Am 30. Juli 1937 trat die Terrorherrschaft Josef Stalins in ihre schrecklichste Phase. Auf Grundlage des Beschlusses des Politbüros des ZK der UdSSR „Über die antisowjetischen Elemente“ vom 2. Juli 1937 erließ der Volkskommissar für Inneres der UdSSR Nikolai Iwanowitsch Jeschow den Operativen Befehl Nr. 00447. Das Schriftstück „Über die Operation zur Repression ehemaliger Kulaken, Krimineller und anderer antisowjetischer Elemente“ enthielt die Anleitung zur größten Massenoperation des „Großen Terrors“. Der Befehl legte Quoten fest, nach denen in der gesamten Sowjetunion rund 240.000 Menschen auf bloßen Verdacht hin verhaftet werden sollten, von denen wiederum fast 60.000 zu exekutieren seien.

Die folgenden Terrormaßnahmen betrafen Bauern mit Landbesitz, die als „Kulaken“ diffamiert wurden, ebenso wie Angehörige der Kirche, als kriminell oder asozial eingestufte Personen und Mitglieder früherer Oppositionsparteien. Jeder Sowjetbürger konnte nun zum „Volksfeind“ erklärt, verhaftet und ermordet werden. Über das Schicksal der Betroffenen entschieden sogenannte „Troikas“ in Schnellverfahren, die oft Hunderte Urteile pro Tag fällten.

In allen Regionen der UdSSR begann eine bis dahin unvorstellbare Welle des offenen Terrors. Niemand war mehr sicher, die Bevölkerung zu Denunziationen „verdächtiger Elemente“ aufgerufen. Örtliche kommunistische Funktionäre erhöhten selbständig die ursprünglichen Quoten an Verhaftungen und Exekutionen, um sich als besonders regimetreu hervorzutun. Zwischen August 1937 und November 1938 wurden etwa 1,5 Millionen Menschen verhaftet und die Hälfte von ihnen ermordet. Wer nicht erschossen wurde, kam für lange Jahre in die Straf- und Arbeitslager des GULag, wo Zigtausende die unmenschlichen Haftbedingungen nicht überlebten.

Die Menschenrechtsorganisation MEMORIAL International begann Mitte der 1980er Jahre mit der Aufarbeitung des Terrors in der Sowjetunion. Die Mitarbeiter sammelten Hinweise auf die Schicksale der Opfer politischer Verfolgung, dokumentierten die Morde und lokalisierten Massengräber und Erschießungsplätze im ganzen Land. In der Datenbank über die „Opfer des politischen Terrors in der UdSSR“ erfasste MEMORIAL bislang die Namen von etwa drei Millionen Betroffenen. Insgesamt gehen Schätzungen von bis zu 20 Millionen Opfern politischer Repression in der Stalinzeit aus. In Gedenkveranstaltungen wurde an den Orten der Verbrechen an die Opfer erinnert. Seit Jahren wurde diese wichtige Erinnerungsarbeit von MEMORIAL durch die Putin-Administration und die „Gesetze gegen ausländische Agenten“ behindert. Mit dem Verbot der Menschenrechtsorganisation sowie Memorial International vom Dezember 2021 wird nun der Versuch unternommen, die Aufklärung der Verbrechen der Vergangenheit zu kriminalisieren und endgültig zu beenden.

Bereits 2008 veröffentlichte MEMORIAL im Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung Thesen zur Bedeutung des Jahres 1937 für die Gegenwart in Russland. Der Beitrag steht auf dem Portal Kommunismusgeschichte.de der Bundesstiftung zur Aufarbeitung zur Verfügung: https://www.kommunismusgeschichte.de/article/detail/das-jahr-1937-und-die-gegenwart-thesen-von-memorial?type=

In dem 2007 erschienenen Band „Erinnerungsorte an den Massenterror 1937/38“ stellen wir 265 Orte in der Russischen Föderation vor, die an das Leid und die Verfolgung dieser Jahre erinnern. Das Buch steht kostenlos zum Download für Sie zur Verfügung:
https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/publikationen/erinnerungsorte-den-massenterror-193738-der-russischen-foerderation

Zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in der Sowjetunion empfehlen wir darüber hinaus das von uns geförderte Online-Dossier „Stalin: Zwischen Kult und Aufarbeitung“ der Informationsplattform dekoder.org:
https://www.dekoder.org/de/dossier/stalinkult-entstalinisierung-aufarbeitung-erinnerungskultur