Eine Region, die nicht erst seit den Bürgerkriegen in den 1990er Jahren und dem Massaker von Srebrenica in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist. Wie immer diente diese Fahrt dazu, die „Aufarbeitungslandschaft“ vor Ort kennen zu lernen und zu erfahren, welche Themen die dortige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bestimmen. Neben unabhängigen Aufarbeitungsinstitutionen besuchte die Delegation staatliche Einrichtungen, Gedenkstätten, Museen und Institutionen der historischen Bildungsarbeit, traf sich mit Kriegsveteranen und Vertretern von Opferverbänden und besuchte Museen und Erinnerungsorte.

Stationen

Der Hauptteil der Studienfahrt fand in Bosnien und Herzegowina statt. Die Reise begann in Belgrad, führte von dort ins kroatische Vukovar, und anschließend nach Srebrenica, Sarajewo und Mostar in Bosnien und Herzegowina. Die Vielschichtigkeit und Komplexität der Geschichte des Balkan und der Umgang mit dieser Vergangenheit spiegelten sich im Programm wieder:

Historischer Überblick und Erinnerungskultur in Kroatien

Artikel aus "Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die kommunistischen Diktaturen"

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Im April 1941 griff die deutsche Wehrmacht das Königreich Jugoslawien an. In der Folge wurde das Land besetzt und Teile davon an das nationalsozialistische Deutsche Reich, an Mussolinis Italien sowie das von Italien okkupierte Albanien und an Bulgarien angeschlossen. Der Zweite Weltkrieg war in Jugoslawien ein vielschichtiger Krieg. Er tobte von 1941 bis 1945 sowohl zwischen den Besatzungsmächten und ihren lokalen Verbündeten als auch Widerstandsbewegungen und war gleichzeitig ein ideologischer Krieg zwischen Kommunisten und Antikommunisten, zwischen Faschisten und Antifaschisten und nicht zuletzt ein ethnischer Krieg. In Kroatien kam eine faschis- tische Regierung an die Macht, welche die Rassegesetze übernahm und gewaltsam gegen Serben, Juden, Roma sowie Kommunisten vorging. Gegen die Besetzung des Landes bildeten sich diverse Widerstandsbewegungen, die vor allem aus kommunistisch dominierten Partisaneneinheiten sowie königstreuen Tschetnikverbänden bestanden. Die Vereinigungen kämpften nicht nur gegen die Besatzer und Kollaborateure, sondern auch gegeneinander, wobei die kommunistische Volksbefreiungsarmee letztlich die Oberhand gewann. Die Kämpfe wurden zudem zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen ausgetragen. Der Krieg wurde von allen Seiten mit erbitterter Härte und unter großen Verlusten für die Zivilbevölkerung geführt. Die Partisanen und ihre Rolle wurden im sozialistischen Nachkriegsjugoslawien mythologisiert und stellten einen wichtigen Teil des Selbstverständnisses des Landes dar.

Bei Kriegsende übernahmen die von Tito geführten Kommunisten die Macht. Der Sieg im sogenannten Volksbefreiungskampf sollte die Machtübernahme und angestrebte Revolution legitimieren. Treibende Kraft dieses Krieges unter dem Oberkommando des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei (KP) und zum Marschall ernannten Anführers Josip Broz, genannt Tito, war die Umgestaltung der Gesellschaft im Sinne der marxistisch-leninistischen Ideologie in ihrer stalinistischen Ausprägung. Das erklärte Ziel der revolutionären Kader der KP bestand in der Abrechnung mit dem in ihren Augen überlebten Kapitalismus und allen ihn stützenden Kräften und dem Aufbau des Sozialismus durch die Diktatur des Proletariats, genauer durch die Diktatur seiner mit dem »richtigen Bewusstsein« ausgestatteten Avantgarde. Die Revolution sollte aus dem Sieg im Krieg hervorgehen. Wie radikal dabei vorgegangen wurde, lässt sich an der Zahl der am Ende des Krieges Getöteten ersehen. Selbst konservativste Schätzungen geben die Zahl der von Titos Partisanen im Abrechnungsfuror im Frühjahr 1945 Ermordeten mit 70 000 an. Quellen- basierte Schätzungen gehen heute davon aus, dass die kommunistische Vergeltung während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach mindestens 80 000 Tote forderte.

Die kommunistischen Partisanen und die Geheimpolizei liquidierten systematisch tatsächliche und vermeintliche Kollaborateure sowie Angehörige der politischen, kulturellen und religiösen Eliten und Tausende Zivilisten, die als Sympathisanten oder Angehörige von »Feinden« angesehen wurden. Trotz des Terrors und der zahllosen Verbrechen, mit denen die kommunistische Macht in Jugoslawien installiert wurde, galt und gilt der jugoslawische Kommunismus bis heute als vergleichsweise moderat. Dies war Folge der besonderen Stellung des sozialistischen Jugoslawien unter Tito zwischen den Blöcken während des Kalten Krieges sowie der tatsächlich erfolgten Liberalisierung und Dezentralisierung in den 1960er und 1970er Jahren. Die Zahlen der Opfer in den Jahren nach 1945 und das Ausmaß der Repression in Jugoslawien sprechen jedoch eine andere Sprache. Die Vertreibung, Enteignung, Internierung und Ermordung von Donauschwaben, ungarischen und italienischen Minderheiten und die von der Volksbefreiungsarmee nach Kriegsende begangenen Verbrechen wie die massenhaften Hinrichtungen von »Volksfeinden« wurden nach 1945 kaum thematisiert. Erst mit dem Systemwandel begann im Land die Auseinandersetzung damit, dabei spielten diese Verbrechen mit der sich verstärkenden Krise nach Titos Tod in verschiedenen nationalen bzw. nationalistischen Diskursen eine wichtige Rolle. Die meisten Opfer wurden 1945 in Massengräbern verscharrt, in Felsspalten, Karsthöhlen und aufgelassene Schächte geworfen oder eingemauert; diese Stätten sind bis heute nicht vollständig lokalisiert. Am 29. November 1943 beschloss ein Partisanenparlament im bosnischen Ort Jajce die Gründung eines »Demokratischen Föderativen Jugoslawien«, welches aus den Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien bestand.

Als Gründungsmythos des neuen Jugoslawien, der zugleich die verschiedenen ethnischen Gruppen unter der Parole »Brüderlichkeit und Einheit« der jugoslawischen Völker einigen sollte, galt der antifaschistische Widerstandskampf unter kommunistischer Führung im »Volksbefreiungskampf«. Nach dem Bruch Titos mit Stalin im März 1948 wurde die Verfolgung auf tatsächliche und vermeintliche Anhänger Stalins ausgedehnt. Tausende von ihnen wurden auf der so gut wie vegetationslosen Gefängnisinsel Goli otok in der nördlichen Adria unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Zu den Gegnern der jugoslawischen Kommunisten zählte man sowohl die demokratische Opposition als auch Vertreter der Kirchen, Gläubige, Besitzer von Land und Industriebetrieben, Intellektuelle und Angehörige der politischen Elite der Vorkriegszeit. Ebenso wurden jene verfolgt, die als Nationalisten und Feinde der »Brüderlichkeit und Einheit« der jugoslawischen Völker galten. Unter der Anklage, Kominform-Anhänger bzw. Faschist oder Nationalist zu sein, konnte die Geheimpolizei jeden zum Verdächtigen erklären und verhaften. Zudem wurde – obwohl in der Verfassung die Religionsfreiheit festgeschrieben war – insbesondere in den ersten Jahren nach der Machteroberung ein brutaler Kampf gegen die Kirchen geführt. Kirchengüter wurden enteignet, Schulen in staatliche Einrichtungen umgewandelt. Priester wurden verhaftet und schikaniert, manche ermordet. Spitzel der Geheimpolizei unterwanderten und kontrollierten bestehende Religionsgemeinschaften und die Priesterschaft.

Zwar hatten auch 118 katholische Priester aktiv die »Volksbefreiungsarmee« unter der Führung der KP während des Krieges unterstützt und 43 katholische Priester ihr Leben als Mitglieder des antifaschistischen Widerstands verloren, an der generellen Einstellung der KP gegenüber Glauben und Kirche änderte dies nichts. Im günstigsten Fall wurde Religion zur Privatsache des Einzelnen erklärt, keinesfalls durfte die Autoriät der Partei infrage gestellt werden. In den 1950er Jahren ebbte der offene Terror ab. Die Repression gegen tatsächliche und vermeintliche Gegner der kommunistischen Herrschaft ging jedoch weiter. Die jugoslawische Geheimpolizei überzog das Land mit einem dichten Spitzelnetz. In den 1960er Jahren verbesserte sich die Versorgungslage und damit der Lebensstandard merklich – nicht zuletzt auch dadurch, dass Hunderttausende von Bürgern Jugoslawiens als sogenannte Gastarbeiter in den Westen gingen, um dort zu arbeiten. Trotz der repressiven Politik gegenüber nationalen Bestrebungen brachen immer wieder ethnische Konflikte auf, die wie zum Beispiel der »Kroatische Frühling« 1971 oder Proteste im Kosovo nach Titos Tod 1980 gewaltsam niedergeschlagen wurden.

Nach Titos Tod, der das Land von 1945 bis 1980 beherrscht und auch zusammengehalten hatte, verschlechterte sich die Wirtschaftslage wiederum dramatisch und in den vergangenen Jahrzehnten unterdrückte ethnische Konflikte brachen zunehmend aus. In allen Teilrepubliken erstarkten nationalistische Kräfte, zuerst Mitte der 1980er Jahre in Serbien, wo Slobodan Miloševic´ schließlich 1987 an die Macht kam. Während in den ersten freien Wahlen 1990 in Slowenien und Kroatien antikommunistische Parteien, die die staatliche Eigenständig- keit anstrebten, gewannen, setzte sich in Serbien Slobodan Miloševic´ mit seinem nationalserbischen Sozialismus durch. Ein großer Teil der serbischen Minderheit in Kroatien erkannte unter dem Einfluss Serbiens die gewählte demokratische Regierung in Kroatien nicht an.Verhandlungen zwischen den Führungen der verschiedenen jugoslawischen Republiken führten zu keiner Lösung. Nach Volksabstimmungen erklärten am 25. Juni 1991 Slowenien und Kroatien ihre Unab- hängigkeit, wozu ihnen die jugoslawische Verfassung von 1974 die rechtliche Möglichkeit bot. Die von Miloševic´ kontrollierte jugoslawische Volksarmee und paramilitärische Verbände versuchten, militärisch ein Groß-Serbien zu schaffen. In Slowenien dauerten die Kampfhandlungen nur kurz. In Kroatien jedoch kam es zum offenen und blutigen Krieg, ebenso und in noch größerem Ausmaß in Bosnien-Herzegowina, das im März 1992 seine Unabhängigkeit erklärt hatte.

Mit dem Abkommen von Dayton vom 21. November 1995 endete der Krieg in Bosnien-Herzegowina. Eine kompli- zierte Regelung sieht vor, dass Bosnien-Herzegowina als souveräner und ungeteilter Staat in den international anerkannten Grenzen bestehen bleibt, mit Sarajevo als seiner Hauptstadt. Zugleich besteht Bosnien-Herzegowina aus zwei Einheiten: der Republika Srpska mit 49 Prozent und der Föderation von Bosnien und Herzegowina mit 51 Prozent des Territoriums. Zudem gibt es mit dem selbstverwalteten Bezirk Brcˇko ein Kondominium zwischen beiden Teilrepubliken, das jedoch der Bundesregierung untersteht. Als das schlimmste Verbrechen nicht nur dieses Krieges, sondern der europäischen Nachkriegsgeschichte insgesamt gilt das Massaker im ostbosnischen Srebrenica, das trotz der Präsenz von niederländischen Blauhelmsoldaten nicht verhindert wurde. Serbische Milizen, paramilitärische Einheiten und Truppen der Armee der bosnischen Serben ermordeten unter der Führung von Ratko Mladic´ Tausende bosnische Jungen und Männer in der sogenannten UN-Schutzzone. Dieses Verbrechen wurde vom Internationalen Gerichtshof (IGH) als Völkermord eingestuft.

Die Kriege in den 1990er Jahren auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien forderten mehr als 100 000 Tote und hinterließen in vielfacher Hinsicht ein Trümmerfeld. Diese Kämpfe prägten auch weitgehend die Vergangenheitsaufarbeitung. Die Wunden sind tief, zu nah die Erinnerung an die Opfer des Krieges insbesondere in Bosnien-Herzegowina und Kroatien, aber auch in Serbien und dem Kosovo. In Slowenien und Kroatien wird seit dem Ende des Sozialismus zunehmend an die Verbrechen der unmittelbaren Nachkriegszeit nach 1945 erinnert, Massengräber werden lokali- siert und Gedenkinitiativen an Lagerstandorten gegründet. Die Zuwendung zu den kommunistischen Verbrechen der Nachkriegszeit führt teilweise zu einer Relativierung der Verbrechen, die während der NS-Besatzung sowie der Herrschaft des faschistischen Ustaša-Regimes in Kroatien an Juden, Serben, Kommunisten und anderen begangen wurden. Dies äußert sich beispielsweise auch darin, dass es in vielen ehemaligen jugoslawischen Teilstaaten keine Denkmäler oder Gedenkstätten für die Opfer des kommunistischen Regimes gibt.

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