Von wegen Quod licet jovi, non licet bovi! Was erst dem modernen Mann erlaubt wurde, durfte der Ochs schon vor zweitausend Jahren. Und der Esel auch. Sie waren nämlich dabei, als Gottes Sohn geboren wurde in der Krippe in Bethlehems Stall. Unter Christen galten Ochs und Esel als sanft und demütig. Seitdem hat sich ihr Ansehen allerdings ungemein verschlechtert. Der Esel sei dumm und störrisch, behauptet der Volksmund, obwohl er in Wahrheit ein fleißiges und genügsames Arbeitstier ist. Und der Ochse soll einfältig und starrsinnig sein. Das war nun der Dank dafür, dass er seit Menschen gedenken die allerschwersten Lasten schleppt. Am übelsten aber erging es diesen treuen Helfern der Menschen bei den Propagandisten der DDR. Die gutmütigen Tiere galten als Konterrevolutionäre, die den Sozialismus in seinem Lauf aufhalten wollten. Aber bevor Erich
Honecker die armen Tiere endgültig zu Todfeinden erklären konnte, wurde ihr einst glänzender Ruf Stück für Stück ruiniert. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren mussten sie erst einmal herhalten bei der Agitation gegen westliche Rundfunk- und Fernsehsender. Ochs wie Esel standen für jene, die es sich nicht nehmen ließen, die Programme des Klassenfeinds einzuschalten.
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Die Metamorphose von Mensch zu Ochs vollzog sich beim Westfernsehgucken. So jedenfalls sahen es die DDR-Propagandisten. Die FDJ-Zeitung „Junge Welt“ teilte ihren Lesern kurz nach dem Mauerbau mit, der Ochsenkopf sei eine „volkstümliche Bezeichnung für jemand[en], der immer noch nicht verstanden hat, dass der ‚Schwarze Kanal‘ einen Ochsen aus ihm macht“.[1] Westfernsehen verdummt, das war eine klare Botschaft. Und, noch direkter: Das Westfernsehen macht aus dem DDR-Zuschauer ein Opfer des Klassenfeinds.
Der Ochse hat eine so lange wie traurige Tradition als Opfertier in der Menschheitsgeschichte. Natürlich sorgte sich die SED-Führung um ihre Menschen, sie durfte sie nicht zu Opfern werden lassen, das gebot ihr die Fürsorgepflicht. Die Botschaft: Das Westfernsehen verbreitet „imperialistische Hetze aus dem Äther“. Schon mancher wurde so zum Feind der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Um das zu beweisen und um die Gutwilligen abzuschrecken, bloß nicht zu Ochsen zu werden, verhandelten Richter und Staatsanwälte den Tatbestand Westfernsehgucken vor Gericht. Seit Ende der Fünfzigerjahre setzten sie immer wieder Menschen auf die Anklagebank, die gemeinsam mit Freunden oder Bekannten die Sendungen des Klassenfeinds eingeschaltet hatten.
So wie der Großbauer Stockmann aus dem Kreis Karl-Marx-Stadt. Er hatte seine Skatfreunde und Kollegen eingeladen, den Film „Soweit die Füße tragen“ zu sehen, einen Fernsehmehrteiler über die Flucht eines Kriegsgefangenen aus sowjetischer Haft. Das Bezirksgericht Karl-Marx- Stadt sah darin eine „staatsgefährdende Handlung“. Stockmann landete für neun Monate im Gefängnis, und seinen Fernsehapparat musste er auch abgeben. Aus pädagogischen Gründen berichtete die örtliche Presse über diesen Fall.[2] Der von den Bonner Revanchisten fehlgeleitete Bauer wurde karikiert als Mensch mit Ochsenkopf, aus dem eine Antenne ragt. Das Fazit des Berichts: „Der Ochsenkopf hatte wieder ein Opfer gefordert.“
Ein Ochsenkopf, das war nicht nur das dumme Opfer des Westfernsehens. Weil die Geografie eine natürliche Verbündete des Sozialismus war, heißt so auch ein Berg im Fichtelgebirge, auf dessen Gipfel Sendeanlagen des Bayerischen Rundfunks standen. Also nannte der Volksmund Antennen, die auf diesen Sender gerichtet waren, „Ochsenköpfe“. Und die SED in ihrem Erfindungsreichtum titulierte die Dummen so und ließ aus deren Köpfen sogar Antennen wachsen.
Diese Ochsenkopfantennen waren meist auf den ersten Blick zu erkennen. Denn sie sahen anders aus als die Antennen, mit denen das DDR-Fern- sehen empfangen wurde. Jeder Ochsenkopf auf dem Dach demonstrierte, dass die Meinungsmacht der Partei begrenzt war. Bürger, denen die SED- Propaganda auf die Nerven ging, schalteten einfach um. So wurde es nichts aus dem Informations- und Meinungsmonopol der Partei, und sie versuchte alles, die Bürger von den Verlockungen der Westbilder abzuhalten.
Kurz nach dem Mauerbau 1961 erreichte die Jagd auf Ochsenköpfe ihren Höhepunkt. In der republikweiten Aktion „Blitz kontra NATO-Sender“ stieg die Freie Deutsche Jugend (FDJ) den „geistigen Grenzgängern“ im wahrsten Sinne des Wortes aufs Dach. Eine Agitationskampagne sollte die Bevölkerung überzeugen, Auge und Ohr nie mehr dem Klassenfeind zu leihen. Wer sich dem Druck nicht beugte und immer noch einen Ochsenkopf auf dem Haus hatte, wurde angeprangert. Zur Warnung pappten Jungaktivisten Plakate an die Türen. In Stadtroda im Bezirk Erfurt stand darauf der lyrische Vers: „Hier wohnt auch so ein armer Tropf, hört noch den Ochsenkopf.“ Hier und da wurden auch „rote Hähne“ an Häuser mit Westantennen geklebt. Der rote Hahn galt als Symbol des Kampfs gegen die katholische Kirche während des Bauernkriegs im 16. Jahrhundert. „Setzt auf’s Klosterdach den roten Hahn!“ – also die Klöster abzubrennen – das besang ein politisches Kampflied, das die Taten der Bauernarmee verherrlichte. Entstanden um 1920, wurde es Teil des SS-Liedguts und später auch in den Kanon der DDR-Lieder aufgenommen. Während der Aktion „Ochsenkopf “ brannte freilich kein Haus mehr und der Hahn sollte nach dem Willen der FDJ das Gegenteil symbolisieren: Hier versuche man, die „Brand(t)-Gefahr auf den Dächern und in den Köpfen zu beseitigen“.[3] Gezündelt wurde vom Westen, die FDJ verstand sich als Feuerlöscher. Partei und FDJ forderten Werktätige und Schüler zudem auf, die falschen Sender nie mehr einzuschalten: „Ochsenkopf und RIAS-Enten können uns den Geist nicht blenden“. Wo solche Kreativpropaganda an böswilliger Unbelehrbarkeit scheiterte, holten FDJ-Gruppen die Antennen kurzerhand von den Dächern oder bauten den Kanalstreifen für den Westempfang in den Fernsehgeräten aus. Die FDJ hatte mit ihrer Aktion nur wenig Erfolg. Viel- fach wurden die Antennen einfach unter dem Dach neu installiert. Auch Eltern, Lehrern und sogar Funktionären ging das teils rabiate Vorgehen zu weit und sie forderten ein Ende der Auseinandersetzungen.
Was Anfang der Sechzigerjahre das Fernsehen und der Ochse waren, waren in den Fünfzigerjahren Hörfunk und Esel gewesen. Bevor die Flimmerkiste ihren Siegeszug antrat, war das Radio das wichtigste Informations- und Unterhaltungsmedium. Schon damals konnte der DDR-Bürger medial in den Westen flüchten: SFB, NDR & Co. waren in der DDR meist sogar besser zu empfangen als der DDR-eigene Rundfunk. Im Zentrum der DDR-Agitation stand freilich der RIAS, der „Rundfunk im Amerikanischen Sektor“ Westberlins. Wer ihn hörte, konnte sich schnurstracks in einen Esel verwandeln. Dieses Bild prägten die Agitatoren schon 1950.
1952/53 druckte die DDR-Satirezeitschrift „Frischer Wind“ ein Jahr lang jede Woche eine Bildgeschichte über Herrn Zacharias. Der Mann mit den Eselsohren kann es einfach nicht lassen, den RIAS zu hören. In immer neuen Folgen wird gezeigt, wie er sich mit seiner Dummheit selbst schadet. Hier kündigt sich die spätere Karriere des Ochsen bereits an, denn der „Frische Wind“ beschimpft Herrn Zacharias trotz seiner Eselsohren auch mal als Ochs. Der so zu einem Opfer nicht nur des Feindsenders, sondern auch biologischer Uneindeutigkeit Gewordene steht dumm und allein gegen die sozialistische Gemeinschaft, die diesen „inneren Feind“ immer wieder in seine Schranken weist.
Ein Wunschbild der DDR-Propaganda. Denn im richtigen DDR-Leben war Herr Zacharias kein Einzelfall. Viele Ostdeutsche hörten den RIAS und redeten über seine Berichte und Kommentare im Betrieb und zu Hause. Doch die Staatspartei hielt dagegen. Ihre Agitatoren entlarvten RIAS-Hörer als dumme (Esel!) Wiederkäuer (Ochsen!), die Lügen des Feindfunks verbreiteten. Für die RIAS-Hörerinnen fand die Propaganda ein spezielles Bild: Zwei dicke Gänse mit Handtaschen unterhalten sich vor dem HO-Geschäft über Preiserhöhungen, die der RIAS gemeldet hatte. Dumme Gänse waren das, die RIAS-Enten weitertratschten.
Der biologische Erfindungsreichtum der Ideologen bescherte in Sachen RIAS auch dem Hamster einen Auftritt. Der Kleinwühler – meist weiblich – raffte auf Vorrat, wenn der RIAS über einen baldigen Währungsumtausch oder eine Lebensmittelknappheit spekulierte. So unterhöhlte der Nager in seiner Schlechtgläubigkeit die Planwirtschaft.
Doch es gab Trost und Hoffnung. Ochs und Esel, Gans, Ente, Hamster und die anderen Tiere veranschaulichten zwar verurteilenswerte Verhaltensweisen von Menschen. Und doch handelte es sich bei ihnen nicht um Weiße Haie oder ausgehungerte Tiger, sondern um Haus- und Nutztiere, vor denen man wenig Angst haben musste. Die Tierbilder schuf die Propaganda für die schwarzen Schafe in der eigenen Bevölkerung. Diese Fehl- geleiteten sollten als „innere Feinde“ entlarvt werden, aber es ging nicht darum, sie zu vernichten. Das Ziel war es, Ochs und Esel und all die anderen auf den Weg des Sozialismus zurückzuführen. Haus- und Nutztiere zu wählen gab dabei Hoffnung, denn diese Tiere ließen sich erziehen.
Die realsozialistische Medien-Zoologie beschränkte sich aber keineswegs auf Menschen, auch die Westsender erhielten ein tierisches Gewand. Im Vorspann des „Schwarzen Kanals“, der Propagandasendung Karl-Eduard von Schnitzlers im DDR-Fernsehen, saß der Adler bedrohlich auf der Dachantenne. Der Raubvogel symbolisierte die Bundesrepublik, die mit dem Faschismus nicht gebrochen hatte. Adler und Westfernsehen standen für die stets drohende Wiederkehr der braunen Zeit. Am Ende des Vorspanns aber stürzt der Adler ab. Das jedenfalls wollte Schnitzler mit sei- ner wöchentlichen Sendung erreichen: die Lügen des Westfernsehens entlarven, um die Bürger vor dessen Gefahren zu schützen.
Karikaturisten zeichneten den RIAS gern als Ente. Der musste man den Schnabel stopfen oder die Flügel stutzen. Die Botschaft: Der RIAS lügt, und wer seinen Radio-Enten glaubt, wird zum Esel oder Ochsen. Das Bild der Ente ist allerdings sehr harmlos. Der RIAS scheint schwach und hilflos den starken Arbeiterhänden ausgeliefert. Der Ente den Garaus zu machen ist ein Leichtes. Und den RIAS in Westberlin zu liquidieren – das war bekanntermaßen das erklärte Ziel der SED. Natürlich wurde auch die klassische Zeitungs-Ente bemüht beim Kampf gegen „Telegraf “, „Tagesspiegel“ und „Die Welt“, die bis zum Bau der Mauer jeder Ostbürger in Westberlin kaufen konnte.
Das Ministerium für Staatssicherheit zeigte eine beeindruckende zoo- logische Konsequenz, als es Mitte der Fünfzigerjahre unter dem Decknamen „Enten“ eine der größten Ermittlungsaktionen gegen DDR-Bürger startete, die mit dem RIAS in Kontakt standen.[4] Die Enten-Aktion endete im Juni 1955 mit einem Schauprozess vor dem Obersten Gericht der DDR, in dem vier Bürger als sogenannte RIAS-Agenten hohe Zuchthausstrafen erhielten. Einen weiteren Angeklagten verurteilten die Obersten Richter gar zum Tode.
In der Kampagne zum Schauprozess reichte das in der Ente angelegte Bedrohungspotenzial allerdings nicht mehr, um die Machenschaften des RIAS metaphorisch zu enthüllen. Jetzt holte die Propaganda die Spinne aus dem Glaskäfig. Viele Spinnen sind giftig und manchmal sogar lebensgefährlich. Gegen Spinnen entwickeln manche Menschen Phobien. Sie fürchten sich vor ihnen und empfinden Ekel. Aber die Spinne ist nicht nur oft giftig, sondern spinnt auch Netze. Zeitungsartikel wie „Die Spinne und ihr Mikrophon“[5] waren ganzseitig mit einem Spinnennetz unterlegt. Mit dessen Seidenfäden überzog der RIAS die gesamte DDR, um „Agenten“ zu fangen. Wer sich im Netz verhedderte, kam nicht mehr frei und konnte das mit seinem Leben bezahlen. Das Urteil im RIAS-Schauprozess hatte es gezeigt. Auch eine Hörfolge von Radio DDR mit dem Titel „Giftspinne im Äther“ sollte das Bild der verbrecherischen Spionageorganisation RIAS in den Köpfen der Bevölkerung einpflanzen.
Ein paar Jahre zuvor war der RIAS bereits als Schlange gezeichnet worden, ebenfalls ein oft giftiges Tier.[6] Und hatte nicht eine Schlange Eva verführt, vom Baum der Erkenntnis zu essen, und sie so aus dem Garten Eden vertrieben? Natürlich hielt es die DDR-Führung mit der Bibel wie der Vampir mit dem Kreuz. Obwohl es ein hübsches Bild gewesen wäre: die DDR als der Garten Eden, das Paradies der Arbeiter und Bauern, aus dem jeder vertrieben wird, der sich mit der Schlange einlässt. Aber die Warnung vor der Gefahr, die vom amerikanischen „Hetzsender“ ausging, war unmissverständlich. Die RIAS-Schlange verspritzte ihr Gift und störte die Arbeiter und Bauern beim friedlichen Aufbau des Sozialismus. Wer sich von der Schlange beißen ließ, setzte alles aufs Spiel.
Wie Gift wirkten die Westmedien in der DDR, so das Bild der SED- Propaganda in den Fünfzigerjahren. Bis Mitte der Sechzigerjahre verwendete sie die Giftmetapher in immer neuen Angriffen gegen die als feindlich angesehenen Medien.[7] Die wilden Tiere wie die giftige Schlange und die Giftspinne unterstützten dieses Bild, um zu warnen und Angst zu verbreiten. Sie sollten die eigenen Bürger vom Sehen und Hören abschrecken und den Medienkonsum kontrollieren. Geholfen hat es alles nichts.
Aber nicht alle Tierbilder im Medienkontext waren negativ gemeint. Rundfunkgeräte aus DDR-Produktion erhielten Vogelnamen wie Dompfaff, Spatz und Zaunkönig. Meist waren es die Kofferradios, die nach Vögeln benannt wurden. Doch auch ein Insekt wie die Libelle flatterte auf das Gehäuse eines tragbaren Kleinradios. Leicht waren diese Geräte, und man konnte sie überallhin mitnehmen.
Ein besonderes Exemplar dieser Gattung war der Kolibri 2, im Volksmund „Ulbrichtvogel“ genannt. Er wurde 1954 gebaut und sollte klein und preiswert sein. Was der DDR-Führung aber noch wichtiger war: Der Kolibri sollte es ermöglichen, die Senderwahl der Hörer zu kontrollieren. Denn er kannte nur zwei Sender, die fest eingestellt waren. Der Hörer konnte über einen Schiebeschalter zwischen DDR 1 und DDR 2 wechseln. Dem Maxi- mum an Bedienungskomfort stand ein Minimum an Information entgegen. Nach dem Volksaufstand 1953 hatte der sowjetische Hohe Kommissar Wladimir S. Semjonow verlangt, ein Gerät wie den „Volksempfänger“ der Nazis zu bauen. Ulbricht griff die Forderung auf. Nur der Kunde war nicht begeistert. Das Gerät verkaufte sich nicht. In der Absatznot stieß der FDGB- Bundesvorstand Ende Dezember 1954 auf die rettende Idee, „Bestarbeiter und Aktivisten“ für ihre „guten Leistungen im sozialistischen Wettbewerb“ mit dem Kolibri 2 zu beehren und die Geldprämien entsprechend zu kürzen.[8] Auch die Volkssolidarität vertrieb das Modell und sorgte für Absatz. Daher hieß der „Ulbrichtvogel“ im Volk bald auch „Rentnerradio“.
Aber der Kolibri half so wenig wie Ochsen, Esel, Gänse, Hamster, Schlangen und Spinnen. Die DDR-Bürger waren bockig und fanden immer neue Wege, die Westsender zu empfangen. Technisch Versierten gelang es sogar, die Senderfesteinstellung beim Kolibri 2 auszuhebeln.
Die SED beanspruchte zwar die ganze Macht, aber die reichte nicht im Kampf gegen den Feindsender. Es nutzte auch nichts, Hörer und Zuschauer von Westsendungen propagandistisch zu bearbeiten, zu verfolgen und zu kriminalisieren. Nicht einmal Zuchthausstrafen schreckten ab. Das Beispiel der Mediennutzung in der DDR zeigt in beeindruckender Weise, wie informeller Druck von unten die Politik oben verändern konnte. In aller Öffentlichkeit gestand Erich Honecker auf der 9. Tagung des ZK der SED ein, dass die DDR-Bürger das Westfernsehen „jederzeit nach Belieben ein- oder ausschalten“[9] könnten.
... halten weder Ochs noch Esel auf. Mit diesem Bebel-Zitat beschwor der Generalsekretär im August 1989 das Fortbestehen der DDR als Naturnotwendigkeit. Unter den Menschen, die im Sommer der DDR den Rücken kehrten und später massenhaft für ihre Rechte auf die Straßen gingen, waren sicher auch jene Esel und Ochsen der Fünfziger- und Sechzigerjahre-Propaganda. Aber natürlich waren es nicht die westlichen Rund- funk- und Fernsehprogramme, die den SED-Sozialismus im Herbst 1989 ausbremsten. Es war auch nicht das Hören oder Sehen dieser Sendungen. Die eigen-sinnige Nutzung der Westmedien im Alltag jedoch – ob RIAS, ARD oder „bravo“ – hatte die SED-Führung herausgefordert und gezwungen, schon lange vor 1989 Zugeständnisse zu machen und Kompromisse einzugehen. Im Fall der DDR hat der Volksmund recht behalten: Ochs und Esel sind nun einmal störrischer Natur. Dagegen konnte selbst der Sozialismus nichts ausrichten.
1 Junge Welt vom 29. 8. 1961.
2 Vgl. Antenne auf West überträgt Bonner Pest. Ochsenkopforientierung für Erbauer des Sozialismus überflüssig, in: Volksstimme (Karl-Marx-Stadt) vom 26. 6. 1959, S. 4.
3 FDJ, Abt. Org.-Instrukteure/Agit/Prop, Presseinformation über Aktionen und erste Ergebnisse der Blitzaktion „Contra-NATO-Sender – wir richten die Antennen auf Frieden und Sozialismus“, Berlin, 7. 9. 1961, SAPMO-BArch DY 24/512.
4 Vgl. Operativplan zur Aktion „Enten“ vom 10. 2. 1955, BStU, ZA, DSt 102103.
5 Vgl. Die Wochenpost Nr. 25 vom 18. 6. 1955.
6 Vgl. z. B. Frischer Wind (1952) 3 und 7.
7 Vgl. Isabell Otto/Jens Ruchatz, Heilmittel gegen Äthergift. Konzepte der Medienwirkung, in: ders. (Hrsg.), Mediendiskurse deutsch/deutsch, Weimar 2005, S. 164.
8 Vgl. Rundbrief des FDGB-Bundesvorstandes an alle Zentral- und Bezirksvorstände des FDGB, 30. 12. 1954, SAPMO-BArch DY 34/16777.
9 Neues Deutschland vom 29. 5. 1973, S. 3.