Ein Mann fotografiert von einem Dach herunter
© Bundesstiftung Aufarbeitung, Klaus Mehner, Bild 88_0501_POL_Maidemo_18

In einer Novembernacht des Jahres 1955 war der West-Berliner Werner Reimer [1] auf der Autobahn in der Nähe von Kassel unterwegs, als er plötzlich von einem Mercedes von der Fahrbahn abgedrängt wurde. Ehe er sich von dem Schock erholen konnte, wurde seine Türscheibe eingeschlagen und die Fahrertür aufgerissen. Zwei Männer zerrten Reimer aus seinem Wagen, schlugen ihn mit Holzknüppeln nieder und schleppten ihn in den Fond des Mercedes. Dort drückte man ihn bäuchlings auf den Boden, einer der Angreifer setzte sich auf seinen Rücken und hielt ihm eine Pistole an den Kopf. Die geringste Bewegung Reimers wurde mit einem Fußtritt gegen seinen Kopf quittiert. Der Mercedes setzte sich in Richtung Kassel in Bewegung und stoppte nach einiger Zeit auf einem Autobahn-Parkplatz. Gefesselt und geknebelt wurde Reimer von seinen Angreifern in den Kofferraum des Mercedes verfrachtet. Als sich die Kofferraumklappe wieder öffnete, befand sich der Wagen in der Ost-Berliner Magdalenenstraße, Sitz einer Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Reimer war eines von mehreren hundert Entführungsopfern des Staatssicherheitsdienstes, die vor allem während der fünfziger Jahre in die DDR verschleppt wurden. Diese Gewalttaten waren mehr als eine Begleiterscheinung der nachrichtendienstlichen Auseinandersetzungen im Ost-West-Konflikt. Unter dem Deckmantel der Spionagebekämpfung verfolgte das SED-Regime seine tatsächlichen und vermeintlichen Gegner über die eigene Staatsgrenze hinaus: Im Visier standen Mitarbeiter gegnerischer Geheimdienste, aber auch Regimekritiker und DDR-Flüchtlinge – besonders, wenn sie vor ihrer Flucht selbst dem MfS, der Volkspolizei oder den Streitkräften angehört hatten. Zum großen Teil wurden sie mit Täuschungsmanövern, zum Teil aber auch unter Einsatz von Betäubungsmitteln oder gar körperlicher Gewalt in die DDR entführt. Dort wartete auf sie eine meist mehrjährige Haftstrafe, sodass sie erst nach Jahren in die Bundesrepublik oder nach West-Berlin zurückkehren konnten. Für einige sollte es nie eine Heimkehr geben: Sie wurden in der DDR zum Tode verurteilt und hingerichtet. Im Fall Werner Reimer verhängte das Bezirksgericht Frankfurt (Oder) im Juni 1956 eine Zuchthausstrafe von 15 Jahren wegen Spionage. Nach neun Jahren Haft in der Strafvollzugsanstalt Bautzen II wurde Reimer 1964 im Rahmen der ersten Häftlingsfreikäufe in die Bundesrepublik entlassen.

Für diese besonderen Einsätze im Westen bediente sich das MfS mitunter speziellen Personals, das in ihren Augen die nötige Skrupellosigkeit, Kaltblütigkeit und Gewaltbereitschaft mitbrachte: Kriminelle aus West-Berlin. Einer von ihnen war der Geheime Mitarbeiter (GM) Hans Wax, Deckname „Donner“.

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Der 1927 geborene Hans Wax war gelernter Kfz-Mechaniker, verdiente seinen Lebensunterhalt in der Nachkriegszeit aber auch mit kriminellen Machenschaften. Im geteilten Berlin verübte er Einbrüche und beteiligte sich in großem Maße am Schwarzmarkthandel sowie an Ost-West-Schiebereien (vor allem mit Strümpfen und Kaffee). Gewalttaten scheute er dabei nicht. Bei einem größeren Einbruch wurde er 1948 verhaftet, weil ihn ein Komplize verraten hatte. Wax wurde zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und nach drei Jahren aufgrund guter Führung entlassen.

Nach seiner Haftentlassung leitete Wax einen Kfz-Betrieb in West-Berlin, war aber kontinuierlich in Schiebereien, Autodiebstähle und Einbrüche verstrickt. Ständig bewegte er sich im kriminellen Milieu Berlins und kam auf diese Weise 1954 mit dem MfS in Kontakt. Ein Bekannter aus seinem kriminellen Umfeld beauftragte Wax, einen der größten Ost-West-Schieber der damaligen Zeit nach West-Berlin zu verschleppen, um sich an diesem zu rächen. Wax ging scheinbar auf den Auftrag ein. Zugleich wandte er sich aber an den Schieber, den er persönlich kannte, und an einen anderen Bekannten aus der kriminellen Szene – beide arbeiteten als GM für die DDR-Staatssicherheit. Die Konsequenz war eine Entführung in umgekehrter Richtung: Statt den Schieber nach West-Berlin zu bringen, entführte Wax seinen Auftraggeber nach Ost-Berlin. 

Dort erhielt dieser – selbst Opfer einer Verschleppung – eine Zuchthausstrafe von zwei Jahren wegen Anstiftung zu einer Entführung. Durch diese Aktion weckte Wax das Interesse des MfS. Nach einer Überprüfung seiner Person schätzte man Wax als „ohne weiteres für eine Zusammenarbeit geeignet“ ein und konstatierte: „Sein besonderer Wert liegt darin, dass Hanne [Hans Wax] für Sonderaktionen eingesetzt werden kann.“ Er zeige „Kaltblütigkeit, Mut und Ausdauer, was man selten findet.“[2] Angeworben als GM unter dem Decknamen „Donner“, bewährte er sich tatsächlich bei diversen „Sonderaktionen“ im „Operationsgebiet“ (West-Berlin und Bundesrepublik), sodass er nach kurzer Zeit zum Leiter einer Operativgruppe avancierte. Zu dieser Einsatzgruppe gehörten zwei weitere GM: „Blitz“ und „Teddy“. „Blitz“ war ebenfalls stark ins kriminelle Milieu des geteilten Berlin verstrickt – für das MfS ein „operativ interessantes Merkmal“: Er „verkehrt ausschließlich in Kreisen der Westberliner Unterwelt und kennt dort eine große Anzahl asozialer und kriminell veranlagter Personen.“[3]

Alle drei GM ließen sich vor allem aus finanziellem Interesse vom DDR-Staatssicherheitsdienst anheuern. Aber auch ihr Geltungsbedürfnis, ihre Vorliebe für kriminelle Aktionen und das Gefühl von Macht dürften eine Rolle gespielt haben. Die politische Überzeugung scheint hingegen nicht ausschlaggebend gewesen zu sein. Zwar brachte „Donner“ gegenüber dem MfS wiederholt seine sozialistische Einstellung zum Ausdruck, seine gesamte Verhaltensweise erweckt jedoch den Eindruck, dass es sich dabei nur um Lippenbekenntnisse handelte.

„Donners“ Autowerkstatt in West-Berlin war eine ideale Tarnung, da sie zugleich gute Möglichkeiten zur „operativen Arbeit“ bot. So baute er dort einen Mercedes zu einem Spezialwagen um, der mit schusssicheren Reifen sowie einem großen, schalldichten und gut verschließbaren Kofferraum ausgestattet war. Dieser Wagen kam bei der Entführung von Werner Reimer zum ersten Mal zum Einsatz.

Mit diesem Titel überschrieb der West-Berliner „Tagesspiegel“ am 26. November 1955 einen Artikel über Werner Reimer. Der „Telegraf “ titelte „Trat er nach Ostberlin über? Agent verschwand“ und auch in der „Süddeutschen Zeitung“ rätselte man, ob er übergelaufen oder entführt worden sei. Für die „Welt am Sonntag“ war die Angelegenheit hingegen klar: „Alarm: Neuer Menschenraub“.[4] Aus der bundesrepublikanischen Presse war zu erfahren, dass es sich bei Reimer um einen Mitarbeiter des dänischen Geheimdienstes handele. Aufgrund seines mysteriösen Verschwindens war man sich in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit aber nicht sicher, ob Reimer verschleppt worden oder in die DDR übergelaufen war. Dieses Verwirrspiel entsprach der Strategie der DDR-Staatssicherheit.

Werner Reimer war als Mitarbeiter des dänischen Geheimdienstes im Sommer 1952 ins Visier des MfS geraten. Mehrere Geheime Informatoren (GI) und Geheime Mitarbeiter (GM) wurden auf ihn angesetzt, deren Erkundungen auf seine Festnahme oder Abwerbung zielten. Unter ihnen befand sich der GM „Herbert“, der als Doppelagent für den englischen Geheimdienst und für das MfS arbeitete. Er baute zu Reimer Kontakt auf, gewann sein Vertrauen und gab zugleich kontinuierlich Informationen über ihn an den DDR-Staatssicherheitsdienst weiter. Auf diesem Weg erfuhr dieser, dass Reimer mithilfe einiger Agenten Informationen über militärische Einheiten und Einrichtungen in Mecklenburg und in Polen sammelte. Dass man bei der Auswertung die Tragweite und Bedeutung der Spionagetätigkeit Reimers weit überschätzt hatte, erkannte das MfS erst in seinen späteren Vernehmungen. Die gewonnenen Eindrücke ließen eine Abwerbung Reimers sehr fraglich erscheinen, sodass man sich im Staatssicherheitsapparat auf eine andere Maßnahme konzentrierte: die „Ziehung“ des Werner Reimer. Detailliert planten die verantwortlichen MfS-Mitarbeiter seit September 1955 seine Verschleppung, bei der die Gruppe „Donner“ zum Einsatz kommen sollte. Grundlage des Entführungsplanes war eine Reise Reimers in die Bundesrepublik in Begleitung des GM „Herbert“, um dort in einem Flüchtlingslager Informationen zu gewinnen. Bei dieser Gelegenheit sollte „Donner“ mit seinen Komplizen den dänischen Geheimdienstler überfallen. Doch Reimer agierte stets sehr vorsichtig und ließ sich vor dem Flüchtlingslager nicht wie geplant aus seinem Wagen locken. In dieser Situation zeigte „Donner“ die Kaltblütigkeit und Ausdauer, die das MfS gelobt hatte: Auf seine Initiative kam es zum Showdown auf der Autobahn in der Nähe von Kassel. Seine Einsatzgruppe entschied sich, Reimers Wagen mit nach Ost-Berlin zu nehmen, um den Eindruck entstehen zu lassen, dass er auf normalem Weg in die DDR eingereist sei. Zumal der Wagen durch den Überfall so beschädigt worden war, dass er Verdacht erregt hätte.

Diese Strategie ging kurzzeitig auf, die bundesrepublikanische Öffentlichkeit war anfangs tatsächlich angesichts des mysteriösen Verschwindens des Geheimagenten Reimer verunsichert. Im Laufe der Untersuchungen der bundesrepublikanischen Ermittlungsbehörden bestätigte sich jedoch schnell die Vermutung, dass Reimer entführt worden war. Dabei rückte auch der ebenfalls verschwundene GM „Herbert“ ins Visier der Ermittler, die seine Doppelagententätigkeit entlarvten. Eine in der DDR lancierte Presseerklärung, dass Reimer und „Herbert“ auf dem Gebiet der DDR von Verkehrspolizisten kontrolliert und wegen Waffenbesitzes festgenommen worden seien, konnte daran nichts mehr ändern. Denn im Westen war man sich bereits sicher, dass es sich um eine Verschleppung handelte, an der „Herbert“ beteiligt gewesen war. Doch ließen sich die Geschehnisse der Novembernacht nicht vollständig rekonstruieren. So blieb auch der GM „Donner“ unerkannt und damit weiterhin als Stasi-Agent einsetzbar.

In den Augen des MfS war der GM „Donner“ weniger ein „Ermittler und Beobachter“ als ein Mann „nur für heiße Maßnahmen“.[5] „Donners“ Deckname wurde zum Programm – der Staatssicherheitsdienst betraute seinen GM mit weiteren brisanten Spezialaufträgen in der Bundesrepublik: 1956 war er an dem Raub einer Agentenkartei aus einer Dienststelle des amerikanischen Geheimdienstes in Würzburg beteiligt und verübte 1958 einen Sprengstoffanschlag auf den Rundfunksender einer russischen Emigrantenorganisation. Und immer wieder setzte das MfS ihn auf Menschen an, die verschleppt werden sollten, wie beispielsweise der Exilrusse Gottlieb Bergmann. Als hauptamtlicher Mitarbeiter der ZOPE, der Zentralen Organisation Politischer Emigranten aus der UdSSR, stand Bergmann im Visier der DDR-Staatssicherheit. Arglos stieg er 1956 in West-Berlin nach einem Lokalbesuch in ein bereitstehendes Taxi. Bei den vermeintlichen Taxifahrern handelte es sich jedoch um die GM „Donner“ und „Blitz“, die Bergmann von hinten niederschlugen und ihn in der Untersuchungshaftanstalt des MfS in Ost-Berlin ablieferten. Für diesen Einsatz – wie auch im Fall Werner Reimer – prämierte der Staatssicherheitsdienst seinen GM „Donner“ mit 7000 Mark-West. Bergmann wurde 1958 vor dem Bezirksgericht Frankfurt (Oder) wegen Spionage zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt und kehrte 1964 nach sechs Jahren Haft in die Bundesrepublik zurück.

Im Jahr 1962 sollte „Donner“ einen geflohenen MfS-Offizier aus der Bundesrepublik „zurückholen“; er teilte seinem Führungsoffizier mit: „Ferner habe ich die Sache in Ha[ßmers]heim so weit, dass anschließend der ‚Import‘ dieses Herrn sofort durchgeführt werden kann.“[6] Bei dieser Aktion sollte ein
GM als Lockvogel das spätere Entführungsopfer (nach übermäßigem Alkoholkonsum) zu einer Eisenbahnbrücke auf der Strecke Heidelberg – Neckarsulm bringen, um ihn dort an die GM „Donner“ und „Teddy“ zum weiteren Transport in die DDR zu übergeben. Der Lockvogel erschien zum vereinbarten Zeitpunkt allerdings alleine an der Eisenbahnbrücke. Im alkoholisierten Zustand hatten sie einen schweren Autounfall gehabt, bei dem der zu entführende MfS-Überläufer so schwere Verletzungen erlitten hatte, dass er ins Krankenhaus gebracht werden musste. Nach Rücksprache mit seinem Führungsoffizier machte sich „Donner“ mit beiden Komplizen am nächsten Tag wieder auf den Weg nach Neckarsulm, um den flüchtigen MfS-Offizier aus dem dortigen Krankenhaus zu entführen. Unter dem Vorwand, der Verletzte müsse noch Angaben zum Unfallhergang bei der Versicherung machen, lockten sie ihn aus dem Krankenhaus zu „Donner“, der in seinem Mercedes saß und sich als Versicherungsvertreter vorstellte. Damit befand sich das Opfer in der Falle. Kaum waren alle Türen geschlossen, eröffnete ihm „Donner“, dass er im Auftrag der Staatssicherheit verhaftet sei – für den gutgläubigen Offizier gab es kein Entrinnen mehr. Eine Flucht war angesichts der nur von außen zu öffnenden Türen und „Donners“ gezogener Pistole unmöglich. Auch ihn verfrachtete „Donner“ später in seinen speziell präparierten Kofferraum, um ihn über die innerdeutsche Grenze zu bringen. 

Zwei Jahre danach wurde „Donner“ auf einen anderen geflohenen MfS-Mitarbeiter angesetzt. Als er im Januar 1964 seine Vorbereitungen abgeschlossen hatte, war die Staatssicherheit inzwischen von dem Plan einer Entführung abgewichen: „Bedingt durch das starke Körpergewicht des […] und andere für eine Rückführung des Verräters ungünstige Faktoren wird vorgeschlagen, die für ihn vorgesehene Strafe unmittelbar an seinem jetzigen Wohnort zu vollziehen und ihn physisch zu vernichten.“[7] Einen entsprechenden Mordplan entwickelte der GM „Donner“: Er wollte einen Sprengsatz an das Moped des Opfers anbringen, der beim Starten durch den Zündfunken zur Explosion gebracht werden sollte. „Donner“ resümierte: „[…] und die Vernichtung ist garantiert.“[8] Der Plan wurde jedoch nicht ausgeführt. Vermutlich fürchtete man in führenden MfS-Kreisen die Aufdeckung des Mordes und den damit verbundenen politischen Skandal.

„Donners“ Aufträge führten ihn kreuz und quer durch die Bundesrepublik: Hamburg, München, Bad Godesberg, Nürnberg, Frankfurt am Main. Stets spähte er Objekte aus, beobachtete bestimmte Personen und suchte unauffällige Orte, die sich für Entführungen eigneten. Oft blieb es nur bei den Vorbereitungen, auch weil „Donner“ mitunter die Durchführung verweigerte, wenn sie ihm als zu risikoreich erschien: „Er [„Donner“] verwies wiederum auf das Risiko, welches er bei solchen Aktionen eingeht, dass es ihm lieber wäre, diese Person an Ort und Stelle unschädlich zu machen, als mit einer Person im Pkw durch Westdeutschland in Richtung Grenze zu fahren.“[9] Grundsätzlich war „Donner“ in seiner Skrupellosigkeit zu allem bereit. Mit diesem Wissen plante das MfS den Einsatz des GM „Donner“ bei zwei Mordanschlägen, die aber letztlich nicht zur Durchführung kamen. Der Staatssicherheitsapparat honorierte seine Tätigkeit zwischen 1955 und 1963 mit insgesamt rund 290 000 West-Mark – ein sehr hoher Agentenlohn im Vergleich zu anderen IM. Im Laufe der sechziger Jahre wurden die Aufträge im „Operationsgebiet“ für „Donner“ jedoch immer seltener. Stattdessen nutzte man seine handwerklichen Fähigkeiten und beauftragte ihn mit der Instandhaltung und Verbesserung von technischen Hilfsmitteln für „operative“ Zwecke, vor allem mit Spezialfahrzeugen des MfS. Aber auch die Zahl dieser Aufträge nahm ab, „Donner“ wurde schrittweise aus dem geheimdienstlichen Milieu des MfS gedrängt, ohne dass er es wollte. Im Gegenteil, mehrmals bat er um neue Aufträge im Westen und reagierte auf seine „Stilllegung“ mit großem Unverständnis, Enttäuschung und Wut.

Bereits im Juli 1961 hatte das MfS für die Übersiedlung des GM „Donner“ nach Ost-Berlin gesorgt, da man glaubte, die bundesdeutschen Stellen und feindlichen Geheimdienste seien ihm auf der Spur. Zudem hatte er sich im Westen mit seinem (Tarn-) Betrieb hoch verschuldet. Seine Art zu wirtschaften rief jedoch auch in der DDR Probleme hervor: Im Laufe der Zeit baute „Donner“ mit Unterstützung des MfS mehrere Privatbetriebe auf, doch seine wirtschaftlichen Eigenmächtigkeiten, Verstöße gegen staatliche Normen und Verschuldungen führten immer wieder zu zwangsweisen Schließungen bzw. Verstaatlichungen dieser Betriebe. Warum ließ man ihn immer wieder gewähren, verschaffte ihm wiederholt Genehmigungen und entzog sie ihm dann wieder? Zum einen hatte das MfS ein wirtschaftliches Interesse: Man war sich der Qualität seiner technischen Begabung und seines Ehrgeizes bewusst und wollte diese Eigenschaften nutzen. Seine wiederholten Verstöße gegen die Rechtsordnung versuchte man durch die Enteignungen und Bestrafungen in den Griff zu bekommen. Zum anderen war diese Vorgehensweise das Resultat seiner IM-Tätigkeit. Der Staatssicherheitsdienst hatte „Donners“ kriminelle Energie und skrupellose Gewaltbereitschaft für die eigenen Zwecke instrumentalisiert. Seine Neigung zur Kriminalität, sein Fanatismus und vor allem sein Insiderwissen bargen nun ein großes Gefahrenpotenzial, das durch diese Maßnahmen reduziert werden sollte. Aber so leicht ließ sich „Donner“ nicht ruhig stellen.

Das MfS registrierte zwar seine kriminellen Machenschaften – wie den illegalen Handel mit Westautos und anderen Westwaren –, beließ es aber bei Ermahnungen. Wahrscheinlich auch deshalb weil einige MfS-Führungskräfte zu den Nutznießern gehörten. Als „Donner“ jedoch Anfang der siebziger Jahre versuchte, den Staatssicherheitsdienst direkt zu betrügen, leitete man ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. „Donner“ hatte dem MfS einen Computer der israelischen Streitkräfte zum Kauf angeboten, der allerdings nur Schrottwert besaß, wie sich später herausstellte. Verurteilt zu zwei Jahren und zehn Monaten Freiheitsentzug verbrachte „Donner“ zwei Jahre Haft in den MfS-Haftanstalten Hohenschönhausen und Bautzen II. Doch auch nach seiner Haftentlassung zeigte er keine Neigung, sich als braver Staatsbürger zu verhalten.

Permanente Verschuldung, kriminelle Machenschaften, umfangreiche Kenntnisse über den Staatssicherheitsapparat, dessen Methoden und auch über diverse Korruptionsfälle innerhalb des MfS – „Donner“ wurde nicht nur zu einem großen Sicherheitsrisiko, sondern auch zu einer Last. Der Ausnahmeagent erforderte eine intensive (nicht nur finanzielle[10]) Betreuung und permanente Kontrolle durch das MfS. Den Geist, den es gerufen hatte, wurde das MfS erst mit „Donners“ Tod im Jahre 1984 wieder los.

Quellen

[1] Die Namen der im Beitrag genannten Opfer wurden geändert.

[2] Zitate stammen aus: Auskunftsbericht, 25. 11. 1955, BStU, MfS, AIM 11599/85, Bd. I/4,
Bl. 19 f., hier Bl. 20.

[3] Auskunftsbericht, 5. 7. 1974, BStU, MfS, AIM 13912/79, Bd. I/1, Bl. 239–247, hier Bl. 242.r im Beitrag genannten Opfer wurden geändert.

[4] Vgl. Tagesspiegel vom 26. 11. 1955, Telegraf vom 26. 11. 1955, Süddeutsche Zeitung vom 27. 11. 1955 und Welt am Sonntag vom 27. 11. 1955.

[5] Bericht, 9. 10. 1956, BStU, MfS, AIM 11599/85, Bd. II/1, Bl. 125

[6] Bericht des GM „Donner“, ebenda, Bd. II/2, Bl. 163 f., hier Bl. 163.

[7] Zitiert nach Klaus Bästlein, Der Fall Mielke. Die Ermittlungen gegen den Minister für Staatssicherheit der DDR, Baden-Baden 2002, S. 279.

[8] Bericht des GM „Donner“, o. D., BStU, MfS, AIM 11599/85, Bd. II/8, Bl. 114 f., hier Bl. 115.

[9] Treffbericht, 12. 11. 1959, ebenda, Bd. II/2, Bl. 139 ff., hier Bl. 140

[10] Zwischen 1961 und 1980 erhielt er laut Aufstellung des MfS rund 74 000 West-Mark für die „Durchführung operativer Aufträge“ und ca. 570 000 MDN als Zuwendungen, Gehalt etc. Vgl. Auskunftsbericht, 11. 6. 1980, ebenda, Bd. I/3, Bl. 153–187, hier Bl. 180

Interview mit der Autorin

Susanne Muhle

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