Soldaten stehen in Formation
© Bundesstiftung Aufarbeitung, Jürgen Nagel, Bild 2186_034

Anlässlich des 1. Mai-Feiertages beschrieb das „Neue Deutschland“, das offizielle Organ der SED, den festlichen Umzug des Jahres 1987 mit folgenden Worten:

„Wie lebendig die revolutionären Traditionen in unserem Heute sind, wurde einmal mehr offenbar. Hunderte roter Banner mit den Bildnissen von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, von Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck waren inmitten des Marschblocks zu sehen. Eine Schalmeienkapelle in der Uniform des Roten Frontkämpferbundes ließ Erinnerungen an die standhafte Kommunistische Partei Deutschlands wach werden. Erich Honecker grüßte mit erhobener Faust. […] Zum Abschluss marschierten Hundertschaften der Kampfgruppen vorbei, demonstrierten ihre Bereitschaft, die sozialistischen Errungenschaften zu schützen.“ [1]

Was dieser Artikel in markigen Worten und kämpferischen Bildern, noch zu Zeiten von Gorbatschows  „Perestroika“, zum Ausdruck brachte – das Selbstverständnis eines klassenbewussten und kampfentschlossenen „Arbeiter- und Bauern-Staates“ –, sollte sich auf charakteristische Art und Weise in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse verkörpert finden. Diese bildeten jedes Jahr den Höhepunkt solcher „Kampfdemonstrationen“, wie die SED ihre propagandistischen Inszenierungen nannte.

Die Angehörigen der Kampfgruppen – im Volksmund „Kämpfer“ ge- nannt –, waren keine Soldaten, sondern gewöhnliche „Werktätige“, die zumeist in ihrer Freizeit das Vermächtnis und den revolutionären Geist der deutschen Arbeiterklasse bewahrten und fortführten. So wollte es zumindest die Propaganda in der „durchherrschten“ Gesellschaft.[2]

Präsentierte man die Kampfgruppen und ihre Angehörigen in der offiziellen Bild- und Plakatsprache der DDR stets stolz und kämpferisch, wurden sie in der alltäglichen Lebenswelt nicht selten belächelt oder verspottet: „Was ist grau, liegt im Gras und zittert – Die Kampfgruppe!“ So lautete ein Witz des ehemaligen Chemiefacharbeiters Herrn Peters, der von 1964 bis 1989 selber in den Kampfgruppen der Leuna-Werke gedient hatte.[3] Gerne erinnert er sich an diese Zeit, und seine Schilderungen sind geprägt von „Kalke“, von amüsanten Anekdoten. Politik spielt in seinen Erzählungen hingegen keine Rolle, ein Bezug auf die kämpferische Tradition, in die die Kampfgruppen offiziell gerückt wurden, sucht man bei ihm vergebens. Für Herrn Peters waren die Kampfgruppen „die Reserve der Armee“, und er wurde nicht müde, deren Disziplin und militärische Fertigkeiten zu preisen.

Kampfgruppen waren auf Geheiß der SED nach dem Aufstand des 17. Juni 1953 in allen Volkseigenen Betrieben (VEB) und Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), nach 1956 auch an den Universitäten gebildet worden. Ihr Auftrag, die Betriebe gegen „äußere und innere Feinde“ zu schützen, resultierte zum einen aus dem Trauma des unerwarteten Aufstandes. Zum anderen revitalisierte der „faschistische Putschversuch“ – wie die SED den 17. Juni 1953 auch bezeichnete –, klassisch leninistische Grundsätze, nach denen nur diejenige Revolution etwas wert sei, die sich auch zu verteidigen wisse. Vor diesem ideologischen Hintergrund verknüpfte sich der Auftrag der Kampfgruppen, die „sozialistischen Errungenschaften zu schützen“, mit den von der Propaganda beschworenen revolutionären Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung, als deren Vollendung sich die DDR gerne präsentierte. Reminiszenzen an den kommunistischen Roten Frontkämpferbund – wie auch an die nationalsozialistische SA –, kamen in der Anfangszeit der Kampfgruppen nicht von ungefähr, sondern boten den historischen Akteuren Horizont und Orientierungshilfe. Als Träger des „antifaschistischen Gründungsmythos“ (Herfried Münkler), der mit so viel Aufwand und Besessenheit zum Zweck der Legitimation der eigenen Herrschaft betrieben wurde, waren die Angehörigen der Kampfgruppen mit einem besonderen sozialen Status ausgezeichnet: Den Sozialismus selbst unter Einsatz des eigenen Lebens verteidigen zu wollen – wie die „Kämpfer“ öffentlich zu geloben hatten[4] –, gemahnte an das idealisierte und omnipräsente Vorbild antifaschistischer Helden. Wie sehr das Selbstverständnis der politischen Führung von einem kämpferischen Gestus geprägt war, kommt in zahllosen Verlautbarungen, Lebensberichten und Praktiken der kommunistischen „Avantgarde“ zum Ausdruck, wie auch das Zitat aus dem „Neuen Deutschland“ eingangs zeigt. Dieser Gestus verwies auf die biographische Erfahrung von illegalem Kampf, Verfolgung und politischem Exil, die für viele SED-Größen galt und ihnen bis zuletzt den Respekt zumindest zahlreicher Intellektueller eintrug. Zugleich gewährte er jenen, die sich bereit zeigten, ihrem Vorbild zu folgen, die Aufnahme in die gesellschaftliche „Avantgarde“. 

Verdiente „Kämpfer“ bezogen besondere Prämien und Auszeichnungen und seit den siebziger Jahren sogar eine Zusatzrente, die jedem zustand, der länger als zwanzig Jahre in den Kampfgruppen gedient hatte. In den Erinnerungen von Herrn Peters sind vor allem die Vorteile präsent, die ein Engagement als „Kämpfer“ mit sich brachte: eine eigene kleine Karriere – Herr Peters diente sich vom einfachen Kämpfer bis zum Zugführer hoch –, offizielle Anerkennung in Form von Auszeichnungen und immer wieder auch die Möglichkeit, materiell von seinem Engagement zu profitieren. Besuchte der Betriebsdirektor die Kampfgruppen-Ausbildung, konnte man stets ein paar Flaschen Schnaps oder auch einmal ein Schwein für den eigenen Manöverball herausschlagen, erinnert sich Herr Peters.

Als Repräsentanten des Regimes, aber auch aufgrund ihrer materiellen Privilegierung, hatten die Angehörigen der Kampfgruppen, entgegen aller propagandistischen Beteuerungen, keinen leichten Stand in ihren Betrieben. Zwar waren die lokalen SED-Betriebsparteiorganisationen für die Gewährleistung der Ausbildung verantwortlich. Aber sie hatten sich mit den betrieblichen Vorgesetzten der „Kämpfer“ zu einigen, und ein besonderes Interesse für die „militärpolitische Arbeit“, wie die Militarisierung der DDR-Gesellschaft im SED-Jargon hieß, hegten weder lokale Funktionäre noch betriebliche Leitungen.

Ursprünglich war geplant, die wöchentliche Ausbildung außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen. Scheiterte dies nicht zuletzt am Protest der Kampfgruppen-Angehörigen selbst, ging man Ende der fünfziger Jahre dazu über, die Ausbildung quartalsmäßig an Wochenenden abzuhalten. Aber auch so fehlten aufgrund von militärischen Schulungen in der Kampfgruppe tätige Betriebsangehörige immer wieder in der Produktion und zogen den Ärger ihrer Vorgesetzten und Kollegen auf sich.

Vollständiger Aufsatz

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In vielerlei Hinsicht waren die Kampfgruppen ein paradoxes Produkt: Sie verkörperten ein Politikverständnis, das auf den „latenten Bürgerkrieg“ (Hagen Schulze) in der Weimarer Republik verwies und eher den politischen Erfahrungen der Mächtigen entsprach als den zeitgemäßen Erwartungen ihrer kriegsmüden Bevölkerung. Gleichzeitig mussten die Kampfgruppen ihre Mit- glieder wohl oder übel auch aus jenen Werktätigen rekrutieren, die am 17. Juni 1953 gegen das Regime auf die Straße gegangen waren. Nun sollten sie diesen Staat auf einmal mit Gewalt verteidigen. Wie sehr diese Tatsache die SED beunruhigte, zeigt sich etwa darin, dass die Kampfgruppen nicht über eigene Waffen verfügten. Vielmehr mussten sie diese nach jeder Ausbildung wieder abgeben. Offiziell wurde die Maßnahme damit begründet, dass die Betriebe selbst nicht für eine sichere Unterbringung der Waffen sorgen könnten. Mehr noch scheint diese Maßnahme jedoch in einem traumatischen Misstrauen der Regierenden gewurzelt zu haben, das auch vor der eigenen „Parteimiliz“ nicht Halt machte. Gründe, der vielbeschworenen „Einheit von Partei und Klasse“ zu misstrauen, gab es genug: Zum einen rekrutierten sich die Kampfgruppen nicht ausschließlich aus loyalen SED-Mitgliedern, sondern zu konstant einem Drittel auch aus parteilosen „Werktätigen“. Zum anderen konnten der „Feind“im Falle einer Neuauflage des 17. Juni nur die Verwandten, Freunde und Kollegen der „Kämpfer“ sein – ein Dilemma, an dem die Kampfgruppen im Herbst 1989 schließlich auch zerbrachen. An der Nahtstelle von Militär und ziviler Gesellschaft angesiedelt, waren die Kampfgruppen, wie schon Herrn Peters’ Erinnerungen andeuten, auch ein Produkt der Erfahrungen und Erwartungen ihrer Angehörigen, des in- dividuellen „Mitmachens“ und der ihm zugrunde liegenden Motive. Im „real existierenden Sozialismus“ seit den siebziger Jahren waren das auch und vermehrt opportune Wünsche nach staatlicher Anerkennung und einem Auskommen auf der sicheren Seite der Gesellschaft. Wer in der Kampfgruppe diente, entging beispielsweise dem lästigen Reservistendienst, ein Vorteil vor allem für Familienväter und Ehemänner, die den Großteil der „Kämpfer“ stellten. Viele jedoch, die in den fünfziger Jahren den Kampfgruppen beitraten, hatten schon in der Weimarer Republik den verschiedensten Organisationen der Arbeiterbewegung angehört. Für sie gehörte der politische Kampf, den sie nicht selten als bewaffneten Kampf kennen gelernt und internalisiert hatten, zu ihrer eigenen Biographie. Manch alter „Kämpfer“ versprach sich – sehr zum Missfallen der verantwortlichen Ausbilder und Kommandeure – nun das Wiedereintauchen in die „Partisanenromantik“ (Jens Gieseke) von einst.

Das beeinflusste mithin auch die soziale Praxis in den Kampfgruppen. Die Instrukteure der Deutschen Volkspolizei (DVP), seit 1955 für die Anleitung und Überwachung der Ausbildung zuständig, kritisierten kontinuierlich das Ausmaß an mangelnder Disziplin in den Einheiten: „Kämpfer“ verweigerten das Exerzieren und beharrten bei der Ansprache auf dem kameradschaftlichen „Du“ anstelle militärischer Kommandos. Kommen hierin auch die Schwierigkeiten der SED, gesellschaftliche Praktiken nach ihren Vorstellungen zu formen – „die Mühen der Ebene“ hatte Bertolt Brecht sie genannt5 –, zum Ausdruck, verweisen Klagen über das sogenannte Phänomen der „Übungsideologie“ auf ein anderes, ähnlich gelagertes Problem: Dieser von den VP- Instrukteuren geprägte Begriff bezog sich darauf, dass viele „Kämpfer“ vor allem dann mit Begeisterung bei der Sache waren, wenn sich im Gelände die Gelegenheit ergab, „Cowboy und Indianer“ zu spielen.

Krieg zu „spielen“, aber nicht unbedingt Krieg zu „führen“, war sicherlich ein Motiv, sich den Kampfgruppen anzuschließen. Herrn Peters’ Erinnerungen rekapitulieren eine Lagerfeuerromantik, wie sie in der Form charakteristisch ist für männerbündische Gemeinschaft:6 Während der Ausbildung draußen im Gelände auf Stroh zu schlafen, sich und seinen Vorgesetzten kleine Streiche zu spielen, gleichzeitig aber vor keiner körperlichen Anstrengung zurückzuschrecken. Seine Begeisterung für alles Militärische mag auch in seiner eigenen Biographie begründet sein: Wegen eines Herzleidens war Herr Peters vom Militärdienst befreit worden. Gilt der Wehrdienst bis heute als klassisch männlicher „rite de passage“, eröffneten die Kampfgruppen Herr Peters die Möglichkeit, sich und seinen Kameraden zu beweisen, dass auch er in der Lage war, seinen Mann zu stehen.

Körperliche, mithin soldatische Bewährung bildete ein zentrales Element der Kampfgruppen-Ausbildung. Anfangs waren die „Kämpfer“ noch auf sich allein gestellt – nicht zuletzt auch aufgrund eines weit verbreiteten mangeln- den Interesses übergeordneter Dienststellen an der „militärpolitischen Arbeit“. 

Erst mit der Aufstellung von Kampfgruppen-Bataillonen im Jahre 1959 begannen Anspruch und Ausbildung sich zu professionalisieren. Geübt wurde seitdem auch mit schweren Waffen und in größeren Einheiten – mit dem Ziel, die Kampfgruppen zu einem integralen Bestandteil der „sozialistischen Landesverteidigung“ zu machen. Ihre erste Bewährungsprobe hatten die Kampfgruppen im „heißen Herbst“ des Jahres 1956 noch bestanden, als Berliner Studenten im Zuge des aufkeimenden „Tauwetters“ gegen die stalinistischen Strukturen protestierten. Im Spätsommer 1961 zeigte sich jedoch, dass sie keineswegs jene schlagkräftige „Armeereserve“ waren, als die sie die SED gerne präsentierte.

Der Nationale Verteidigungsrat (NVR), der die Absperrmaßnahmen koordinierte, die schließlich zum Bau der Berliner Mauer führten, konstatierte „ernste Mängel und Schwächen“ bei den im Einsatz befindlichen Kampfgruppen-Einheiten.[7] Und dennoch schafften es die Kampfgruppen mit ihrem einzigen wirklichen Einsatz bis in die Schulbücher der DDR. Das Foto einer „menschlichen Mauer“ aus Kampfgruppen-Angehörigen vor dem Brandenburger Tor, aufgenommen am 14. August 1961, geriet zum DDR-spezifischen Symbolbild des Mauerbaus.[8] Ohnehin diente der Einsatz von Kampfgruppen im Rahmen der Absperrmaßnahmen vornehmlich propagandistischen Absichten: Mit ihrer Hilfe strickte die SED an der Legende des „antifaschistischen Schutzwalles“, die den Bau der Berliner Mauer als eine friedensstiftende Verteidigungsmaßnahme gegenüber dem westlichen Imperialismus rechtfertigte. Aber diese in der Bevölkerung unpopuläre Maßnahme erschloss sich auch vielen „Kämpfern“ nur bedingt. So erschienen in der Nacht zum 13. August lediglich etwa ein Drittel aller zum Einsatz befohlenen „Kämpfer“. In ihren Betrieben sahen sich diejenigen, die tatsächlich Dienst schoben, nicht selten dem Spott und unverhohlenem Ärger ihrer Kollegen ausgesetzt – der Hauptgrund dafür, dass die Einheiten noch vor dem Beginn des eigentlichen Mauerbaus weitestgehend wieder abgezogen wurden.

Waren die fünfziger Jahre im Zeichen eines immer wieder hochkochen- den Kalten Krieges noch vom Postulat des Aufbaus mitsamt seinen Krisen und Ungewissheiten geprägt, schlich sich spätestens seit dem Mauerbau eine Spur von „Normalität“ in den realsozialistischen Alltag ein. Aufgrund umfassender sozialpolitischer Maßnahmen, die nun anstelle des kämpferischen Gestus Legitimation für das Regime produzieren sollten, wurde die Diktatur mehr und mehr zu einer scheinbar „heilen Welt“.[9] Auch wenn die Kampfgruppen an den Feiertagen der DDR weiterhin die ungebrochene Militanz einer revolutionären Bewegung verkörperten und seit den siebziger Jahren auch an militärischen Manövern des Warschauer Paktes teilnahmen, wurde ihr eigentlicher Auftrag immer unzeitgemäßer.

Das reflektieren auch die Erinnerungen von Herrn Fischer: Wenn der ehemalige KfZ-Mechaniker aus Halle von den Kampfgruppen spricht, kommt einem kaum in den Sinn, dass es sich dabei um einen militärischen Verband gehandelt hat. Zwar leugnet Herr Fischer nicht, dass die Kampfgruppen so etwas wie eine militärische Reserve waren, die im Konfliktfall wichtige Einrichtungen und Betriebe hätten „schützen oder besetzen“ sollen – sicher ist er sich inzwischen nicht mehr, welcher Begriff hier angemessen ist. Auf die Schießausbildung, die in den Schilderungen von Herrn Peters so viel Platz einnimmt, kommt er jedoch kaum zu sprechen. Das mag auch mit der Funktion zusammenhängen, die Herr Fischer in den Kampfgruppen innehatte: Von 1972 bis zu ihrer Auflösung bei den Kampfgruppen, hatte er in seiner Einheit den Posten eines sogenannten Politstellvertreters inne. Vergleichbar mit den politischen Kommissaren in sozialistischen Armeen, war er damit für die politische Linie innerhalb seiner Einheit verantwortlich, und von seiner Machtbefugnis her dem Kommandeur formal gleichgestellt. Herr Fischer wirkte als politischer Impulsgeber. In seinen eigenen Worten klingt das hingegen nach „hautnaher Beziehungsarbeit“ (Wolfgang Engler): Als Politstellvertreter sei er vor allem für die Organisierung und Durchführung der obligatorischen sozialistischen Wettbewerbe innerhalb seiner Einheit zuständig gewesen, habe den Kontakt gepflegt zu lokalen Komitees der Freien Deutschen Jugend (FDJ) oder Partnereinheiten der sowjetischen Streitkräfte, sicher auch mal einen Vortrag gehalten, aber das wird kaum thematisiert.

Herr Fischer, der sich selbst als ein „Kind der DDR“ bezeichnete, lässt Reichweite und Grenzen der staatssozialistischen Ideologie erkennen. Er hatte von seiner Jugend an alle Stufen der gesellschaftlichen Organisation – angefangen bei den Pionieren, über die FDJ bis hin zur SED – durchlaufen und fand das „eigentlich auch alles ganz richtig“. Seine Erinnerungen an die Kampfgruppe reflektieren die Überzeugung an ein ehedem antifaschistisches Weltbild und betonen die Verpflichtung, ein loyaler und klassenbewusster Kämpfer gewesen zu sein. 

Dennoch wären weder er noch Herr Peters bereit gewesen, im Herbst 1989 gegen die Demonstranten vorzugehen. Dies versichern sie zumindest 15 Jahre später. Als nun das eintrat, wofür die Kampfgruppen nach dem 17. Juni 1953 ursprünglich geschaffen wurden, griff die SED nur noch in begrenztem Umfang auf ihre „Parteimiliz“ zurück. Schon nach den ersten Einsätzen in Dresden, Berlin und Magdeburg häuften sich Bekundungen aus den Reihen der Kampfgruppen, nicht als „Knüppelgarde“ der SED herhalten zu wollen, und die Zahl der Austritte nahm rapide zu. „Dass man da wirklich mal gegen’s eigene Volk […] eingesetzt werden“ würde, wie Herr Fischer sagt, verweist auf den widersprüchlichen Charakter der Kampfgruppen. Schon zu DDR-Zeiten entwickelten ihre Angehörigen ein Gespür für den Zwiespalt konkurrierender Loyalitäten, die sich aus ihrer Verpflichtung ergaben – gegenüber der Partei, gegenüber der eigenen Einheit, aber auch gegenüber Freunden, Kollegen und Verwandten. Die zahllosen Verweigerungen von „Kämpfern“ im Herbst 1989 zeigen, dass sich letztendlich das Streben nach Ansehen und sozialer Anerkennung im Alltag als ausschlaggebend erwies.

Der Blick auf offizielle Verlautbarungen, wie sie im eingangs zitierten „Neuen Deutschland“ verbreitet wurden, würde nur die „Unwirklichkeit des Realen“ in der Diktatur reproduzieren. Erst im Alltag erweist sich, wie Herrschaft umgesetzt und angeeignet wurde. Im Hinblick auf die Frage nach dem Funktionieren und Versagen des SED-Regimes geraten deshalb Mischformen von „Mitmachen“ und „Verweigern“ in den Blick, die zeigen, wie sich individuelles Streben mit herrschaftlichen Machtansprüchen verband. Der „Kalke“, von dem Herr Peters nicht müde wurde zu erzählen, mag in dieser Hinsicht immer auch das Ziel gehabt haben, der Obrigkeit von Zeit zu Zeit ein Schnippchen zu schlagen, um sich auf diese Weise gewissermaßen seiner Selbstmächtigkeit zu vergewissern. Der Diktatur konnte solcher „Eigensinn“ kaum gefährlich werden. Im Gegenteil gewährleistete er eine im Hinblick auf die 40-jährige SED-Herrschaft durchaus stabilisierende Verknüpfung von individuellen Handlungsorientierungen und herrschaftlichen Zielsetzungen.[10] Äußerliche Anpassung konkurrierte mit innerer und musste immer wieder neu ausgehandelt und hergestellt werden.[11]

Der eingangs zitierte Witz beweist Gespür auch für dieses Dilemma, in das sich die SED-Herrschaft aufgrund ihres starren Festhaltens an bestimmten politischen Praktiken und Ritualen selber brachte. Diese hatten ihre Wurzeln in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, besaßen in den achtziger Jahren jedoch kaum noch politische Faszination oder gar Bewältigungskraft: „Was ist grau, liegt im Gras und zittert …“ Der Mythos einer starken, kampf- entschlossenen Arbeiterklasse, einst Instrument der Machterringung und Mobilisierung, hatte sich in ein bloßes Werkzeug der Machterhaltung verwandelt, das nunmehr vor allem „grau“ und „zitternd“ wirkte.

Quellen

[1] „Berlin an diesem 1. Mai“, in: Neues Deutschland vom 2./3. 5. 1987, S. 3.

[2] Der Begriff der „durchherrschten Gesellschaft“ geht zurück auf: Alf Lüdtke, Helden der Ar-
beit – Mühen beim Arbeiten. Zur mißmutigen Loyalität von Industriearbeitern in der DDR,
in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR,
Stuttgart 1994, S. 188–213.

[3] Alle im Folgenden angeführten Zitate entstammen zwei Zeitzeugen-Interviews mit ehe-
maligen Kampfgruppen-Angehörigen, die im Sommer 2006 vom Verfasser geführt und
transkribiert wurden; die Namen der Interviewten wurden anonymisiert; die Transkripte
befinden sich beim Verfasser.

[4] Der vollständige Text des Gelöbnisses, das 1959 in den Kampfgruppen eingeführt wurde,
lautete: „Ich bin bereit, als Kämpfer der Arbeiterklasse die Weisungen der Partei zu erfüllen,
die Deutsche Demokratische Republik, ihre sozialistischen Errungenschaften jederzeit mit
der Waffe in der Hand zu schützen und mein Leben für sie einzusetzen. Das gelobe ich.“
Zitiert nach: Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse der DDR, hrsg. von Erhard Gilgen,
Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden 1978, S. 39.

[5] Vgl. Alf Lüdtke, Alltag „in unserer Ebene“. Anfragen zu den Perspektiven auf die 1970er
und 1980er Jahre in der DDR, in: Renate Hürtgen/Thomas Reichel (Hrsg.), Der Schein der
Stabilität. DDR-Betriebsalltag in der Ära Honecker, Berlin 2001, S. 295–300, hier: S. 295 f.

[6] Vgl. Nicolaus Sombart, Männerbund und Politische Kultur in Deutschland, in: Joachim H.
Knoll/Julius H. Schoeps (Hrsg.), Typisch deutsch: Die Jugendbewegung. Beiträge zu einer
Phänomengeschichte, Opladen 1988, S. 155–176; Jürgen Reulecke, Das Jahr 1902 und die
Ursprünge der Männerbund-Ideologie in Deutschland, in: Gisela Völger/Karin von Welck
(Hrsg.), Männerbande – Männerbünde. Zur Rolle des Mannes im Kulturvergleich, Bd.1,
Köln 1990, S. 3–10.

[7] Zusammengefasster Bericht über den Stand der Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der
Arbeiterklasse und über die Erfahrungen des Einsatzes der Kampfgruppen zur Sicherung
des Friedens und zum Schutze der Grenzen, undat., SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/12/100,
Bl. 110.

[8] Elena Demke, „Sprung in die Freiheit“ versus „Menschliche Mauer“ – Foto-Ikonen
zum Mauerbau aus West und Ost. Anregungen zur Bildinterpretation im Geschichts-
unterricht, in: Der Mauerbau im DDR-Unterricht, S. 1–18, hier: S. 9; dies., Mauerfotos
in der DDR. Inszenierungen, Tabus, Kontexte, in: Karin Hartewig/Alf Lüdtke (Hrsg.),
Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat, Göttin-
gen 2004, S. 89–106.

[9] Vgl. Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–
1989, Bonn 1999.

[10] Vgl. Alf Lüdtke, Die DDR als Geschichte. Zur Geschichtsschreibung über die DDR, in: Aus
Politik und Zeitgeschichte, B36 (1998), S. 3–16, hier: S. 12; zum Begriff des „Eigensinns“
vgl. ders., Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in
den Faschismus, Hamburg 1993.

[11] Vgl. Wolfgang Engler, Die Unwirklichkeit des Realen, in: ders., Die zivilisatorische Lücke.
Versuche über den Staatssozialismus, Frankfurt a. M. 1992, S. 62–87, hier: S. 81.

Interview mit dem Autor

Tilmann Siebeneichner

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