Herr und Frau P. wurden am frühen Morgen verhaftet. Sie waren gerade aufgestanden und hatten sich zum gemeinsamen Frühstück in die Küche gesetzt. Die Kinder schliefen noch. Frau P. wollte ihren Sohn auf dem Weg zur Arbeit in den Kindergarten bringen. Ihre Tochter würde sich wie immer mit den Freundinnen zum gemeinsamen Schulweg treffen. So dachten sie. Doch dazu kam es nicht. Es klingelte an der Tür. Herr P. ging hinaus und öffnete. Er kehrte nicht zurück. Aus dem Flur waren laute Stimmen zu hören. Frau P. ging hinüber, um nachzusehen und stand auf einmal mehreren Mitarbeitern der Staatssicherheit gegenüber. Ihr Mann war verschwunden. „Mitkommen!“, sagte einer, „Ihr Mann wartet draußen.“ „Was ist denn passiert?“, fragte Frau P. „Wir brauchen Sie beide zur Klärung eines Sachverhalts.“ Plötzlich verstand Frau P., was los war. Sie wurden zu einer Vernehmung abgeholt. Sie hatte Angst. Sofort dachte sie an ihre Kinder. Hatten sie die lauten Stimmen im Flur gehört? Was würde mit ihnen geschehen? Wann würden sie sich wieder sehen? Herr und Frau P. wurden aus politischen Gründen festgenommen und inhaftiert. Sie waren zwei von mindestens 200 000 politischen Gefangenen der DDR. Die Auslöser für eine politisch motivierte strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung waren sehr verschieden. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und die Justiz sahen es beispielsweise als Straft an, wenn jemand in einem privaten Gespräch Unzufriedenheit über die Verhältnisse in der DDR äußerte. Auch andere Handlungen wie die Teilnahme an einer Demonstration, ein Leserbrief an eine westdeutsche Zeitung oder ein Antrag auf Ausreise aus der DDR konnten als „staatsfeindliche“ Aktionen ausgelegt und geahndet werden.
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Politische Gefangene waren staatlichen Repressionen in besonderem Maße ausgesetzt.[1] Die meisten von ihnen wurden nach der Festnahme in Untersuchungshaftanstalten untergebracht, die dem MfS unterstanden, und waren dort Foltermethoden wie Dunkelhaft und Schlafentzug ausgesetzt. Ihre Gerichtsverfahren fanden meistens unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wurden sie zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, mussten sie diese in einer oder mehreren der über 40 Strafvollzugsanstalten der DDR verbüßen. Auch hier konnten die Haftbedingungen sehr belastend sein – zum Beispiel kam es zu Übergriffen auf die Betroffenen, ihr Alltag wurde von der Erfüllung einer vorgegebenen Arbeitsnorm bestimmt und ihr Kontakt zu Angehörigen wurde stark eingeschränkt und kontrolliert. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass eine große Zahl ehemaliger politisch Inhaftierter infolge der Haft psychisch erkrankte. Vieles von dem, was sie erlebt hatten, war potenziell traumatisierend. Bis heute zeigen sich bei ehemaligen Inhaftierten höhere Raten psychischer Belastung als bei Personen, die nicht politisch inhaftiert waren. Besonders häufig leiden sie unter der Posttraumatischen Belastungsstörung; aber auch Angststörungen, Depressionen und andere psychische Störungen treten vermehrt auf. Viele empfanden zudem eine geringere Lebensqualität als die Allgemeinbevölkerung und zeigten sich durch die Haft auch körperlich belastet.[2]
In diesem Beitrag soll es jedoch nicht um die ehemaligen Inhaftierten gehen. Das traumatisierende Potenzial ihrer Erfahrungen politischer Verfolgung belegten Wissenschaftler schon früh. Die Erfahrungen ihrer Familien hingegen wurden nur am Rande thematisiert. Politisch Inhaftierte berichteten, dass das MfS sie mit Informationen über ihre Familien erpresste und dass auch diese Repressionen ausgesetzt waren.[3] So ließ die Staatssicherheit inhaftierte Eltern zum Beispiel im Unklaren darüber, wo ihre Kinder nach der Festnahme untergebracht wurden, oder setzte sie mit Hinweisen auf deren Wohlergehen unter Druck. Jeder Kontakt nach außen, ob Briefe oder Besuche, wurde vom MfS oder der Strafvollzugsanstalt kontrolliert. Ehemalige Inhaftierte schilderten, dass die Zeit der Haft auch für ihre Familien sehr belastend war. Die Angehörigen kamen jedoch nur selten selbst zu Wort. Die vorliegende Untersuchung entstand unter anderem aus der Frage danach, was die Kinder im Umfeld der politischen Haft ihrer Eltern erlebten. Waren sie zum Beispiel dabei, als die Eltern verhaftet wurden? Wie erfuhren sie sonst von der Haft? Und wie wurden die Kinder untergebracht, als die Eltern inhaftiert waren? Bei wem konnten sie bleiben?
Zum einen wollte ich mehr darüber erfahren, wie die Kinder ehemaliger politisch Inhaftierter in die Verfolgung der Eltern einbezogen wurden. Dabei sollte die Perspektive der Kinder im Vordergrund stehen. Zum anderen wollte ich auf dieser Basis das traumatisierende Potenzial ihrer Erfahrungen abschätzen. Um darauf Antworten zu bekommen, befragte ich 26 Kinder ehemaliger politisch Inhaftierter mithilfe eines Fragebogens.[4] Einige Ergebnisse dieser Befragung werden im Folgenden dargestellt.
Als sie den Fragebogen ausfüllten, waren die Teilnehmenden zwischen 25 und 71 Jahre alt. Der Zeitraum, in dem ihre Eltern inhaftiert waren, erstreckte sich von 1946 bis 1989, mit einem Schwerpunkt auf den Jahren von 1973 bis 1989. Die durchschnittliche Haftdauer der Eltern betrug 23 Monate. Weitere Informationen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Geschlecht | Weiblich: 14 (53,8%) Männlich: 12 (46,2%) |
Alter zum Zeitpunkt der Inhaftierung der Eltern | Durchschnittsalter: 8,2 Jahre < 5 Jahre: 10 Kinder 6-12 Jahre: 8 Kinder 13-18 Jahre: 7 Kinder > 18 Jahre: 1 Kind |
Inhaftierte Eltern | Beide Eltern in Haft: 16 (61,5%) Vater in Haft: 7 (26,9%) Mutter in Haft: 3 (11,5%) |
Dauer der Inhaftierung der Eltern | Väter: 5-69 Monate (Mittelwert = 24 Monate) Mütter: 6-96 Monate (Mittelwert = 22 Monate) |
Die meisten der befragten Kinder erlebten die Inhaftierung beider Eltern. In einigen Fällen wurde „nur“ ein Elternteil inhaftiert, häufiger der Vater als die Mutter. Die Kinder waren zum Zeitpunkt der Verhaftung unterschiedlich alt. Eines der Kinder war noch nicht geboren, als die Mutter verhaftet wurde. Die meisten waren im schulpflichtigen Alter, also zwischen sechs und 18 Jahre alt, das Älteste war 20.
Die Mehrzahl der Befragten war nicht dabei, als die Eltern verhaftet wurden. Drei Kinder erlebten die Verhaftung mit. Drei weitere Kinder im Alter von zwei, neun und 14 Jahren wurden sogar zunächst mit ihren Eltern verhaftet. Die Inhaftierung der Eltern kam für die meisten Befragten völlig unerwartet. Drei der Kinder erinnerten sich, dass die Eltern sie auf eine mögliche Verhaftung vorbereitet hatten, bevor es dann tatsächlich dazu kam. Die meisten aber erfuhren erst kurz nach der Festnahme davon. In der Mehrheit der Fälle erzählten es ihnen ihre Großeltern, vor allem die Großmutter, oder ihre Mutter. Weniger häufig wurden sie vom MfS informiert (vgl. Tabelle 2). Zum Teil waren auch mehrere Personen daran beteiligt, dem Kind davon zu erzählen. In drei Fällen erfuhren die Kinder erst Jahre nach der Entlassung der Eltern von der Haft, zwei davon lange nach der Wiedervereinigung. Eines wurde im Schulalter von einem anderen Kind darüber informiert. Es hatte zuvor nichts von der Haft gewusst.
Zusätzlich zur Unwissenheit über den Verbleib der Eltern oder das belastende Wissen, dass Mutter, Vater oder beide Eltern im Gefängnis waren, erlebten die Kinder in vielen Fällen Hausdurchsuchungen und Verhöre (vgl. Tabelle 2). Die Hälfte der Befragten erinnerte sich an Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit der Haft. Zehn waren bei Verhören oder Befragungen anwesend oder wurden selbst befragt. Einige der Kinder berichteten, dass ihnen psychische Gewalt angetan worden war, andere hatten miterlebt, wie ihren Eltern psychische Gewalt zugefügt wurde. An körperliche Gewalt gegen sich oder die Eltern erinnerte sich hingegen keines der befragten Kinder. Nur sieben erlebten keine der staatlichen Maßnahmen. Einige nannten spontan Gefühle, die sie in Zusammenhang mit der Festnahme erinnerten: Ohnmacht, Trauer und Hilflosigkeit.
Die Festnahme der Eltern war für die Kinder ein unerwartetes, erschreckendes Ereignis, dem sie ohne Handlungsmöglichkeiten ausgesetzt waren. Zudem wurden sie zum Teil selbst kriminalisiert, indem sie mit den Eltern festgenommen wurden und Hausdurchsuchungen und Verhöre erlebten.
Tabelle 2: Angaben zu Personen, die den Kindern von der Haft erzählten, zu Erlebnissen in Zusammenhang mit der Festnahme sowie zur Unterbringungssituation während der Haft der Eltern
Erfahren von der politischen Haft durch ... |
Staatssicherheit: 5 (19,2 %)* Mutter: 10 (38,5 %) |
Erlebnisse während und nach der Festnahme |
Hausdurchsuchung: 13 (50 %)* Befragung/Verhör: 10 (38,5 %) |
Unterbringung während der Inhaftierung der Eltern ... |
Beim nicht inhaftierten Elternteil: 6 (23,1 %)* Bei Großeltern: 11 (42,3 %) Andere: 2 (7,7 %) |
* Mehrfachnennungen waren möglich. Daher liegt die Prozentsumme bei über 100 %.
Wie bei Familie P. musste sich auch in anderen betroffenen Familien an die Verhaftung der Eltern unmittelbar die Frage anschließen, wo die Kinder nun leben konnten. Blieben sie bei Verwandten oder wurden sie, wie den Eltern vielfach angedroht, in ein Kinderheim gebracht? Tabelle 2 enthält Angaben dazu, wie es den hier Befragten erging. Diejenigen, bei denen „nur“ der Vater oder „nur“ die Mutter inhaftiert wurde, konnten die Zeit der Haft beim nicht inhaftierten Elternteil verbringen. Zum Teil war dies nicht möglich, weil die Eltern getrennt lebten oder ein Elternteil bereits gestorben war. Die Mehrheit der befragten Kinder erlitt die Inhaftierung beider Eltern. Sie benötigten den Schutz Erwachsener und einen Ort, an dem sie bleiben konnten.
Sechs der Befragten waren nach der Verhaftung in Kinderheimen untergebracht. Zwei von ihnen blieben die gesamte Zeit über dort. Die anderen Kinder wurden davor oder danach zu Großeltern oder anderen Angehörigen gebracht. Insgesamt musste über ein Drittel der Kinder nach der Verhaftung der Eltern mehr als einmal umziehen, sie erlebten also verschiedene Bezugspersonen.
Auch andere Formen der Unterbringung kamen vor. So schilderte eine der befragten Personen, wie sie nach der elterlichen Festnahme von einer fremden, vermutlich vom MfS beauftragten Familie abgeholt wurde. In einem anderen Fall blieb das Kind gänzlich unbeachtet, als es von der Schule nach Hause kam und die Wohnung geöffnet und ohne Eltern vor- fand. Es suchte daraufhin selbst nach einer Unterkunft und wurde erst später bei Angehörigen untergebracht.
Zehn der Befragten mussten während der Haft der Eltern in eine andere Stadt umziehen. So wurden sie nicht nur ihrer Eltern beraubt, sondern verloren auch die gewohnte Umgebung sowie ihre Spiel- und Klassenkameradinnen und -kameraden. Die Verhaftung konnte für das Kind also zunächst den Verlust aller äußeren Sicherheit bedeuten. Die Abwesenheit mindestens eines Elternteils mussten alle Kinder bewältigen. Sie blieben verschwunden, das tagtägliche Miteinander war jäh unterbrochen.
Vor allem die älteren Kinder berichteten, dass sie mit den inhaftierten Eltern auf verschiedene Weise in Verbindung blieben. Sie schrieben und bekamen Briefe oder andere Personen erzählten ihnen von den Eltern. Fünf Kinder erinnerten sich, während der Haftzeit gar keinen Kontakt zu den Eltern gehabt zu haben – sie alle waren drei Jahre alt oder jünger. Allerdings gab es auch Gleichaltrige, die nicht ganz von den inhaftierten Eltern abgeschnitten waren. Sie bekamen Post aus der Haft oder erhielten Informationen von Dritten. Insgesamt hatten weniger als die Hälfte Briefkontakt – elf Kinder empfingen und schrieben Briefe, zwei bekamen Briefe und schrieben selbst keine, ein Kind bekam keine, schrieb aber Briefe. Ein Kind hatte erst nach zwei Jahren Briefkontakt zu seinem Vater. Ein anderes berichtete, kleine gebastelte Geschenke vom inhaftierten Elternteil bekommen zu haben.
Nur vier Kinder durften ihre Eltern in der Haft besuchen. Sie waren zwischen 13 und 20 Jahre alt. Dass ihnen die Besuche möglich waren, lässt sich jedoch nicht nur auf ihr Alter zurückführen, denn auch die Kinder, die ihre inhaftierten Eltern nicht besuchen konnten oder durften, waren teilweise älter als 13. Sechs Kinder erinnerten sich, über andere Personen Nachrichten der Eltern bekommen zu haben.
Obgleich hier nur erste Ergebnisse auf der Grundlage einer kleinen Zahl von Teilnehmenden vorgestellt werden, kann die Lebenssituation von Kindern politisch Inhaftierter in der DDR während der Haftzeit erfasst werden. Die „typische“ Situation eines Kindes, dessen Eltern in der DDR politisch inhaftiert wurden, sah etwa so aus: Das Kind war bei der Festnahme der beiden Eltern nicht anwesend und wurde von den Großeltern oder der Staatssicherheit darüber informiert. In der Zeit, in der die Eltern inhaftiert waren, lebte es bei den Großeltern, oft nachdem es zeitweise anderweitig untergebracht worden war. Während Kleinkinder nur schwer Kontakt zu den Eltern halten konnten, war dies Schulkindern über Briefe oder über Dritte möglich.
Sowohl in der unmittelbaren Situation der Verhaftung als auch danach waren Kinder unterschiedlich stark in die politische Verfolgung einbezogen. Das konnte bedeuten, dass staatliche Stellen sie entweder gar nicht beachteten oder sie umfassend einbezogen und kontrollierten. Indem die zuständigen Behörden sie mitverhafteten, befragten und in Kinderheimen unterbrachten, kriminalisierten sie die Kinder in ähnlicher Weise wie die Eltern.
Die verbliebenen nicht inhaftierten Familienmitglieder übernahmen eine wichtige Rolle für die Betreuung der Kinder. Doch für viele begann mit der Verhaftung der Eltern eine instabile Zeit, geprägt durch den Wechsel von Bezugspersonen und äußerem Umfeld.
Um die Lebenssituation von Kindern politisch Inhaftierter in der DDR zu beschreiben und zu analysieren, müssen eine Reihe von Faktoren einbezogen werden. Je nach Fall unterschieden sich zum Beispiel die Umstände der Verhaftung sowie die Dauer der elterlichen Haft stark voneinander. Um noch mehr über staatliche Gewalt gegen Kinder politisch Inhaftierter in der DDR zu erfahren, sind weitere Untersuchungen wünschenswert.
Ein genaueres Wissen über die Lebenssituation von Kindern politisch Inhaftierter ermöglicht es, auch die potenziellen psychischen Folgen für sie abzuschätzen. Die negativen Auswirkungen auf die Inhaftierten sind mittlerweile vielfach belegt. Doch auch für die Kinder barg die elterliche Inhaftierung die Gefahr einer Traumatisierung. Die Festnahme, der plötzliche Verlust eines oder beider Elternteile, das Miterleben von Hausdurchsuchung und Verhören, der „Abtransport“ aus der elterlichen Wohnung, das Ankommen im Kinderheim oder in der Pflegefamilie – all diese Situationen konnten traumatisierend wirken. Die berichteten Gefühle weisen zusätzlich auf das traumatisierende Potenzial der Ereignisse hin. Die Verhaftung sowie die Zeit der Inhaftierung griffen somit nicht nur die psychische Gesundheit der Inhaftierten an, sondern auch die ihrer Kinder. Inwieweit das MfS hier gezielt vorging, bleibt weiter zu untersuchen. Ebenso stellt sich die Frage, wie die betroffenen Kinder ihre Erlebnisse bewältigten.
Für die Bewältigung traumatischer Erfahrungen ist das soziale Umfeld sehr bedeutsam. Weitere negative Erlebnisse und eine von Unsicherheit geprägte Umgebung führen eher zu einer psychischen Destabilisierung. Ein sicheres, vertrautes Umfeld und die Anwesenheit positiver Bezugspersonen können eine gute Verarbeitung hingegen befördern. Für die meisten Kinder war es demnach hilfreich, dass sie während der Haft der Eltern bei Familienmitgliedern wohnen konnten. Nicht vergessen werden darf jedoch, dass dadurch auch Belastungen auf der Individual- und Familienebene entstanden. Sowohl für die aufnehmenden Angehörigen wie auch für die Kinder war die neue Lebenssituation nicht immer unproblematisch.
Das erweiterte Umfeld der Kinder, die Spiel- und Klassenkameradinnen und -kameraden sowie die Lehrerinnen und Lehrer spielten bei der Verarbeitung des Erlebten ebenfalls eine Rolle. Auch die Lebenssituation der Kinder, die in Kinderheimen und Pflegefamilien untergebracht wurden, sollte genauer untersucht werden. Erlebten die Kinder eher, dass sie aufgefangen oder dass sie ausgeschlossen wurden?
Die Zeit der Haft war für die getrennten Familien auch eine Zeit des Wartens und Hoffens auf ein Wiedersehen. Für fast alle ging diese Hoffnung in Erfüllung. Zum Teil waren mehrere Jahre vergangen. Manche Familien konnten die DDR verlassen. Andere zogen wieder in ihre alten Wohnungen. Sie alle mussten ihre eigenen Erlebnisse verarbeiten und auch als Familie wieder zueinander finden.
Herr und Frau P. wurden nach zwei Jahren politischer Haft in die Bundesrepublik entlassen. Ihre Kinder erfuhren am nächsten Tag davon. Doch es dauerte noch drei Monate, bis sie zu ihnen durften. Nach einer langen Reise war es so weit. Draußen, vor dem Zugfenster, tauchten die so lange vermissten Gesichter auf. Sie sahen anders aus als auf den Fotos. Aber sie erkannten sich sofort. Und sie gingen am Ende, oder am Anfang, langsam und nah beieinander den Bahnsteig entlang.
1 Zur politischen Gefangenschaft in der DDR vgl. z. B. Klaus-Dieter Müller/Annegret Stephan, Die Vergangenheit lässt uns nicht los. Haftbedingungen politischer Gefan- gener in der SBZ/DDR und deren gesundheitliche Folgen, Berlin 1998.
2 Vgl. z. B. Kornelia Beer/Gregor Weißflog, Weiterleben nach politischer Haft in der DDR. Gesundheitliche und soziale Folgen, Göttingen 2011; Harald Freyberger/Jörg Frommer/Andreas Maerker/Regina Steil, Gesundheitliche Folgen politischer Haft in der DDR, Dresden 2003.
3 Sibylle Plogstedt, Knastmauke. Das Schicksal von politischen Häftlingen der DDR nach der deutschen Wiedervereinigung, Gießen 2010.
4 Insgesamt nahmen 64 Kinder ehemaliger Inhaftierter an der Studie teil. 26 von ihnen waren bereits geboren, als die Eltern verhaftet wurden, oder wurden während der Haft geboren. Nur ihre Angaben wurden hier verwendet.