Dr. Anna Kaminsky

Viele Denkmäler wurden errichtet, um an die Massendeportationen in die Lager des Gulag, an Massenhinrichtungen während des Großen Terrors oder anderer Mordaktionen, die gegen breite Schichten der Bevölkerung gerichtet waren, zu erinnern. Zahllose Mahnmale – zumeist Grabkreuze - erinnern an die Millionen Toten, die den von der sowjetischen Führung angeordneten Hungerkatastrophen zum Opfer fielen. Diese Hungerkatastrophen waren zumeist künstlich und gezielt als Straf- und Repressionsmaßnahmen herbeigeführt worden wie bspw. 1932/1933 in der Ukraine im Holodomor.

Ermordung auf Befehl Stalins

In vielen Hauptstädten einstmals kommunistisch beherrschter Staaten erinnern Ausstellungen und Museen an die kommunistische Herrschaft und deren Opfer. Die Ermordung von etwa 25.000 polnischen Zivilisten, Polizei- und Militärangehörigen in Katyń und an anderen Orten ist das weltweit am meisten mit Denkmälern erinnerte kommunistische Verbrechen. Verantwortlich für dieses Verbrechen war die sowjetische Führung unter Stalin, die dem NKWD im Frühjahr 1940 den Tötungsbefehl erteilte. Dieses Massaker, das nach dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen und der Gefangennahme von Angehörigen der polnischen Armee an verschiedenen Tatorten in Katyń (bei Smolensk), Koselsk, Ostaschkow, Starobjelsk und Kurapaty, verübt wurde, ist unter der Chiffre "Katyń" in das kollektive Gedächtnis eingegangen.

An den Tatorten wie Kurapaty, Mednoje und insbesondere Katyń finden sich heute Gedenkorte, die die Opfer und Täter benennen. Der Umgang mit der Erinnerung an das Verbrechen von Katyń ist zugleich die Geschichte einer beispiellosen internationalen Tabuisierung und Verschleierung der seit 1944 bekannten tatsächlichen Urheber dieses Massenmords. Wie Claudia Weber feststellte, gibt es in Bezug bis heute eine teilweise geteilte Erinnerung in Europa, in der Katyń ebenso wie andere stalinistische Verbrechen aus dem europäischen Gewaltgedächtnis ausgeblendet wurden.

Aus strategischen Rücksichten auf die Sowjetunion, als Verbündeten in der Anti-Hitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg wurde jahrzehntelang wider besseres Wissen an der Lüge festgehalten, dass die Ermordung der polnischen Offiziere das Werk der deutschen Wehrmacht gewesen sei. Vor allem in der polnischen Bevölkerung wurde das offizielle Festhalten an dieser Lüge als moralisches Versagen des Westens wahrgenommen. Während die sowjetischen Machthaber und die polnischen kommunistischen Eliten ohnehin von einer Mehrheit der polnischen Bevölkerung als Besatzer und deren Handlanger wahrgenommen und abgelehnt wurden, untergrub das Schweigen der westlichen Schutzmächte deren moralische und politische Autorität. Bereits 1986, also vier Jahre vor der offiziellen Bestätigung Gorbatschows über die tatsächlichen Verantwortlichen für das Verbrechen und die Mörder, wurde in dem Theaterstück "Enigma" die Wahrheit über Katyń für ein größeres Publikum verbreitet.

Katyń - mehr als ein Chiffre für ein komplexes Verbrechen

Katyń steht heute als Chiffre für nicht nur ein komplexes Verbrechen: Zum einen steht Katyń für die Ermordung eines Teils der polnischen intellektuellen und militärischen Elite im Frühjahr 1940 an verschiedenen Tatorten. Zum anderen wurden in Katyń zudem Massengräber mit Ermordeten aus der Zeit des Großen Terrors 1937/1938 durch den NKWD gefunden. Und drittens steht Katyń in der sowjetischen und russischen Erinnerung für die Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener durch die deutsche Wehrmacht im Jahr 1943. In Katyń erinnert heute eine drei geteilte Gedenkstätte mit je einem eignen Zugang zu den drei großen Opfergruppen am Ort an die Ermordeten.

Bereits 1940 wurde ein provisorischer Friedhof bei den aufgefundenen Massengräbern angelegt. Diese erste Gedenkanlage wurde bei der Rückeroberung des Gebiets durch die Rote Armee 1943 wieder zerstört. Als in den 1960er Jahren in Katyń eine erste Gedenkstätte errichtet wurde, war diese den "Opfern der faschistischen Aggression" gewidmet. Zur Denkmalsanlage, die bis 1990 bestand gehörten ein großer Obelisk und zwei eingefasste Massengräber. 1988 kündigte der polnische Kardinal Glemp an, in Katyń ein Kreuz zur Erinnerung an die ermordeten Polen aufstellen zu wollen. Daraufhin. wurde die Denkmalsplatte, die bisher die "deutschen Faschisten" als Täter auswies, erneuert. Die neue Denkmalsplatte erinnerte nunmehr an die Opfer, ohne jedoch die Täter zu benennen. Heute ist die Gedenkstätte durch zwei sich in Kreuzform trennende Eingangstore, die zu den getrennten Massengräbern und Namensplatten führen, gestaltet. Zur Erinnerung an die ermordeten Polen wurde zudem ein orthodoxes Kreuz errichtet.

Verkompliziert wird die Erinnerung an das Verbrechen von Katyń dadurch, dass 1969 im belarussischen Chatyn die zentrale Gedenkstätte für die von den Deutschen ermordeten Einwohner Belarusslands errichtet wurde. Diese Gedenkstätte sollte stellvertretend an die über 430 Dörfer erinnern, die durch die deutsche Wehrmacht zerstört und niedergebrannt und ihre Bewohner ermordet wurden. Allein in Belarus fielen 1,5 – 2 Millionen Menschen den Mordkommandos von SS, Polizeibataillonen und Wehrmacht zum Opfer. Die Wahl des Ortes Chatyn für diese Gedenkstätte wurde im Nachhinein als Versuch der sowjetischen Führung gedeutet, wegen der Namensähnlichkeit zu Katyń, die Aufmerksamkeit von der Ermordung der polnischen Militärs abzulenken. Die Gedenkstätte in Chatyn wurde 2004 erneuert und durch den belarussischen Staatschef Lukaschenko eingeweiht.

Gleichzeitig gibt es im nordwestlich der belarussischen Hauptstadt Minsk gelegenen Kurapaty, wo zwischen 1937 und 1941 Schätzungen zufolge etwa 250.000 Menschen durch die sowjetische Geheimpolizei NKWD ermordet und in Massengräbern verscharrt wurden, darunter auch Hunderte polnische Militärangehörige, keine offizielle Gedenkstätte, die an die Toten erinnert. Hunderte privat errichteter Holzkreuze und Namenstäfelchen versuchen die Erinnerung wachzuhalten und den Toten einen Namen zu geben. Bis heute verweigert die belarussische Führung die Zusammenarbeit mit Polen bei der Gestaltung dieses Ortes als Gedenkort.

Erinnerung an Katyń verboten

Im sowjetischen Machtbereich war die Erinnerung an das Verbrechen von Katyń ebenso wie an die vielen anderen Mordaktionen der kommunistischen Führung verboten. So durfte bspw. in der Volksrepublik Polen bis 1975 bei Nachrufen, in Biographien, Todesanzeigen oder auf Grabsteinen nicht die Jahreszahl 1940 (als Todesdatum) mit dem Ort "Katyń" zusammen erwähnt werden. Erst 1975 wurde in Polen erstmals erlaubt, den Todesort Katyń und die Jahreszahl 1940 zusammen zu erwähnen. Dennoch fanden die Menschen Möglichkeiten, ihre Trauer öffentlich auszudrücken. So legten sie jedes Jahr in der sogenannten Katyń-Senke auf dem Powazki Friedhof in Warschau am 17. November, dem Totengedenktag, Blumen am Denkmal "Gloria Victis" nieder.

Das Jahr 1980 war weltweit vom polnischen Untergrund zum Katyń-Jahr ausgerufen worden, um des vor 45 Jahren begangenen Massakers zu gedenken und zugleich eine öffentliche Gegenposition zu dem von der polnischen kommunistischen für 1981 ausgerufenen Katyńgedenken einzunehmen, das als offizielles Todesdatum der polnischen Offiziere 1941 angab. 1981, als entsprechend der offiziellen sowjetischen Propaganda, an den 40. Jahrestag des Verbrechens von Katyń mit den Deutschen als Täter erinnert werden sollte, wurde auf dem Powazki-Friedhof ein erstes Kreuz errichtet, das die Jahreszahl 1940 und den Namen Katyn trug. Das Kreuz stand nicht einmal 24 Stunden. Bereits 1977 hatte es eine erste, nur 20 Seiten umfassende, Untergrundveröffentlichung zu Katyń gegeben, die bis 1989 in 19 Auflagen erschien.

Vor allem das polnische Exil bemühte sich, das Gedenken an das Verbrechen von Katyń und die Benennung der tatsächlichen Mörder weltweit zu verbreiten. Das erste Gedenkkreuz mit der Jahreszahl 1940 wurde bereits in den 1950er Jahren in der katholischen St. Adalbert Kirche in Detroit eingeweiht. In der Regel war die Gestaltung zurückhaltend: Kreuze und Gedenktafeln mit der Jahreszahl und dem Todesort, oftmals mit rot-weißen, den polnischen Nationalfarben, versehenen Kirchenfenstern kombiniert. Denkmäler folgten 1964 in Manchester, wo sowohl eine Urne mit Erde aus Auschwitz als auch eine Urne mit Erde aus Katyń in der Kirche der Barmherzigkeit beigesetzt wurde.1975 wurden in Stockholm sowie 1976 in Gunnersbury bei London Denkmäler eingeweiht. 1980 folgte ein Denkmal in Toronto, das mit 3,5 x 3,5 x 2,0 Metern das bis dahin größte Einzeldenkmal darstellte.

Alle diese Denkmalsetzungen und Erinnerungszeichen wurden im geschützten Raum der Kirche bzw. auf Privatgrundstücken errichtet. Dennoch waren sie durch massive Proteste seitens der sowjetischen Führung begleitet, die die betreffenden Regierungen aufforderten, die Errichtung und Einweihung der Denkmäler zu verbieten. Da die Denkmäler nicht im öffentlichen Raum errichtet worden waren, blieben den Regierungen jeweils nur, ihren Mitarbeitern die Teilnahme an den Einweihungen zu untersagen. Nicht alle hielten sich an diese Anweisungen. Bei der Einweihung des Denkmals in Gunnersbury, gegen das die sowjetische Botschaft 12 Mal ihren Protest einlegte, nahm ein Mitarbeiter des britischen Außenministeriums als Privatperson teil. Das Verteidigungsministerium verbot seinen Mitarbeitern in Uniform zu den Gedenkzeremonien zu erscheinen, um jeden Anschein einer offiziellen Zustimmung zu vermeiden.

Erstmals Denkmäler im öffentlichen Raum

Erst 1991 konnte in Jersey (USA) das erste Denkmal im öffentlichen Raum errichtet werden. in Baltimore wurde im Jahr 2000 das mit 20 Metern Durchmesser und 20 Metern Höhe größte Katyń-Denkmal in Form eines Brunnens eingeweiht.

Bis Ende der achtziger Jahre war es ausschließlich im westlichen Ausland möglich, Denkmäler und Erinnerungszeichen zu errichten, die zumeist von den Hinterbliebenen der in Katyń und anderen Orten Ermordeten oder Veteranen der polnischen Untergrundarmee initiiert wurden. In ihrer Formensprache nutzten viele Denkmäler Symbole, die das Hinterhältige und die hinterrücks erfolgten Ermordungen verdeutlichen: Hierfür steht der Soldat in der Uniform der polnischen Armee, der von hinten durch ein sowjetisches Bajonett erdolcht wird. Dies war nicht nur ein Symbol für die Ermordung der Polen in Katyń sondern zugleich eine Anspielung auf den Beginn des Zweiten Weltkriegs, der für Polen mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht am 1. September und dem Einfall der Sowjetunion in Ostpolen am 17. September 1939 entsprechend den Vereinbarungen über die territorialen Ansprüche beider Mächte aus dem Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 begann.

Seit der Überwindung der kommunistischen Herrschaft in Polen ist die Erinnerung an Katyń allgegenwärtig: 1993 wurde in Warschau ein Katyń-Museum eröffnet. Aber auch Denkmäler, die den Opfern des kommunistischen Terrors gewidmet sind, wie bspw. das 1995 in Warschau für die nach Osten Deportierten enthält die Jahreszahl 1940 und den Namen in den symbolischen Eisenbahnschwellen.

An vielen öffentlichen Plätzen, in nahezu jeder Kirche und auf Friedhöfen finden sich Katyń-Denkmäler und –Katyń-Kapellen. Diese Denkmäler stehen mit individuellen symbolischen Grabstellen für individuelle Trauer, in Form von Militärfriedhöfen für das militärische Totengedenken für die im Kampf Gefallenen und Ermordeten sowie für die Religion als Ort und Inbegriff der Trauer. Hierfür stehen einerseits die Kirchen und Friedhöfe, andererseits die von den Kirchen durchgeführten Trauerzeremonien. Zugleich stehen religiöse Symbole wie Glocken, Kreuze und Marienbilder und –Statuen als Symbole für Totentrauer und Totengedenken. Zum Inbegriff dieses Gedenkens wurde die "Mutter Gottes von Katyń", die Maria mit einem toten Soldaten in ihren Armen zeigt, der ein Einschussloch im Hinterkopf hat.

Wie tief angesichts des Verbrechens und seiner jahrzehntelangen Leugnung durch die Sowjetunion bis heute das Misstrauen in der polnischen Bevölkerung sitzt, zeigte das Flugzeugunglück von Smolensk im Jahr 2010. Beim Landeanflug auf den Flughafen von Smolensk verunglückte die Maschine mit dem polnischen Staatspräsidenten Kaczynski und etwa einhundert Repräsentanten des öffentlichen Lebens an Bord. Alle Insassen des Flugzeugs kamen dabei ums Leben. Obwohl eine Untersuchungskommission zu dem Ergebnis kam, dass die widrigen Wetterbedingungen – es herrschte dichter Nebel – die Ursache für den Absturz der Präsidentenmaschine war, gaben 2012 36 % der befragten Polen an, dass sie an ein russisches Attentat auf die Maschine glaubten. Staatspräsident Kaczynski hatte sich auf dem Weg zu einer Gedenkveranstaltung in Katyń befunden, wo er am 10. April 2010, anlässlich des 70. Jahrestags des Massakers, der Opfer von Katyń gedenken wollte. Am 7. April hatten bereits der russische Regierungschef Putin und der polnische Ministerpräsident Tusk der Opfer in Katyń gedacht. Als Geste der Trauer und Anteilnahme strahlte das russische Fernsehen Rossija I am 11. April 2012 den Film "Katyń" von Andrzej Wajda aus.

Quellen:

Anna Kaminsky (Hrsg.): Erinnerungsorte für die Opfer von Katyń. Leipziger Universitäts-Verlag Leipzig 2013.

Claudia Weber: Krieg der Täter. Die Massenerschießungen von Katyń. Hamburger Edition, Hamburg 2015.

Robert Harris "Enigma", 1995 erschien das gleichnamige Buch.

Ryszard Zielinski: Katyń.