Der mit 20.000 Euro dotierte Hauptpreis des Karl-Wilhelm-Fricke-Preises 2022 ist an die Aufarbeitungs- und Menschenrechtsorganisation MEMORIAL INTERNATIONAL verliehen worden, die Ende 2021 in Russland verboten worden ist.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagte zur Preisvergabe: „Seit mehr als 30 Jahren arbeitet MEMORIAL die Folgen des Stalinismus und die Verheerungen der kommunistischen Gewaltherrschaft im ehemaligen sowjetischen Machtbereich auf. Daraus ist eine Bürgerrechtsbewegung für das Recht eines ehemaligen Imperiums und der aus ihm hervorgegangenen Länder auf ihre Geschichte geworden. Wo dieses Recht verwehrt wird, entsteht keine Demokratie, gibt es keine Bürgerinnen und Bürger. MEMORIAL hat in Russland beharrlich für dieses Recht und gegen seine kontinuierliche Einengung gearbeitet, durch historisch-aufklärerische Arbeit, Menschenrechtspolitik und Unterstützung für überlebende Opfer des Stalinismus. MEMORIAL kann und wird sich nicht fügen. Diese Bewegung ist längst selbst ein nicht zu leugnender, nicht zu liquidierender Teil der Geschichte Russlands geworden.“

Die Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Anna Kaminsky, die zugleich Mitglied der Jury ist, erklärte: „MEMORIAL engagiert sich seit vielen Jahren unter schwierigsten Bedingungen für die Aufklärung der stalinistischen Verbrechen in der Sowjetunion. Ihr Engagement ist nicht auf die Vergangenheit beschränkt: Ihr Eintreten für Menschenrechte heute wird von den Machthabern im Kreml ebenso bekämpft. Mit der Verleihung des Karl-Wilhelm-Fricke-Preises an MEMORIAL INTERNATIONAL wollen wir die bei MEMORIAL Engagierten stellvertretend für die Zivilgesellschaft in Russland würdigen. Wir hoffen, dass die mutigen und engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von MEMORIAL weiter für diese Ziele arbeiten können, wo immer es ihnen möglich ist.“

Seit 1988 setzt sich MEMORIAL für die Aufarbeitung der Verbrechen unter Stalin und der gesamten Sowjetzeit ein. Die Organisation engagiert sich zugleich für die Belange der Opfer der kommunistischen Diktatur und macht sich für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Russland stark. Die Mitbegründerin von MEMORIAL Irina Scherbakowa sagte dazu: „Für MEMORIAL ist die Verleihung des Karl-Wilhelm-Fricke-Preises eine große Ehre und eine sehr wichtige Anerkennung unserer dreißigjährigen Arbeit. Für uns ist es sehr bedeutend, dass dieser Preis von denjenigen vergeben wird, die genauso wie wir verstehen, wie wichtig es ist, die Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktatur zu bewahren, wie notwendig es ist, dass die Gerechtigkeit wiederhergestellt wird. MEMORIAL wurde geschaffen, um den Opfern ihre Namen und ihren Platz in der Geschichte zurückzugeben. Die Erinnerung an den Massenterror hat keine Grenzen, von ihm waren alle Völker der ehemaligen UdSSR und auch die Völker Europas, in denen die kommunistische Diktatur herrschte, betroffen. Es ist unsere gemeinsame Vergangenheit, und wir müssen gemeinsam um die Erinnerung an sie kämpfen. Heute sind diese Aufgaben nicht nur aktuell, sondern noch dringender geworden, weil wir erleben müssen, wie Aggression, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in unser Leben zurückkehren.“

Der mit 5.000 Euro dotierte Sonderpreis 2022 ging an die Zeitschrift OSTEUROPA. Die Redaktion und ihre Autorinnen und Autoren bieten seit vielen Jahren Analysen und Hintergrundinformationen zur Gegenwart und Geschichte des östlichen Europas wie keine zweite Publikation in Deutschland. Neben der kritischen Reflexion und Vertiefung relevanter tagespolitischer Ereignisse dokumentiert die Zeitschrift Geschichtsdebatten und erinnerungspolitische Auseinandersetzungen. Viele dieser Beiträge wirken nicht zuletzt über den deutschsprachigen Raum hinaus und unterstützen die Diskurse in den Ländern Osteuropas.

Den mit 3.000 Euro dotierten Nachwuchspreis erhielten die beiden Macher des Podcasts „Horchpost DDR“, Max Zarnojanczyk und Christian Hermann. Als einen „Funkturm der Freiheit“ beschreiben die Podcaster das Hörprogramm für die Erfurter Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße. Mit ihren Beiträgen gelingt es ihnen, vor allem junge Menschen zeitgemäß über historische Ereignisse in der DDR zu informieren.

Der nach dem Publizisten Karl Wilhelm Fricke benannte Preis wurde 2017 durch eine Spende des Mediziners, Autors und ehemaligen Fluchthelfers Burkhart Veigel ermöglicht. Der Jury des Preises unter der Leitung der ehemaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler gehören neben Altbundespräsident Horst Köhler die russische Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa, der Schriftsteller Marko Martin, der Preisspender Burkhart Veigel und die Direktorin der Bundesstiftung Aufarbeitung Anna Kaminsky an.