen und Fördereinrichtungen lediglich ein verringertes Set an Wissen, im Vordergrund stand das Erlernen von lebenspraktischen Fähigkeiten. Erst ab 1973 wurden pädagogische Richtlinien zur Arbeit mit geistig schwer behinderten Kindern und Jugendlichen, die als „förderfähig“ galten, verabschiedet.
Generell kann gesagt werden, dass seit den 1970er-Jahren eine spürbare Verbesserung in der Betreuung behinderter Kinder in der DDR eintrat. So gab es zum Beispiel ein wachsendes Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und Fortschritte in therapeutischen Ansätzen. Allerdings mangelte es an Plätzen in den Fördereinrichtungen, an Personal und an finanziellen Mitteln. Die Bildungswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen mit Einschränkungen in der DDR muss also unter Berücksichtigung der Diskrepanz zwischen ideologischem Anspruch und tatsächlichen Ressourcen betrachtet werden.
Freizeitangebote, Erholungsmöglichkeiten oder Kuren für Familien behinderter Kinder gab es sowohl in der DDR als auch in Westdeutschland bis Ende der 1960er-Jahre kaum. Zunächst entstanden in der Bundesrepublik Angebote (meist privater Anbieter) für Mütter mit behinderten Kindern. Dies ist auf die Gründung von Betroffenenverbänden zurückzuführen. In der DDR waren Kuren durch den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) staatlich organisiert und dienten vorrangig der Regeneration Werktätiger. Für Kinder, die als förderungsunfähig eingestuft wurden, und deren Angehörige gab es kaum Angebote. Erst ab Mitte der 1970er-Jahre öffneten sich auch Ferienlager für Kinder mit Behinderungen. Diese boten neben speziellen Therapien (u.a. Reittherapie) und sportlichen Aktivitäten auch Ausflüge in die nahe Umgebung an.
Alternativ zu staatlichen Ferienplätzen gab es kirchliche Angebote zur Freizeitgestaltung und Individualförderung etwa von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen oder Mehrfachbehinderung. Diese Angebote waren unter anderem beeinflusst durch wissenschaftliche Forschungen und pädagogische Konzepte aus dem Westen. Weil staatlich unabhängige Interessenverbände fehlten, waren gerade die seitens der Kirche organisierten Freizeiten für Betroffene und ihre Angehörigen ein wichtiger Begegnungsort: Sie schufen einen in der DDR sonst nicht vorhandenen Kommunikationsraum und ermöglichten Austausch und Vernetzung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Leben behinderter Kinder und Jugendlicher in der DDR sehr von individuellen Bedingungen abhängig war. Entscheidend waren Art und Grad der Behinderung, das Engagement von Ärzten, Pflegekräften, Eltern und engagierten Mitarbeitern von Kirchen sowie die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Entsprechend gab es große Unterschiede zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Obwohl es Regelungen für Tagesstätten und Sonderschulen gab, fehlte ein flächendeckendes Betreuungsangebot für schwerbehinderte Kinder und Jugendliche bis zum Ende der DDR.
Wichtig ist allerdings auch, die Thematik in einem zeithistorischen Kontext zu betrachten. So verfügte die DDR, neben der Bundesrepublik und den Niederlanden, über das am stärksten ausdifferenzierte Sonderschulwesen in Europa. Ein großes Augenmerk wurde auf die Früherfassung aller behinderten Kinder gelegt. Dies ermöglichte eine frühzeitige und systematische sonderpädagogische Förderung von behinderten Kindern in Sonderkrippen, Spezialkindergärten und Vorschuleinrichtungen der Hilfsschulen – theoretisch.
Besonders Schwerstbehinderte waren in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Für sie fehlte es an Bildungseinrichtungen, geeignetem Wohnraum und unabhängigen Interessenverbänden. Trotz Bemühungen war keine ausreichende Förderung aller betroffenen Kinder und Jugendlichen möglich. Es waren vor allem die Kirchen, die sich um die Betreuung von schwerstbehinderten Menschen gekümmert haben.