Dr. Daniel Lange, einst Stipendiat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Sportwissenschaftlicher und Historiker mit den Schwerpunkten Sportpolitik und internationale Beziehungen, zeichnet in seiner 20 Folgen umfassenden und nun abgeschlossenen Serie "Turnschuhdiplomatie" (hier nachzulesen) die Verflechtungen von Sport und Außenpolitik nach. Er zeigt, wie die DDR über die Sportarenen der Welt hinaus die politische Landkarte zu ihren Gunsten verschieben wollte.
Ab 1955 erkannte die DDR-Führung, dass Sporterfolge mehr sein konnten als nur Medaillengewinne – sie boten die Chance, international sichtbar zu werden. Der "Flaggenstreit von Accra" 1964 stand stellvertretend dafür. Als die Fußballnationalmannschaft der DDR in Ghana auflief, ging es nicht nur um das Spiel, sondern um die politische Frage, ob die DDR-Flagge gehisst werden durfte. Der Eklat, der sich daraus entspann, zeigt die enge Verzahnung von Sport und Anerkennungspolitik.
Deutlich wurde dies auch beim internationalen Trainerkurs, den die Deutsche Hochschule für Körperkultur in Leipzig ab 1964 anbot. Hier wurden gezielt Trainer aus Entwicklungsländern, darunter viele aus Afrika, ausgebildet – eine effektive Art, langfristig weltweite Verbindungen zu knüpfen. Altruistisch war das nicht, sondern strategisch kalkuliert: Sportler, Trainer und Funktionäre, die in der DDR geschult wurden, sollten in ihrer Heimat Multiplikatoren einer DDR-affinen Politik werden. Besonders in Ländern, die sich im Prozess der Entkolonialisierung befanden, erwies sich dies als außenpolitisch vorteilhaft für die DDR.
Sportereignisse waren für die DDR aber nicht nur Mittel der diplomatischen Kontaktpflege, sondern dienten auch der Demonstration von Bündnisfähigkeit mit den sozialistischen Bruderstaaten. Heraussticht dabei der Besuch Walter Ulbrichts 1965 in Kairo, der die engen Beziehungen zur ägyptischen Führung bekräftigen sollte. Ägypten war in den 1960er Jahren ein Schlüsselpartner für die DDR, da es als Speerspitze einer blockfreien, antiimperialistischen Bewegung galt. Auch Honeckers Besuch in Sambia 1979 verdeutlichte, dass die DDR nicht nur auf symbolischer Ebene aktiv war, sondern gezielt um politische Kooperationen warb.
Derlei Bemühungen mündeten noch 1990 in dem kuriosen Vorgang, dass die DDR noch kurz vor ihrem Ende in Windhuk, Namibia, eine Botschaft eröffnete. Dass dies noch geschah, zeigt, für wie wichtig der SED das Thema Afrika außenpolitisch bis zuletzt erachtete.
Die “Turnschuhdiplomatie” der DDR war ambivalent. Einerseits gelang es ihr, in vielen afrikanischen Ländern Kontakte zu knüpfen und sich als alternativen sozialistischen Akteur neben der Sowjetunion zu etablieren. Andererseits blieb die langfristige Wirkung über 1990 hinaus punktueller Natur, auch weil das wiedervereinigte Deutschland die über Jahrzehnte etablierten Sportverbindungen der DDR nach Afrika außenpolitisch nicht zu seinen Gunsten zu nutzen verstand. Gleichwohl verwiesen noch 2005 und 2009 bei den Weltmeisterschaften im Frauen-Handball und in der Leichtathletik Funktionäre aus Angola und Äthiopien auf das einst hilfreiche Engagement der DDR beim Aufbau von Sportstrukturen in ihren Ländern.
Dr. Daniel Langes Analysen zeigen, dass die DDR-Außenpolitik keineswegs eindimensional war. Sie war angesichts ihrer oft begrenzten Möglichkeiten kreativ und verstand es, den Sport u.a. in den Branchen Bildung, der kulturellen Auslandsarbeit, im Leistungssport oder im Außenhandel als Instrument zur Erreichung ihrer Interessen einzusetzen. Damit bleibt das Kapitel "DDR, Afrika und der Sport" ein faszinierendes Beispiel für die Schnittstelle zwischen Politik und Sport – und eine Erinnerung daran, dass Diplomatie nicht nur in Konferenzsälen, sondern oft auch in Turn- und Schwimmhallen, Trainingslagern und Krafträumen entscheidend mitgeprägt werden kann.
Dr. Daniel Lange, geboren 1980, studierte Neueste Geschichte und Südasien-Studien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Magisterarbeit widmete er der ersten und einzigen Teilnahme der DDR an einer UN-Friedensmission 1989/90 in Namibia (”Auf deutsch-deutscher UN-Patrouille”). Seine Promotion absolvierte er an der Universität Potsdam mit dem Titel „Turnschuhdiplomatie. Die internationalen sportpolitischen Beziehungen der DDR nach Afrika als besonderer Bestandteil ihrer Außenpolitik (1955–1990)“. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur förderte das Forschungsprojekt mit einem Promotionsstipendium. Die sporthistorische Serie zur "Turnschuhdiplomatie" stellt eine wertvolle Ergänzung zur Forschung über die DDR-Außenpolitik dar und beleuchtet deren oft unterschätzte sportdiplomatische Strategien. Das Buch zur Serie ist per E-Mail bestellbar über daniel.lange@go4more.de.