100 Jahre nachdem sich Georgien im Mai 1918 nach der Oktoberrevolution unabhängig und zur Demokratischen Republik Georgien erklärt hat und kaum zwei Jahre später unter sowjetische Herrschaft geriet, interessierte die Delegation, wie Georgien heute mit seiner vielschichtigen Vergangenheit umgeht. Das Kennenlernen der Geschichte und der „Aufarbeitungslandschaft“ vor Ort und die Themen, die die dortige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bestimmen, standen auf dem Programm. Neben unabhängigen Aufarbeitungsinstitutionen standen Termine mit staatlichen Einrichtungen, Gedenkstätten, Museen und Institutionen der historischen Bildungsarbeit.

Medienberichte

Der ZEIT-Redakteur Christoph Dieckmann hat an unserer Studienfahrt teilgenommen und eine Reportage über das sowjetische Erbe und den Stalinkult in der Kaukasusrepublik geschrieben:  Artikel "Alles Rote habenwir entfernt", ZEIT Online, 12.9.2018 

Über die Sowjetzeit in Georgien und den Umgang mit dem Trauma des stalinistischen Terrors hat auch der Tagesspiegel-Redakteur Bernhard Schulz geschrieben: Artikel "Das Trauma des Großen Terrors" , Taggesspiegel, 1.6.2018

Historischer Überblick und Erinnerungskultur in Georgien

Artikel aus "Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die kommunistischen Diktaturen"

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Nach der Februarrevolution 1917, mit der die zaristische Herrschaft in Russland gestürzt wurde, und dem Ende des Ersten Weltkriegs erlangte auch Georgien seine Unabhängigkeit. Am 26. Mai 1918 wurde die Demokratische Republik Georgien gegründet und völkerrechtlich anerkannt. Auch Sowjetrussland stimmte 1920 der Unabhängigkeit Georgiens zu. Das Land bildete mit Armenien und Aserbaidschan eine Transkaukasische Föderation. Im Februar 1921 besetzten Truppen der Roten Armee Georgien; die Regierung floh ins Ausland. Georgien wurde nunmehr systematisch sowjetisiert. Grundbesitz wurde enteignet, Repressalien gegen Vertreter eines unabhängigen Georgien begleiteten die Umwandlung des Landes in eine Sowjetrepublik. Diese wurde 1922 gegründet. Aus dem Exil heraus unterstützte die ins Ausland geflohene georgische Regierung den Widerstand gegen das sowjetische Regime. Im August 1924 kam es in Georgien zum ersten Auf- stand gegen die sowjetische Besatzung, der jedoch nicht bis in die Hauptstadt vordrang. Stalin, als sowjetischer Statthalter in seinem Heimatland Georgien installiert, ließ den Aufstand blutig niederschlagen und Tausende Menschen verhaften, deportieren und hinrichten. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 1921 und 1924 etwa 30 000 Menschen ermordet wurden. In den späteren Terrorwellen der Jahre 1937 / 38, 1942 bis 1945 und Ende der 1940er Jahre wurden weitere 50 000 Personen in die sibirischen Straflager verschleppt und getötet. Dazu gehörten Angehörige der »alten« Eliten, Besitzer von Land und Fabriken, Künstler und Intellektuelle, aber auch Priester und Gläubige. In Georgien, das neben Armenien zu den ersten christlichen Ländern der Erde gehört, wurden Priester und Gläubige nun systematisch verfolgt, Kirchen und Klöster enteignet und als Ställe, Scheunen, Kinos, Turnhallen oder auch Gefängnisse entweiht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Land industrialisiert. So entstand in Rustawi ein metallurgisches Zentrum, dessen Bauten von sowjetischen Straf- und deutschen Kriegsgefangenen errichtet wurden. Da es in Georgien an Arbeitskräften für den Betrieb eines solchen Werkes fehlte, wurden nomadisch lebende Bewohner aus dem Kaukasus nach Rustawi deportiert. 1956, drei Jahre nach Stalins Tod, kam es erneut zu einem Aufstand, der sich zuerst gegen die Entstalinisierung richtete und mit Sprechchören, »Lang lebe Stalin«, verbunden war. Nach dem Eingreifen sowjetischer Truppen schlug der Protest in eine Rebellion gegen die sowjetische Herrschaft um. Bei der blutigen Niederschlagung kamen 150 Menschen ums Leben.

Im Rahmen der unter Chruschtschow begonnenen Dezentralisierung entwickelte sich Georgien ab Ende der 1950er Jahre zu einer der wirtschaftlich stärksten Sowjetrepubliken. Nationalistische Tendenzen und das Streben nach staatlicher Souveränität nahmen zu. In den 1970er Jahren richteten sich die Proteste, die von den Universitäten des Landes ausgingen, gegen die Russifizierung des Landes und setzten sich für die Bewahrung der georgischen Sprache und Kultur ein. Einen Höhepunkt erreichten sie, als in der Verfassung Russisch als alleinige Amtsspra-che festgeschrieben werden sollte. Eduard Schewardnadse, der spätere Außenminister der UdSSR, war von 1964 an als Innenminister und später Vorsitzender der Kommunistischen Partei in Georgien maßgeblich für die brutale Unterdrückung der Opposition verantwortlich. Die Proteste ließen sich jedoch trotz der Einweisung von kritischen Intellektuellen in Psychiatrien, Lager und Gefängnisse nie vollständig unterdrücken. Nach dem Machtantritt Michail Gorbatschows 1985 und dem Beginn von Glasnost und Perestroika verstärkten sich die Protestaktionen gegen die sowjetische Herrschaft und der Ruf nach nationaler Souveränität. Im Herbst 1990 kam es zu freien Wahlen, in denen das Wahlbündnis »Runder Tisch–Freies Georgien« siegte. Das nur wenige Monate später abgehaltene Referendum über die staatliche Unabhängigkeit wurde mit über 98 Prozent der Stimmen angenommen, woraufhin am 26. Mai 1991, auf den Tag genau 73 Jahre nach der Ausrufung der ersten Republik, Georgien wieder als unabhängiger Staat gegründet wurde. Das Land war politisch nicht stabil und litt unter einer hohen Korruption. Durch die Konfrontation mit Russland gingen wichtige Absatzgebiete verloren. Wirtschaftliche und politische Krisen waren die Folge. Zudem flammten die ethnischen Konflikte in Abchasien und Südossetien, die auch während der Sowjetzeit bestanden hatten, wieder verstärkt und mit russischer Unterstützung auf.

2003 kam es in Georgien nach Protesten gegen Wahlfälschungen zugunsten von Eduard Schewardnadse bei den Parlamentswahlen zu Neuwahlen, aus denen der Oppositionsführer Michail Saakaschwili als Sieger hervorging. Er bekämpfte die Korruption und führte politische und wirtschaftliche Reformen durch. Bei den Wahlen 2007 wurde er aber selbst der Wahlfälschung bezichtigt.

Die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist ein Randthema. Zwar eröffnete 2006 das Okkupationsmuseum als Teil des Nationalmuseums. Die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit kam jedoch nur schleppend in Gang. Die kommunistische Herrschaft wurde als Besatzungsregime wahrgenommen; eine Aufarbeitung der Kollaboration und georgischer Anteile an der kommunistischen Herrschaft in Georgien unterblieb jedoch weitgehend. In Gori, Stalins Geburtsort, wird bis heute das aus der Sowjetzeit stammende Stalin-Museum mit seinem Geburtshaus als zentralem Element der Ausstellung unverändert betrieben. Stalin erscheint darin als weiser und großer Führer. Die unter ihm verübten Massenverbrechen werden nicht thematisiert. Allerdings gibt es Pläne, das Museum umzugestalten. Auch im Bahnhof von Gori ist ein eigener Wartesaal einer Statue Stalins vorbehalten. Demgegenüber gibt es keine Denkmäler, die an die Opfer von Repressionen erinnern oder Geheimdienstzentralen, Lager- und Gefängnisstandorte markieren.

Aufarbeitung ist heute vor allem eine Sache von NGOs wie SovLab, die sich mit ihren Projekten für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit engagieren.

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