Achtzig Jahre nach dem 8. Mai 1945 ist das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa Gegenstand einer neuen Auseinandersetzung – nicht nur als Wendepunkt der Gewaltgeschichte, sondern als Beginn eines langen Nachkriegs, dessen politische Spätfolgen bis in die Gegenwart reichen. Die internationale Konferenz „Erfahrung, Erinnerung und Instrumentalisierung: Das lange Kriegsende in Europa“, die vom 8. bis 10. April 2025 in Berlin stattfindet, widmet sich den vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Nachwirkungen des Kriegsendes. Sie beleuchtet, wie sich Befreiung und Unfreiheit in Europa ab 1945 überlagerten – und wie diese Erfahrung in den kollektiven Gedächtnissen weiterwirkt.
Die Tagung kann im Livestream auf Deutsch und Englisch verfolgt werden.
Für Westeuropa war der 8. Mai das Signal zum politischen Neubeginn. In Ostmittel- und Osteuropa hingegen folgte auf die Befreiung von der deutschen Gewaltherrschaft bald die Etablierung eines neuen, autoritären Herrschaftssystems. Unter Stalins Kontrolle etablierte die Sowjetunion neue diktatorische Regime.
„Der 8. Mai 1945 markierte das Ende der NS-Gewaltherrschaft – aber nicht für ganz Europa den Beginn von Freiheit“, sagt Dr. Anna Kaminsky, Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. „In den Ländern Ostmitteleuropas folgte auf die Befreiung durch die Rote Armee ein neues System der Unfreiheit. Die Sowjetunion beanspruchte die Deutungsmacht über das Kriegsende und ließ keine abweichenden Erinnerungen zu. Der heutige Blick zurück zeigt: Erinnerung braucht Aufarbeitung, Differenzierung und Auseinandersetzung statt erzwungenem Konsens.“
Ausgerichtet wird die Konferenz von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Kooperation mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, dem Museum Berlin-Karlshorst, der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und dem Deutsch-Polnischen Haus. Erwartet werden über 30 Historikerinnen und Historiker sowie Expertinnen und Experten aus mehr als 15 Ländern, darunter Polen, Estland, Lettland, Litauen, Belarus, Moldau, Israel, Tschechien, Frankreich, Finnland und Deutschland.
Den Auftakt der Konferenz bildet ein Abendvortrag von Dan Diner (Jerusalem), der sich in seinem Werk seit Jahrzehnten mit den Brüchen europäischer Erinnerungskulturen befasst. In sechs thematischen Panels geht es unter anderem um historische Einschnitte wie den Hitler-Stalin-Pakt, Nachkriegslager, Schauprozesse, die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen und die Instrumentalisierung des Kriegsendes im Kalten Krieg. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie kollektive Narrative entstanden sind, warum sie bis heute Bestand haben – und wie sie sich im Licht aktueller Entwicklungen verschieben.
Die russische Invasion der Ukraine seit 2022 hat bewirkt, dass lange stabil geglaubte erinnerungspolitische Gewissheiten ins Wanken geraten. Sie zwingt dazu, historische Bezugsrahmen neu zu justieren – nicht zuletzt gegenüber einer Geschichtspolitik, die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs instrumentalisiert und als Legitimation für imperiale Ansprüche missbraucht. Die Konferenz stellt sich damit auch einer Gegenwart, in der das Erinnern selbst politisch unter Druck gerät.
Weitere Informationen sowie das Konferenzprogramm finden Sie hier https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/veranstaltungen/erfahrung-erinnerung-und-instrumentalisierung-das-lange-kriegsende-europa