„Die ideologische Arbeit ist so wichtig wie das tägliche Brot“, schärfte der Parteisekretär der Universität Jena, Kurt Pätzold, im April 1954 seinen Genossen vom Institut für Gesellschaftswissenschaften ein. Der religiöse Unterton war kaum ein Zufall, denn die hochoffizielle Aufgabe, die den Angesprochenen zuteil geworden war, bestand in der Verkündigung einer säkularen Heilslehre „ex cathedra“. Die Rede ist vom Marxismus- Leninismus, kurz ML genannt. Jeder Student in der DDR hatte zwischen 1951 und 1989 verbindliche Katechesen in den drei Bestandteilen dieser Lehre über sich ergehen zu lassen: in dialektischem und historischem Materialismus, in politischer Ökonomie des Sozialismus und Kapitalismus sowie in wissenschaftlichem Sozialismus. Alles zusammen firmierte dabei zunächst als gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium, später als marxistisch-leninistisches Grundlagenstudium. Von dessen erfolgreicher Absolvierung hing die Fortsetzung des jeweiligen Fachstudiums ab. Ein angehender Musiker konnte noch so begnadet sein, ein Maschinenbauer noch so kreativ, ein Theologe noch so fromm – ohne ein profundes Wissen über den Marxismus-Leninismus und ohne ein wenigstens formales Bekenntnis zu seinen Wahrheiten gab es kein Weiterkommen, keinen Abschluss, keine Karriere.