Humboldt-Universität zu Berlin Saal 007
Hausvogteiplatz 5-7
10117 Berlin
Seit 2005, der ersten Regierung der polnischen Partei PiS, kam es in Ostmitteleuropa insgesamt zum Aufstieg populistischer Parteien, die meist als nationalpopulistisch bezeichnet werden. Sie sind aber mehr als das: Jede dieser Parteien profitierte von der Vernachlässigung der sozialen Interessen breiter Bevölkerungsgruppen durch die politischen Klassen jener Länder. Ihr Sieg ist insofern auch Ausdruck eines breiten Protestes gegen die bisherige Regierungspolitik liberaler und sozialdemokratischer Parteien. Die Entwicklung in Ostmitteleuropa beeinflusst auch die Staaten des westlichen Europa: Einerseits durch die Europäische Union, in der die vier Visegrádstaaten in der letzten Zeit einige Initiativen der Mehrheit der Mitgliedsstaaten blockiert haben.
Andererseits dadurch, dass die Niederlage des Staatssozialismus Ende der 1980er Jahre auch die Parteien der europäischen Linken geschwächt hat. Schließlich durch die in Ostmitteleuropa entstandenen radikalen neoliberalen Kapitalismus, der auch seine Wirkungen auf die anderen europäischen Gesellschaften ausübt. Im Vortrag wird das gesellschaftliche Bedingungsgefüge des Aufstiegs der Populisten in Ostmitteleuropa analysiert. Welchen Anteil hat daran die politische Kultur dieser Gesellschaften? Was ist historische Hinterlassenschaft des „Ancien regime“, des osteuropäischen Staatssozialismus? Und welche Impulse bekam dieser politische Wandel durch die Erfahrungen der postsozialistischen Transformation?
Ringvorlesung "1989 - (k)eine Zäsur?"
Vor 30 Jahren wurden die kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa überwunden. Seitdem steht die Chiffre »1989« für das Wunder der friedlichen Revolution und das Versprechen demokratischer Freiheiten. Tatsächlich hat der revolutionäre Aufbruch zwar umfassende politische und gesellschaftliche Umwälzungen bewirkt. Doch langfristig wurden damit in den Ländern des ehemaligen »Ostblocks« auch Entwicklungen angestoßen und Bewegungen mobilisiert, die die Werte und erkämpften Rechte von damals heute wieder in Frage stellen. Dabei schrecken ihre Vertreter nicht davor zurück, für ihre Anliegen auch mit einstigem Revolutions-Vokabular zu werben. Das Jubiläum bietet die Chance einer doppelten Neuvermessung. Die Ringvorlesung diskutiert erstens »1989« als Teil einer »langen Wende« von der geteilten Welt zum geeinten Europa und zweitens als Referenzpunkt gesellschaftlicher Krisenentwicklungen der Gegenwart. Damit eröffnet die Vortragsreihe neue Perspektiven auf das »Erbe von 1989« und eine Standortbestimmung sowohl der Berliner Republik als auch des heutigen Europas.
Referent
Dieter Segert | Wien