Das Lager als Instrument der Disziplinierung, sozialen Exklusion und Repression ist einer der wichtigsten Orte kollektiver Gewalt und totalitärer Herrschaft. Millionen Menschen mussten jahrelang in Lagern leben, Millionen wurden dort umgebracht. Überlebende haben mit der erklärten Absicht geschrieben, über Leben und Sterben im Lager Zeugnis abzulegen. Eine der bedeutendsten und eindringlichsten Stimmen ist die von Varlam Šalamov, der fast 20 Jahre in sowjetischen Zwangsarbeitslagern zubrachte. Zeitlebens stand Šalamov im Schatten von Aleksandr Solženicyn. Dabei haben insbesondere seine Erzählungen aus Kolyma eine Poetik äußerster Dichte, die der von Primo Levi, Jorge Semprun und Imre Kertész in nichts nachsteht. Bis heute sind Šalamov und sein Werk in Deutschland kaum bekannt, da nur wenige seiner Erzählungen ins Deutsche übersetzt wurden. Am 1. Juli 2007 jährt sich Varlam Šalamovs Geburtstag zum 100. Mal. Aus diesem Anlass laden die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin und die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vom 3. bis zum 5. Juli 2007 zu einer Veranstaltungsreihe ein, um eine breitere Öffentlichkeit in Deutschland mit Šalamovs Leben und Werk bekannt zu machen.

Am 3. Juli, 20.00 Uhr eröffnet Prof. Dr. Rita Süssmuth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, zusammen mit Doris Liebermann, Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, und Prof. Dr. Sigrid Weigel, Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung, die Veranstaltungsreihe in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Jägerstr. 22/23 (am Gendarmenmarkt), 10117 Berlin.
Um 20.30 Uhr liest Andreas Schmidt-Schaller aus dem ersten Band der neuen deutschen Šalamov-Werkausgabe „Durch den Schnee. Erzählungen aus Kolyma, 1“, die vom Verlag Matthes & Seitz Berlin herausgegeben wird. Musikalisch wird die Lesung begleitet vom Pianisten Jascha Nemtsov mit Kompositionen von Mieczysław Weinberg.

Am 4. Juli findet von 09.00 bis 13.00 Uhr eine Tagung zu den historischen „Gründen und Abgründen des Lagers“ statt. Es referieren und diskutieren u.a. Irina Ščerbakova, Memorial, Moskau, der Historiker Prof. Dr. Nicolas Werth, Centre National de la Recherche Scientifique, Paris, und der chinesische Menschenrechtler Harry Wu, Laogai Research Foundation, Washington D.C.
Von 14.00 bis 18.00 Uhr diskutieren zwei literaturwissenschaftliche Expertenrunden über den literarischen Stellenwert von Šalamovs Werk sowie über die Problematik, Lagerliteratur zu übersetzen. Um 18.00 Uhr folgt ein Film über das Leben von Varlam Šalamov: „Neskol’ko moich žiznej“ (SU 1990, 50 min.) in russischer Sprache mit simultaner Übersetzung.

Zum Abschluss der Šalamov-Veranstaltungsreihe spielt Jascha Nemtsov am 5. Juli um 19.30 Uhr im "exploratorium berlin" in den Sarottihöfen (Mehringdamm 55, 1. Hof, 3. OG, 10961 Berlin) Klaviermusik aus Gulag und KZ. Erklingen werden Werke der jüdischen Komponisten Viktor Ullmann und Gideon Klein, die diese im KZ Theresienstadt verfassten, sowie von Alexander Veprik und dem im Westen noch unentdeckten Vsevolod Zaderackij, die beide im Gulag komponierten. Die „24 Präludien und Fugen", die Zaderackij im Lager an der Kolyma auf Telegraphenpapier notierte, sind nach Aussage von Musikwissenschaftlern ein bedeutender Beitrag zur russischen Moderne. Bei der Erstaufführung einiger dieser Präludien und Fugen in Deutschland wird der Sohn Vsevolod Zaderackij jr. anwesend sein. Begleitend zur Veranstaltungsreihe erscheint ein Themenheft der Zeitschrift OSTEUROPA: „Das Lager schreiben. Varlam Šalamov und die Aufarbeitung des Gulag“.

Kontakt: Dr. Heike Dörrenbächer, Geschäftsführerin, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Schaperstr. 30, 10719 Berlin, Tel.: 21 47 84 12, Fax: 21 47 84 14, Email: info@dgo-online.org

Berlin, 29. Juni 2007