Am 13. Juni fand die Verleihung des Karl-Wilhelm-Fricke-Preises 2024 statt. Der Hauptpreis ging in diesem Jahr an den Lern- und Gedenkort Kaßberg, den Sonderpreis erhielt der Journalist Peter Wensierski. Der Nachwuchspreis 2024 ging an Leonie Schöler für ihren TikTok-Kanal @heeyleonie. Die Veranstaltung steht als Mitschnitt in unserer Mediathek zur Verfügung.
Das Kaßberg-Gefängnis ist ein Ort, in den sich mehrere Zeitschichten eingeschrieben haben: Im Kaiserreich 1876/77 erbaut, wurde das Areal im Nationalsozialismus ausgebaut. Von 1933 bis 1945 befanden sich dort vor allem politische Häftlinge der Justiz und Gefangene der Gestapo, insbesondere Chemnitzer Juden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Einrichtung zunächst vom sowjetischen Geheimdienst NKWD genutzt; in der DDR befand sich dort die größte Untersuchungshaftanstalt des Landes. Seit Mitte der 1960er Jahre hatte das Gefängnis eine besondere Funktion: nahezu 90 Prozent der für den Freikauf durch und in die Bundesrepublik vorgesehenen Gefangenen verlegte das Ministerium für Staatssicherheit auf den Kaßberg; von dort wurden sie mit Bussen in die Bundesrepublik gebracht.
Seit 2011 engagiert sich ein ehrenamtlich tätiger Verein dafür, das Gelände zu erhalten und einen Gedenk- und Lernort aufzubauen. Im Oktober 2023 konnte im ehemaligen Zellentrakt B eine umfangreiche Dauerausstellung eröffnet werden, die über die Nutzungsgeschichte informiert. Im Zentrum stehen dabei die Lebenserinnerungen früherer politischer Gefangener. Mit einem vielfältigen Vermittlungsprogramm nimmt der Gedenk- und Lernort eine essenzielle Stellung innerhalb der Stadt Chemnitz ein.
Mit der Verleihung des Hauptpreises an den Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis möchte die Jury diese langjährige, außergewöhnliche Arbeit und das ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder sowie des 2019 verstorbenen Vorstandsmitglieds Volker Bausch ehren.
Der Journalist, Dokumentarfilmer und Autor Peter Wensierski ist bekannt für seine investigativen Recherchen und Reportagen. Bereits seit 1978, in einem Alter von nur 24 Jahren, berichtet er als Westjournalist für verschiedene Medien aus der DDR und macht so Themen und Oppositionelle sichtbar – nicht nur in der Bundesrepublik, sondern via Westfernsehen und Westradio auch in der DDR. Seine Beiträge zeichnen – oft im engen Zusammenspiel mit DDR-Bürgerrechtlern - ein vielschichtiges Bild des maroden Staates, der verheerenden Umweltprobleme und der Menschen, die in diesem System lebten und dagegen aufbegehren.
Neben vielen anderen gesellschaftlich relevanten Themen engagiert sich Peter Wensierski seit Jahrzehnten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. In seinen zahlreichen Artikeln, Büchern und Filmbeiträgen für das Politmagazin „Kontraste“ oder auch später für den SPIEGEL widmet er sich insbesondere den Themen Widerstand und Opposition in der DDR, aber auch der gesellschaftlichen Realität in der Diktatur – zuletzt in seiner 2023 erschienen sehr erfolgreichen Publikation „Jena-Paradies. Die letzte Reise des Matthias Domaschk“.
Wensierskis Arbeitsweise zeichnet sich durch akribische Recherche und eine kritische Haltung aus. Er deckt Missstände auf, die oft von der Öffentlichkeit unbemerkt bleiben, und bringt sie in seinen Artikeln und Büchern ans Licht. Sein investigativer Zugang und sein Streben nach der Wahrheit machen ihn zu einem wichtigen Akteur im deutschen Journalismus und zu einem Vorbild für junge Journalistinnen und Journalisten.
Die Jury möchte mit der Verleihung des Sonderpreises des Karl-Wilhelm-Fricke-Preises 2024 diese herausragende Arbeit von Peter Wensierski würdigen.
Datenschutzbedenken, Zensurvorwürfe und große Desinformationskampagnen – TikTok ist ein umstrittenes soziales Netzwerk. Manche Stimmen sprechen gar von einer Gefahr für unsere Demokratie. Gleichzeit erfreut sich TikTok unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen größter Beliebtheit – über die Hälfte der im Jahr 2022 in Deutschland befragten 14- bis 19-Jährigen gibt an, Inhalte des Netzwerkes zu konsumieren.
Bisher gibt es nur wenige Angebote der historisch-politischen Bildung, die der Dominanz demokratiefeindlicher Inhalte auf TikTok und den Falschinformationen etwas entgegensetzen. Eine Vorreiterin ist hier Leonie Schöler, die einen mit über 170.000 Followern sehr erfolgreichen TikTok-Kanal betreibt. Die Journalistin, Historikern und Moderatorin informiert auf dem Kanal über historische und politische Themen, u.a. über die DDR-Geschichte, die Geschichte des Nationalsozialismus, Geschlechtergeschichte, Rassismus und Antisemitismus. Leonie Schöler vermag es, die komplexen Sachverhalte in eine einfach verständliche Sprache zu bringen sowie fundiert und unterhaltsam für kurze Videos aufzubereiten. Dabei steht häufig die Frage im Mittelpunkt, was Geschichte für uns heute noch bedeutet, eine Perspektive, die von einer jungen Zielgruppe interessiert aufgenommen wird.
Die Jury möchte durch die Verleihung des Nachwuchspreises des Karl-Wilhelm-Fricke-Preises 2024 an Leonie Schöler diese Arbeit auszeichnen und dazu anregen, Formate zu entwickeln, die eine Auseinandersetzung mit historischen Themen für junge Menschen attraktiv werden lassen.