Fünf Fragen an ... Rainer Karlsch | Verstaatlichung in der DDR

Am 8. Februar 1972 beschließt das SED-Politbüro die Verstaatlichung aller in der DDR noch existierenden Privatunternehmen. In den kommenden Monaten werden rund 11.000 Industrie- und Baubetriebe liquidiert. Die Zwangsmaßnahmen bilden die letzte Welle von Verstaatlichungen in der DDR mit dem Ziel einer umfassenden sozialistischen Planwirtschaft. Bereits in den 1940er-Jahren hat die sowjetische Militäradministration die Banken und Sparkassen sowie Großgrundbesitz und Betriebe der Großindustrie beschlagnahmt. In den 1950er Jahren folgen nun durch die SED-Regierung Enteignungen in der bäuerlichen Landwirtschaft, im Gewerbe, aber auch bei Dienstleistungsunternehmen, Gaststättenbetrieben und von Wohneigentum.

Die Verstaatlichung 1972 steht in direktem Zusammenhang mit einem Macht- und Richtungswechsel in der DDR. Walter Ulbricht hat den in den 1960er Jahren noch existierenden Privatunternehmen mit seinem Reformexperiment des „Neuen Ökonomischen Systems“ noch gewisse Freiräume gelassen. Ulbrichts Sturz durch Honecker am 3. Mai 1971 wird im inneren Machtzirkel des Politbüros mit dessen wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen begründet. Honecker ging es fortan um einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel und die Rückkehr zur Planwirtschaft der 1950er-Jahre.