Preisgabe intimer Details, Durchleuchtung der Privatsphäre anderer, Denunziation von christlichen Jugendlichen, weitergeleitete Protokolle über vertrauliche Gespräche, Bewertung der Mitmenschen nach real-sozialistischen Maßgaben, Verrat, Erpressung – der Inhalt einer der unzähligen Stasi-Akten? Keineswegs: Hier handelt es sich um die Informationsberichte der ostdeutschen CDU. Da die SED der Christdemokratischen Partei die Rolle zugedacht hatte, die christlichen Bürger an das System zu binden, fühlten sich die Funktionäre der Blockpartei verpflichtet, in ihren Berichten diese Klientel besonders in den Blick zu nehmen. Ein Gegenstand des christdemokratischen Interesses war die protestantische Freikirche der Herrnhuter Brüdergemeine, von deren Mitgliedern etliche der CDU angehörten und die zur CDU-Spitze gute Beziehungen unterhielt. Die Informationen landeten stets an der richtigen Stelle, egal ob bei der Bezirksverwaltung in Dresden oder bei der SED-Abteilung für Kirchenfragen im Zentralkomitee in Berlin.[1] Die Christdemokraten waren freilich nur ein kleines Rad im SED-Staat, dessen wucherndes Berichtswesen das Leben der Bürgerinnen und Bürger mit vielen feinen Fäden durchzog.
Neben der allgegenwärtigen Überwachung gab es eine weitere Kommunikationsform der Obrigkeit mit den Bürgerinnen und Bürgern: ein Aushandlungsprinzip, bei dem sich die DDR-Oberen auch des Wissens bedienten, das sie aus dem Berichtswesen schöpften. Diese beiden Verständigungsmetahoden – Überwachen und Aushandeln – trugen dazu bei, dass es in der DDR kaum eine Sphäre gab, in die man sich dem staatlichen Zugriff entziehen konnte. Die Herrnhuter Brüdergemeine, eine pietistische Gründung des frühen 18. Jahrhunderts mit weltweiter Verbreitung und Ursprungsort Herrnhut in Sachsen, eignet sich besonders gut, die totale Wirkung der beiden Kommunikationsformen deutlich zu machen. Denn Überwachung und Aushandlungsprozesse durchdrangen selbst das abgeschottete Milieu der frommen Kleinstadt Herrnhut in der Oberlausitz, in dem eine Jugendweihe bis zuletzt anrüchig blieb.
Nicht nur die CDU, auch die anderen Blockparteien, Massenorganisationen, Betriebe oder Verwaltung, Kirchen- und sonstige Referate in den Ämtern und natürlich die SED selbst: Alle verfassten auf verschiedenen Ebenen eine Flut an Berichten, in denen häufig auf Verdächtiges hingewiesen wurde, das an die nächste Instanz und bei Bedarf an beliebig viele andere Stellen weiter gemeldet wurde. Von den fünfziger Jahren bis Ende 1989 arbeitete die Rapport-Maschinerie und gehörte damit zu den Konstanten der SED-Diktatur. Wie das Beispiel der ländlichen Umgebung Herrnhuts in Sachsen zeigt, konnte der SED-Staat hier auf eine Denunziationspraxis zurückgreifen, die bereits im NS-Staat weit verbreitet gewesen war. Während sich das Ministerium für Staatssicherheit eher auf die dezidierten „Republikfeinde“ konzentrierte, ermöglichte das allgemeine Berichtswesen dem Staat, auch über die Mehrheit der angepassten Bevölkerung die Übersicht zu behalten. Diese Observation hatte den Vorteil, dass hier jeder jederzeit jeden denunzieren konnte, ohne wie beim MfS zuvor irgendeine Verpflichtung eingehen zu müssen. Und während die Staatssicherheit stets ungeliebt blieb, hielt die Bevölkerung diese Berichte für legitim. Sie gehörten zum offiziellen Verwaltungsrepertoire wie die Zensur, die Reisebeschränkungen, die zentral gelenkte Ausbildungsplatz- und Wohnungsvergabe oder die Meldepflicht ausländischer Gäste.
Obwohl die Berichte der Staatssicherheit über die Herrnhuter meist nur belanglose Informationen enthielten, und sich in der Brüdergemeine nach Aktenlage unter den rund 5000 Mitgliedern in der DDR nur wenige zum Spitzeldienst für das MfS bereit fanden, war die sozialistische Obrigkeit bestens über die Brüdergemeine informiert. Statt von der Staatssicherheit schöpften die zuständigen Instanzen – die Bezirksverwaltung in Dresden und das Staatssekretariat für Kirchenfragen in Berlin – ihr Wissen vor allem aus den „Informationsberichten“ des Kreises. Der Bezirk wusste dank dieser Meldungen über die Brüdergemeine wesentlich besser Bescheid als die Staatssicherheit, zumal Bezirks- und Kreisfunktionäre vor dem Schutz der Privatsphäre ebenso wenig Respekt hatten wie MfS-Mitarbeiter. Es gab nichts, was in den Berichten einem Tabu unterlegen hätte: die Gottesdienste in den Dorfkirchen, der Fortschritt der Entkirchlichung im Kreis, Äußerungen der Pfarrer und Denunziationen, potenzielle Wehrdienstverweigerer, Bildungswege der Pfarrkinder, Tischgebet
einer Schülerin in der Schulmensa, der Literaturbestand in den Wohnzimmern der Christen, die Hobbys der Pfarrfrauen etc. Neben den Rapporten der CDU komplettierten Mitteilungen der Volkspolizei das Berichtswesen über die Freikirche. Dabei kamen selbst Schulhofprügeleien und Teenager-Flirts ins Visier.
1956 etwa informierte die Polizei in gewohnt schlechtem Amts-Deutsch: „In Herrnhut schlagen sich die Kinder in der Schule wegen dem Religionsunterricht, und in Cunewalde kam dies bei der Schlittenfahrt vor, da die Religionslehrer den Kindern gesagt haben, sie sollen alle Kinder dazu zwingen“. Die Dresdener Volkspolizei meldete, in Herrnhut werde ein Zettel folgenden Inhalts verteilt: „Auf dem Hutberg [beliebtes Ausflugsziel in Herrnhut] man schöne Mädchen sieht“. Bei den Dresdner Behörden der Bezirksverwaltung lag neben diesen Berichten alles, was der Überwachung oder Erpressung dienlich war: persönliche Informationen, Anschwärzungen, Anweisungen an Schuldirektoren für das Abstrafen christlicher Schüler und immer wieder Daten über das Verhalten der Pfarrer bei Wahlen. Das Staatssekretariat in Berlin erhielt wie die Arbeitsgruppe für Kirchenfragen des ZK in Berlin monatliche Berichte und Jahreseinschätzungen von den Kirchenreferaten der Bezirksverwaltungen. So landeten auch in dieser Behörde vertrauliche Materialien aller Art.
Doch die Berichte waren keine Einbahnstraße. Sie bezogen die Bürger in vielfältiger Weise ein. Staatsnahe Theologen ergänzten in der ganzen Republik Observationsrapporte ohne den Umweg über das MfS mit Denunziationen ihrer Kollegen. Es war ein Geben und Nehmen. Bürger nutzten das Berichtswesen sogar, um Drohungen nach oben weiterzuleiten: So forderte etwa der Herrnhuter Bürgermeister 1954 materielle Unterstützung für seine Stadt mit einem Verweis auf drohende Schwierigkeiten bei den Volkskammerwahlen am Ort. Da die Berichte auch von den Klagen der Einwohner erzählten, informierten sie (ähnlich wie in anderen Diktaturen) die Machthaber über Probleme, von denen die Obrigkeit mangels Öffentlichkeit sonst nichts erfahren konnte. Der Herrnhuter Bischof gab regelmäßig seinen Protest gegen die Diskriminierung christlicher Jugendlicher oder seinen Spott über die „marxistische Wissenschaft“ zu Protokoll. 1970 hieß es in einem Überwachungsbericht der Bezirksverwaltung, die Dresdner Pfarrer hätten erklärt, ohne sie „würde der Staatsapparat ja von überhaupt niemandem die wahre Meinung der Bevölkerung erfahren.“
Eine Funktion der Observationsberichte war es, Erpressungsmaterial für die Gespräche und Aushandlungsprozesse zu liefern, die neben den Berichten ein weiteres zentrales Moment in der Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft waren. Da es häufig keine rechtsstaatlichen Verfahren gab (egal ob für die Einfuhr von Literatur, den Besuch der sterbenden Mutter im Westen oder die Zulassung zur Oberschule), musste vieles verhandelt werden. Wenn sich der SED-Staat dann gnädig erwies, hatten die Bürger das mindestens mit Konformität zu bezahlen. Die Aushandlungspraxis überzog den Alltag mit einem Schleier rechtlicher Unsicherheit, brachte die Bürger in Abhängigkeit vom Staat und stärkte die emotionale Bindung. Ein Pfund, das die Bürger ins Geschacher einbringen konnten, waren Informationen über andere. So erwartete 1973 die Kreisverwaltung von einem Herrnhuter „Auskünfte“ als Gegenleistung für einen Urlaubsplatz in Ungarn.[2] Bereits Anfang der fünfziger Jahre verzichtete die Brüdergemeine darauf, einen Rechtsanwalt für ihre Belange zu engagieren. Rechtsnormen spielten kaum noch eine Rolle, und besondere juristische Kenntnisse waren überflüssig geworden. Führende Mitglieder übernahmen daher die Verhandlungen mit dem Staat selbst.
Beispielhaft für den Aushandlungsprozess einer Kirche mit dem SED-Staat waren die Abmachungen rund um die 250-Jahrfeier Herrnhuts im Jahr 1972. Die Brüdergemeine hatte hier eine gute Ausgangsposition für Verhandlungen, da die weltweit auf rund 330 000 Mitglieder angewachsene Brüdergemeine und die ökumenische Welt in diesem Jahr auf Herrnhut blicken würden. Die Behörden des SED-Staats, der immer noch um seine diplomatische Anerkennung im Ausland rang, waren sich dessen sehr wohl bewusst, denn zahlreiche Observationsberichte hatten sie auf die internationale Bedeutung der Freikirche aufmerksam gemacht. Die zuständigen Funktionäre wussten, dass sie zu außerordentlichen Zugeständnissen bereit sein mussten.
Grundsätzlich aber müsse, wie die Bezirksverwaltung erklärte, „Klarheit darüber geschaffen werden, dass eine Stadt in der sozialistischen DDR Jubiläum feiert und im Grunde keine kirchliche Berechtigung besteht, Feiern abzuhalten“ – um damit „die großzügige staatliche Entscheidung bei kirchlichen Wünschen“ zu demonstrieren. Für die „großzügige“ Erlaubnis, die Feiern abhalten zu dürfen, forderte der Staat vor allem striktes Wohlverhalten: Die Brüdergemeine müsse die Gäste positiv über die Politik in der DDR informieren, wie es in einem Gesprächsprotokoll der Bezirksverwaltung hieß, auch habe man die Kirchenleitung nachdrücklich auf „diese ihre außenpolitische Verantwortung hingewiesen, weil es sich bei diesem Jubiläum um eines der größten ökumenischen Treffen auf dem Boden der DDR handle.“ Tatsächlich sollte man bei dem Jubiläum keine kritischen Stimmen hören, und der angereiste Delegierte des Ökumenischen Rates der Kirchen aus Genf meinte später, Herrnhut sei wohl in der Versuchung gewesen, „sich für die zugestandene Bewegungsfreiheit durch einen besonderen Grad von Loyalität dankbar zu erweisen.“
Zu den staatlichen Zugeständnissen gehörte es, dass es im Zuge des Aushandlungsprozesses um das Jubiläum Ende der sechziger Jahre zu einem in der DDR einmaligen Vorgang kam: Die DDR reprivatisierte Volkseigentum. Die Stern-Fabrik, die den berühmten Herrnhuter Adventsstern herstellte und die der Staat Anfang der fünfziger Jahre enteignet hatte, wurde aus einem „Volks- eigenen Betrieb“ ausgegliedert und der Freikirche zurückgegeben. Doch das war nur der Auftakt des kuriosen Feilschens um das Jubiläum. Der Staat genehmigte 1970 den Plan der Freikirche, eine der Ruinen im Ort wieder aufzubauen, um darin ein Förderungsheim für behinderte Jugendliche einzurichten. Der Obrigkeit kam dieser Plan entgegen, da er die Brüdergemeine in das für die Kirchen vorgesehene Gehege führte: die Alten- und Behindertenbetreuung, für die der sozialistische Staat kaum finanzielle Mittel bereitstellte. Dennoch konnten die Machthaber im Jubiläums-Geschacher für das (mit kirchlichen Geldern zu erbauende) Behindertenheim Gegenleistungen durchsetzen: Die Brüdergemeine musste ihr Kinderheim in Herrnhut schließen. Damit wurde der christliche Einfluss auf gesunde Kinder unterbunden, die dem Regime mehr am Herzen lagen als behinderte Jugendliche.
Wollte die DDR den Hunderten ausländischen und bundesrepublikanischen Gästen im Jahr 1972 nicht eine Stadt in Trümmern präsentieren, musste sie neben dem Wiederaufbau der Ruine für das Förderungszentrum noch weitere Bauarbeiten bewilligen. Herrnhuts barocker Stadtkern lag seit
1945 in Schutt und Asche. Der fromme Ort war in seinem Aufbau systematisch benachteiligt worden. 1969 noch hatte die SED-Bezirksleitung befohlen, der Brüdergemeine keine Baumaterialien zu genehmigen. 1970 dann hieß es in einem Planungspapier des Bezirkes über Herrnhut: „Die Konzeption für den Teilwiederaufbau des Stadtkerns muss davon ausgehen, dass der sozialistische Charakter unserer Gesellschaft städtebaulich zu gestalten ist und dass dadurch sozialistische Lebens- und Verhaltensweisen gefördert werden“. Immerhin waren nach den Informationsberichten noch 83 Prozent der Einwohner religiös. Die Verantwortlichen des Bezirkes entwarfen daraufhin einen Masterplan für ein Herrnhut mit sozialistischem Antlitz, dessen Kernstück ein Schulneubau für das gesamte Umland war. Die Schule sollte „sichtbares Symbol für Leistungen des werktätigen Volkes“ sein und als gewaltiger Plattenbau im Zentrum der Stadt erstehen.
Hier widersprachen sich die Interessen von Brüdergemeine und Behörden diametral. Denn die traditionsbewussten Herrnhuter wollten einen denkmalschutzgerechten Aufbau ihrer Stadt. Zudem hatte der Schulstandort ein nicht zu leugnendes Problem: Er war zu klein und lag an einer stark frequentierten Fern verkehrsstraße. Die Brüdergemeine bot als Alternative ein größeres, günstig gelegenes Landstück am Stadtrand aus ihrem Grundbesitz an. Doch die Gemeine zog den Kürzeren, die Schule wurde im Zentrum gebaut. Die Funktionäre aber erledigten mit dem Neubau zugleich eine zweite Aufgabe, nämlich die „wesentliche politisch-ideologische und soziale Verbesserung der Zusammensetzung der Schülerschaft an dieser Schule, verglichen mit dem bisherigen Zustand in Herrnhut“, wie die Bezirksverwaltung erklärte. Dank der Schulkinder, die nun aus der ganzen Umgegend nach Herrnhut gebracht wurden, blieben christliche Schüler in der Minderheit. Dem Staat genügte das noch nicht: Im Stadtzentrum entstanden große Beton-Wohnblocks, in die staatstreue Bewohner oder Ortsfremde – häufig Mitglieder der Offiziershochschule Löbau – einzogen. Bald bildete die Brüdergemeine nur noch ein Viertel der Einwohnerschaft. So brach der SED-Staat zum 250. Geburtstag die Dominanz des frommen Milieus in Herrnhut, und das barocke Flair der kleinen Stadt stand nach den Aufbauarbeiten im Schatten der sozialistischen Architektur.
Dennoch waren die Verantwortlichen der Brüdergemeine mit dem Verhandlungsergebnis um das Jubiläum nicht unzufrieden. Da das Behindertenheim vielen Jugendlichen hervorragende medizinische Betreuung und Förderung bot, stand sein Wert über allen staatlichen Ränkespielen. Die Auf- gaben, die die Brüdergemeine hier übernahm, machten ihr alle Ehre, und die Opfer, die sie dafür brachte, waren für die kleine Freikirche enorm. Dennoch war der ganze Vorgang an Absurdität kaum zu überbieten. Obwohl in der DDR rund 20 000 Heimplätze für Behinderte fehlten, ließ der sozialistische Staat nicht nur diese Arbeit weitgehend von den Kirchen finanzieren, er behinderte sie auch, indem er die Bauarbeiten verzögerte, den Mitarbeitern keine Wohnungen zur Verfügung stellte und Gegenleistungen von der Freikirche forderte. Schließlich nutzten die Funktionäre das Herrnhuter Behindertenheim zu Propagandazwecken und als Beweis staatlicher Toleranz gegenüber den Kirchen:
„Die sozialistische Gesellschaft bietet erstmalig auch den Herrnhutern die Chance, nicht nur den Menschen zu helfen, die von der Ausbeutergesellschaft physisch oder psychisch geschädigt wurden, sondern in gemeinsamer humanistischer Verantwortung mit allen Bürgern an einer sozialistischen Gesellschaft mitzubauen, die solche unmenschlichen Schädigungen gar nicht erst zulässt“,
so die Bezirksfunktionäre.
Bei der Einweihung 1977, als das Heim für rund 60 Jugendliche seine Barocktore öffnete, drängten sich viele Staatsgäste ins Rampenlicht, darunter der Gesundheitsminister Ludwig Mecklinger. Die DDR-Presse jubelte mit deutlicher Spitze gegen das Christentum: „Unsere Gesellschaft nimmt ihn [den Aufwand für Behinderte] auf sich, nicht aus Samaritergeist, sondern aus selbstverständlicher Anerkennung der vollen Menschenrechte ihrer behinderten Mitbürger“. Die Herrnhuter ihrerseits waren wie auch die anderen Kirchen zunehmend stolz darauf, dass der Staat ihre diakonische Arbeit würdigte.
Überwachung, Bestechung und Geschacher gab es in dieser Form überall in der DDR und durchdrang selbst die Lebenswelt im abgeschotteten Milieu der frommen Kleinstadt Herrnhut. Schon in den fünfziger Jahren wurde deutlich, dass große Teile der Bevölkerung diesen Zustand der Rechtsunsicherheit gegenüber einer quasifeudalen Obrigkeit als ordnungsgemäß empfanden. Die Gewöhnung der Gesellschaft aber an die allgegenwärtige Überwachung und die Erpressung – die auch ohne direkte Beteiligung der Staatssicherheit funktionieren konnte – und deren weitgehende Akzeptanz als Normalität, gehört zu den eindrucksvollsten Aspekten der DDR-Geschichte. Sie sind ein Teil der Erklärung dafür, warum der Arbeiter-und-Bauern-Staat 40 Jahre Be- stand haben konnte. Dabei lässt sich die Gesellschaft nicht einfach in Herrscher und Beherrschte aufteilen. Das ganze System der Überwachung, Bespitzelung und Erpressung konnte so gut funktionieren, weil es eine gesamtgesellschaftliche Praxis war, eine Interaktion zwischen oben und unten, bei der sich die Grenzen verwischten.
[1] Die Berichte finden sich in den Beständen des Archivs Christlich-Demokratischer Parteien (etwa ACDP II-VII), in den Akten des Rates des Bezirkes Dresden und des Kreises Löbau, der Volkspolizei, des Staatssekretariats für Kirchenfragen und des ZK (HStA Drd. 11430 oder SAPMO-BArch DY 30/IV, BArch DO 4). Vgl. allgemein zu den Berichten Ralph Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis. Überlegungen zum Zusammenhang von „Bürokratie“ und Sprachnormierung in der DDR-Geschichte, in: Alf Lüdtke/Peter Becker (Hrsg.), Akten. Eingaben. Schaufenster. Die DDR und ihre Texte Erkundungen zu Herrschaft und Alltag, Berlin 1997, S. 57–86; Alf Lüdtke, „… den Menschen vergessen“? – oder Das Maß der Sicherheit. Arbeiterverhalten der 1950er Jahre im Blick von MfS, SED, FDGB und staatlichen Leitungen, in: ebenda, S. 189–222, hier S. 189–192.
[2] Die Unterlagen zu dem Aushandlungsprozess liegen in den Akten des Rates des Bezirkes
Dresden (HStA Drd. 11377, 11430), der SED-Bezirksleitung Dresden (HStA Drd. 11857 u.
11864) und in den Beständen des Staatssekretariats für Kirchenfragen und des ZK (oder
SAPMO-BArch DY 30/IV, BArch DO 4).