Biographische Angaben aus dem Handbuch "Wer war wer in der DDR?":

Geb. in Oxford (England) in einer jüd. Fam., aufgew. in Prag; Vater Prof. für Indol. u. Ethnol.; dt. Volksschule u. Gymnasium in Prag; Studium der Philos., Mathematik u. Physik bis 1916 in Prag u. anschl. in Berlin; 1916 – 18 Militärdienst in der österr. Armee; 1918 – 20 Mitgl. der SDAP in der ČSR; Abschl. des Studiums, 1920 Dr. der Philos.; 1920/ 21 Studium an der Univ. Berlin; Spartakusbund u. VKPD; 1920 – 22 KPČ; 1921/22 ČSR; Chefred. des »Vorwärts« in Reichenbach; 1922 – 34 KPD; 1923 – 25 Studium in Frankfurt (Main); Mitarb. des ZS der KPD; Autor u. Ltr. der KPD-Parteischulung bis 1933; Kand. des ZK der KPD seit dem Essener Parteitag, später Mitgl. des ZK; Ltr. der Prop.-Abt. des ZK der KPD, 1931 abgelöst; bis Ende 1933 Mitarb. der ZL der KPD, stand in enger Verb. mit  Walter Ulbricht; Dez. 1933 Emigr. in die ČSR (Prag); bis 1935 Auslandsorg. der KPD; 1935 – 45 KPČ; 1935 – 39 Red. u. Ltr. der Prop.-Arbeit u. der Schulungsarbeit der KPČ; März 1939 Ausreise als brit. Staatsbürger nach England (London); bis 1945 Auslandsorg. der KPČ.
Kehrte wegen starker Differenzen mit der KPČ in der Frage der Sudetendt. nicht in die ČSR zurück; 1945 – 48 KP Großbritannien; 1946 – 48 freier Schriftst. in London; verantw. Red. der Ztg. »Scheinwerfer über Dtl.« (Organ des brit. Rats zur Unterstützung der Demokratie), Mitarb. von »Labour Monthly« u. »World News and Views«.
Sept. 1948 Rückkehr nach Dtl.; SED; Okt. 1948 ord. Prof an der Univ. Berlin; gleichz. Ltr. der Abt. Polit-Ökon. am Wiss. Forschungsinst. der PHS; OdF; Ltr. des Forschungsinst. der SED in Kleinmachnow; mit Gründung im März 1949 Dir. des Marx-Engels-Lenin-Stalin-Inst. beim PV der SED; Ende Feb. 1950 abgelöst wegen angebl. Unterstützung einer »Kampagne der Imperialisten u. Tito-Agenten gegen Stalin« (Anlaß war sein Artikel »Von Stalin lernen« in der »Einheit«); 1949 VVN; März 1950 Dekan der wirtschaftswiss. Fak. der HU Berlin; wegen drohender Verhaftung 1951 erneute Übersiedl. nach England; Mitgl. der KP Großbritanniens; gest. in London.

Sek.-Lit.
Röder, W.: Die dt. soz. Exilgr. in Großbritannien 1940 – 1945. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsoz. Bonn, Bad Godesberg 1973; Keßler, M.: Sozialisten jüd. Herkunft zwischen Ost u. West. In: Schuppener, G. (Hrsg.): Jüd. Intellektuelle in der DDR. Leipzig 1999; Keßler, M.: Vom KPD-Apparat zum stillen Weggang aus der DDR: Der Wirtschaftswissenschaftler u. Historiker J. W. In: Ders.: Exil u. Nach-Exil. Hamburg 2002.
BRB

Biographische Angaben aus dem Handbuch der Deutschen Kommunisten:

(* 1896 – † 1952)
Geboren am 18. Februar 1896 in Oxford, Sohn eines Universitätsprofessors, der noch im Geburtsjahr seines Sohnes nach Prag übersiedelte. Dort besuchte Winternitz das Gymnasium und begann mit dem Studium der Philosophie, Mathematik und Physik an der Universität. 1917 ins österreichische Heer eingezogen. 1918 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, kam er bei Gründung 1920 in die KP der ?CSR. Winternitz promovierte 1920 zum Dr. phil. und arbeitete als Wissenschaftler, war aber auch in der KP aktiv, 1921/22 als Chefredakteur der Zeitung »Vorwärts« in Reichenberg. 1923 Übersiedlung nach Deutschland, hauptamtlicher Funktionär der KPD, auf deren linkem Flügel er eine wichtige Rolle spielte. Winternitz wurde – unter den verschiedensten Pseudonymen: Lenz, Sommer u.a. – der Theoretiker der Linken in der KPD. 1924 Sekretär der KPD und Abteilungsleiter für Propaganda in der Zentrale, Delegierter des V. Weltkongresses der Komintern, sympathisierte er 1925 kurze Zeit mit der Ultralinken, blieb aber bei der Linken um Ruth Fischer.
Auf dem X. Parteitag 1925 Sekretär der Politischen Kommission und als Kandidat ins ZK gewählt. Nach dem »Offenen Brief« 1925 (den er ablehnte) verteidigte er Ruth Fischer und Arkadi Maslow. Zunächst grenzte er sich von der Gruppe der Ultralinken um Werner Scholem, später aber auch von Ruth Fischer ab, blieb in der KPD und paßte sich der Parteilinie an. Auf dem XI. Parteitag 1927 wurde er deswegen auch wieder als Kandidat ins ZK berufen, übte aber bis 1928 nur untergeordnete Funktionen im ZK-Apparat aus, u. a. war er Redakteur der Zeitschrift »Internationale« und Leiter des »Rhein-Ruhr-Pressedienstes« in Düsseldorf. Nach der Wittorf-Affäre trat er wieder in den Vordergrund, wurde Leiter der Agitpropabteilung des ZK. Der XII. Parteitag 1929 wählte ihn als Mitglied ins ZK. 1931 war Winternitz (diesmal unter dem Pseudonym Kraus) Leiter der Propagandaabteilung des ZK, doch im Dezember 1931 wurden er und Alexander Emel ihrer führenden Posten im ZK enthoben, weil sie angeblich Stalin »falsch ausgelegt« und Lenin »verunglimpft« hatten. Daraufhin übte Winternitz-Kraus Selbstkritik: »Ich anerkenne vorbehaltlos und in vollem Umfange die in dem Artikel des Gen. Thälmann ... kritisierten Fehler in meiner Arbeit ...« Winternitz blieb bis 1933 in Deutschland. Bei den Auseinandersetzungen um die Nachfolge Ernst Thälmanns schloß er sich Walter Ulbricht an. 1934 emigrierte er in die Tschechoslowakei, 1939 nach Großbritannien und arbeitete während des Krieges in der KP Englands.
Im März 1948 kehrte er nach Deutschland zurück, wurde Mitglied der SED und leitete bis Februar 1950 das Forschungsinstitut für wissenschaftlichen Sozialismus in Kleinmachnow bzw. das Marx-Engels-Institut. Durch Beschluß des Politbüros vom 21. Februar 1950 als Leiter abberufen und gerügt, weil er in einem Artikel in der »Einheit« (»Von Stalin lernen«) nach Ansicht des ZK »die Kampagne der Imperialisten und Tito-Agenten gegen Stalin« ungewollt unterstützte (er hatte darin antileninistische Auffassungen des jungen Stalin zitiert). Im März 1950 zum Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität in Ost-Berlin berufen, zog er es jedoch vor, 1951 wieder nach England zu gehen. Als Begründung gab er Sorge um seine dort lebende Familie an. Schließlich kannte er die stalinistischen Methoden wohl zu genau und wußte, wie solche »ideologischen Angriffe« endeten. Joseph Winternitz starb am 22. März 1952 in England. Die SED widmete ihm einen Nachruf, vermerkte darin jedoch, er sei »von gewissen Schwankungen nicht ganz frei« gewesen. Mario Keßler veröffentlichte 2002 eine biographische Skizze über Joseph Winternitz.

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Redaktionsschluss: Mai 2008. Eine kontinuierliche Aktualisierung der Biographien kann von den Herausgebern nicht gewährleistet werden. Soweit bekannt, werden Sterbedaten in regelmäßigen Abständen nachgetragen. Änderungs- und Korrekturwünsche werden von den Herausgebern des Handbuches geprüft und ggfl. eingearbeitet (Mail an herbst@gdw-berlin.de).

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