Wir möchten ganz besonders auf die von der Bundesstiftung Aufarbeitung geförderte Neuerscheinung „In der Wahrheit leben. Texte von und über Ludwig Mehlhorn“ hinweisen. Das Buch fasst auf bisher einzigartige Weise das Lebenswerk Ludwig Mehlhorns zusammen, dem die Stiftung über viele Jahre und auf vielfache Weise sehr verbunden gewesen ist.

Als Gastbeitrag veröffentlichen wir an dieser Stelle eine Zusammenfassung des Herausgebers Stephan Bickhardt:

Ludwig Mehlhorn starb im Alter von 61 Jahren am 3. Mai 2011. Der Bürgerrechtler und Studienleiter hinterließ zahlreiche systemkritische Texte, die ein moralisches Werturteil gegen die Unmöglichkeit eines freien Lebens im DDR-Sozialismus geben. Und genau hierin liegt auch bleibendes: Mehlhorn verbindet die Alltagserfahrung der Abschottung durch die Berliner Mauer und der Reisebehinderungen nach Polen mit dem konsequenten zivilgesellschaftlichen Ansatz der Selbstorganisation von Freiheit suchenden Menschen.

Ein Schlüsselerlebnis war in dieser Hinsicht die Lektüre einer Schrift von Jacek Kuron. Mehlhorn schreibt im Aufsatz „Meine Begegnung mit Polen“ dazu: „Es fiel mir ‚wie Schuppen von den Augen’. Irgendwann im Sommer 1977 entzifferten wir in Krakau Jack Kurons ‚Ideen für ein Aktionsprogramm’ (Mysli o programie dzialania) – eine schwer lesbare hektographierte Untergrund-Ausgabe.“ Die Idee der parallelen Gesellschaft, die Selbstorganisation des kulturellen und sozialen Lebens war geboren.

Ludwig Mehlhorn, so wird in seinen Texten deutlich, gehörte zu jenen Oppositionellen, die in den Jahren 1976-1978 daran mitgewirkt haben, dass Schluss ist mit dem Versuch sich einem vergeblichen Systemumbau hinzugeben. Das Gründungsdokument der Charta 77, das er gleichfalls in Ostdeutschland in Umlauf brachte, formuliert in dieselbe Richtung: es geht um die Rechte der Menschen und zunächst nicht um die Gründung einer Oppositionspartei.

Das Buch zeichnet die Lebensstationen Mehlhorns nach, dokumentiert Schlüsseltexte aus seiner Feder, die in der Samisdatreihe der radix-blätter zwischen 1986 und 1989 erschienen sind und legt erstmals öffentlich seine ausführliche Entgegnung an die Berliner Bischöfe und deren Stellungnahme zum 25. Jahrestages des Mauerbaus vor. Darin begründet er die spätere Initiative zur „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“, die Vorläufergruppe der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ des Jahres 1989/90.

Seine Texte zu Polen, einschließlich literarischer Übersetzungen sind von bleibender Bedeutung. Der Beitrag von Ilko-Sascha Kowalczuk zur perfiden Stasiverfolgung Mehlhorns ist bedrückend zu lesen. Die Aufsätze von Annemarie Franke, Annemarie Cordes und Katarzyna Madon-Mitzner über sein zwei Jahrzehnte währendes Engagement für die Stiftung Kreisau für europäische Verständigung zeigen seine weiter wirksamen und aktuellen Ideen auf.

Ein Gegenwartsbuch ist vorgelegt, welches im Gedächtnis an einen Menschen zusammengestellt wurde, der nach den Quellen und der Kraft für ein menschenwürdiges Leben fragt, ein Leben, das es mit Haltung zu verteidigen gilt.

Stephan Bickhardt (Hrsg.), In der Wahrheit leben. Texte von und über Ludwig Mehlhorn, Leipzig 2012, 304 Seiten, 13,80 Euro.