Am 29. November 2023 gab es die Veranstaltung „(Nicht) Unsere Revolution? Protest-Geschichte von Menschen mit Behinderungen in der DDR“.
Die Veranstaltung fand statt in Berlin
bei der Bundes-Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Die Bundes-Stiftung will mit ihrer Arbeit daran erinnern,
dass es zur Zeit der SED-Diktatur in der DDR viel Unrecht gab.
SED ist die Abkürzung für Sozialistische Einheitspartei Deutschlands.
Die SED war damals die einzige Partei in der DDR-Regierung
und konnte alles bestimmen.
Wenn die Menschen in der DDR gegen die SED waren,
dann konnten sie das nicht frei sagen.
Sie bekamen sonst große Probleme
oder mussten sogar ins Gefängnis.
Bei der Veranstaltung ging es hauptsächlich darum,
wie der Alltag für Menschen mit Behinderungen in der DDR war
und wie sie sich für ihre Rechte einsetzen konnten.
Die Veranstaltung war eine Gesprächs-Runde mit Fachleuten.
Sie berichteten von persönlichen Erfahrungen und diskutierten
über Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zum Leben
von Menschen mit Behinderungen in der DDR.
Das Publikum konnte zuhören und am Schluss Fragen stellen
und eigene Erfahrungen berichten.
Diese Fachleute waren in der Gesprächs-Runde:
Er ist Rollstuhl-Nutzer und war früher Vorsitzender
vom Berliner Behinderten-Verband.
Dabei setzte er sich dafür ein,
dass die Interessen und Rechte von Menschen mit Behinderungen
bei politischen Entscheidungen im Land Berlin beachtet werden.
Sie lebte mit einer Sehbehinderung in der DDR und erlebte dort
viele Hindernisse im Alltag.
Aktuell ist sie aktiv im Blinden- und Sehbehinderten-Verband Thüringen
und setzt sich für Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden ein.
Sie ist im Deutschen Bundestag für die Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Als Politikerin setzt sie sich für Gesetze ein,
die das Leben von Menschen mit Behinderungen verbessern sollen.
Diese Gesetze sollen auch für private Firmen gelten.
Früher war sie Behinderten-Beauftragte
im Bundes-Land Baden-Württemberg.
Er ist Professor für Geschichte an der Universität Köln.
Dort erforscht er die Situation von Menschen mit Behinderungen
in der DDR-Zeit.
Shelly Kupferberg leitete die Gesprächs-Runde.
Sie arbeitet als Moderatorin für Radio-Sendungen über Kultur und Gesellschaft,
zum Beispiel beim „Deutschlandfunk Kultur“ und bei „RBB Kultur“.
Außerdem ist sie Schriftstellerin.
Jürgen Dusel begrüßte das Publikum und die Mitglieder der Gesprächs-Runde. Er ist der Behinderten-Beauftragte der Bundes-Regierung.
Stephanie Aeffner sagte:
Die Behindertenrechts-Bewegung in der BRD war wichtig.
Menschen mit Behinderungen wurden damals von vielen anderen Menschen
zum ersten Mal als Mitglieder der Gesellschaft bemerkt.
Es ist deshalb gut,
dass man jetzt mehr über das Leben von Menschen mit Behinderungen
in der DDR erfährt.
Professor Dr. Sebastian Barsch erklärte,
dass sich die wissenschaftliche Forschung zum Thema verändert hat.
Früher untersuchte man hauptsächlich:
Welche Einrichtungen und Unterstützungs-Möglichkeiten gab es
für Menschen mit Behinderungen in der DDR?
Heute fragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler öfter:
Welche Erfahrungen haben Menschen mit Behinderungen im Alltag gemacht?
Professor Barsch leitete das Forschungs-Projekt „DisHist – Menschen mit Behinderungen in der DDR“.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Forschungs-Projekt
stellten sich bei ihrer Arbeit diese Fragen:
Kerstin Rödiger wurde in Thüringen in der damaligen DDR geboren.
Sie berichtete,
dass sie im Leben viele Schwierigkeiten hatte wegen ihrer Sehbehinderung.
Zum Beispiel hatte sie gute Noten beim Schul-Abschluss,
aber sie durfte kein Hochschul-Studium anfangen wegen ihrer Behinderung.
Menschen mit Behinderungen wie Kerstin Rödiger hatten in der DDR offiziell einen
Anspruch auf Rehabilitation und Eingliederung ins Arbeits-Leben.
Aber es gab in der DDR nur wenige Ausbildungs-Berufe
für Menschen mit einer Sehbehinderung.
Alle Menschen mit Behinderungen waren sehr stark davon abhängig, welche Unterstützung
sie von ihrer Familie und von Freunden bekommen konnten und welche Hilfs-Mittel es gab.
Menschen mit Behinderungen konnten in der DDR keine Vereine gründen, wenn sie ihre
Interessen vertreten und mehr Rechte fordern wollten.
Dies war in der DDR verboten. Betroffene mussten deshalb einzeln aktiv werden, um ihre
Lebens-Situation zu verbessern.
Hans-Reiner Bönning
erzählte zum Beispiel davon,
wie er sich früher erfolgreich für den Bau von barrierefreien Wohnungen
in Ost-Berlin eingesetzt hat.
Die Situation für Menschen mit Lernschwierigkeiten und Schwerstbehinderte
war in der DDR besonders schlecht.
Sie konnten fast nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und wurden oft nur in
kirchlichen Einrichtungen unterstützt.
Professor Dr. Sebastian Barsch sagte:
In der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland gab es
ab den 1950er Jahren besondere Angebote zur Unterstützung und Versorgung
von Menschen mit Behinderungen, zum Beispiel Heime.
Die Angebote trennten Menschen mit und ohne Behinderungen voneinander.
Deshalb verhinderten die Angebote eine gleichberechtigte gesellschaftliche
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in beiden deutschen Staaten.
In der Bundesrepublik gab es dann eine starke Behindertenrechts-Bewegung
mit vielen Vereinen und anderen Interessens-Vertretungen.
Diese Bewegung gab es in der DDR nicht.
Die Deutsche Einheit im Jahr 1990 hat die Situation von Menschen
mit Behinderungen aus der ehemaligen DDR verbessert.
Es gibt zum Beispiel ein Recht auf Schule für Kinder mit Lernschwierigkeiten.
Außerdem können sich Menschen mit Behinderungen jetzt
in Vereinen zusammenschließen,
um Ihre Interessen zu vertreten und ihre Rechte einzufordern.
Alle Fachleute in der Gesprächs-Runde sagten zum Schluss:
Das sind gute Fortschritte,
aber man muss sich weiter für Inklusion einsetzen.
Damit Menschen mit Behinderungen in allen Lebens-Bereichen
mitmachen können und nicht ausgeschlossen werden.
Jürgen Dusel sagte in seinem Rede-Beitrag zum Abschluss der Veranstaltung:
Der Einsatz für Inklusion stärkt die Demokratie.
Also eine Gesellschaft, in der ganz unterschiedliche Menschen mitreden
und mitbestimmen können.
Deshalb ist eine Demokratie gleichzeitig auch die Voraussetzung,
damit es überhaupt eine inklusive Gesellschaft geben kann.