Bundesstiftung Aufarbeitung
Kronenstraße 5
10117 Berlin
Es war Max Weber, der einst vom unaufhaltsamen Siegeszug moderner Rationalisierung sprach, von der angeblich nur die Sphären der Erotik und der Kunst ausgenommen seien. Doch längst hat sich gezeigt, dass Emotionen sowohl den Entwicklungsweg als auch die Konfliktaustragung der europäischen Gesellschaften über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg unvermindert prägten. Vor diesem Hintergrund skizziert der Vortrag aus emotionsgeschichtlicher Perspektive die Rolle alter und neuer Leidenschaften auf dem politischen Massenmarkt, aber auch auf den Marktplätzen des Konsums, und fragt, wie sich das moderne Individuum zwischen neuer Sachlichkeit, Betroffenheit und coolness "kartographiert".
Vortrag
"Rationalität versus Emotionalität im Jahrhundert der Extreme" | Prof. Dr. Ute Frevert, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin
Veranstaltungsreihe Das Jahrhundert vermessen. Signaturen – Umbrüche – Kontinuitäten
Das 20. Jahrhundert trägt im Rückblick viele Titel: "Zeitalter der Extreme", "Jahrhundert der Ideologien" oder "Amerikanisches Jahrhundert". Doch wie plausibel sind solche Etikettierungen? Die Forschung stellt heute mehr denn je die Komplexität der vieldeutigen und vielschichtigen Zäsuren und Entwicklungsstränge der Zeit von 1900 bis 2000 heraus. Sie waren von der Konkurrenz der gesellschaftlichen Großordnungen liberale Demokratie, Faschismus bzw. Nationalsozialismus und Kommunismus geprägt, aber ebenso auch von systemübergreifenden Entwicklungslinien gekennzeichnet. Welche Sichtachsen sich auf dieser Grundlage durch die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts schlagen lassen, war die Leitfrage dieser Ringvorlesung.